Frei, Fair und Lebendig

Die Macht der Commons

Anhang

Kapitelüberschriften


Anhang I: »Elinor’s Law« Design-Prinzipien für Commons-Institutionen

nach Elinor Ostrom

Diese Prinzipien hat Elinor Ostrom bereits 1990 in ihrem Hauptwerk, Governing the Commons (Die Verfassung der Allmende), veröffentlicht. In ihrer Nobelpreisrede 2009 stellte sie eine gemeinsam mit Michael Cox, Gwen Arnold und Sergio Villamayor-Tomás präzisierte Fassung vor, die hier stichpunktartig wiedergegeben wird:

1. Grenzen: Es existieren klare und lokal akzeptierte Grenzen zwischen legitimen Nutzern und Nicht-Nutzungsberechtigten. Es existieren klare Grenzen zwischen einem spezifischen Gemeinressourcensystem und einem größeren sozio-ökologischen System.

2. Kongruenz: Die Regeln für die Aneignung und Reproduktion einer Ressource entsprechen den örtlichen und den kulturellen Bedingungen. Aneignungs- und Bereitstellungsregeln sind aufeinander abgestimmt; die Verteilung der Kosten unter den Nutzern ist proportional zur Verteilung des Nutzens.

3. Gemeinschaftliche Entscheidungen: Die meisten Personen, die von einem Ressourcensystem betroffen sind, können an Entscheidungen zur Bestimmung und Änderung der Nutzungsregeln teilnehmen (auch wenn viele diese Möglichkeit nicht wahrnehmen).

4. Monitoring der Nutzer und der Ressource: Es muss ausreichend Kontrolle über Ressourcen geben, um Regelverstößen vorbeugen zu können. Personen, die mit der Überwachung der Ressource und deren Aneignung betraut sind, müssen selbst Nutzer oder den Nutzern rechenschaftspflichtig sein.

5. Abgestufte Sanktionen: Verhängte Sanktionen sollen in einem vernünftigen Verhältnis zum verursachten Problem stehen. Die Bestrafung von Regelverletzungen beginnt auf niedrigem Niveau und verschärft sich, wenn Nutzer eine Regel mehrfach verletzen.

6. Konfliktlösungsmechanismen: Konfliktlösungsmechanismen müssen schnell, günstig und direkt sein. Es gibt lokale Räume für die Lösung von Konflikten zwischen Nutzern sowie zwischen Nutzern und Behörden [z.B. Mediation].

7. Anerkennung: Es ist ein Mindestmaß staatlicher Anerkennung des Rechtes der Nutzer erforderlich, ihre eigenen Regeln zu bestimmen.

8. Eingebettete Institutionen (für große Ressourcensysteme): Wenn eine Gemeinressource eng mit einem großen Ressourcensystem verbunden ist, sind Governance-Strukturen auf mehreren Ebenen miteinander »verschachtelt« (Polyzentrische Governance).

Literatur

Ostrom, E. (2009): Beyond Markets and States: Polycentric Governance of Complex Economic Systems, Nobelpreisrede vom 8. Dezember 2009, online verfügbar unter: www.nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/2009/ostrom-lecture.html (Zugriff am 23. Februar 2015).

Anhang II: Die Entstehung der Triade des Commoning – Method(olog)ische Anmerkungen

Jenseits des wissenschaftlichen Betriebs forschen wir seit Jahren zu Commons. Entsprechend skizzieren wir hier, wie wir unseren Bezugsrahmen, die Triade des Commoning, entwickelt haben.[1]

Zur Erinnerung: Es ging uns nicht darum, Commons zu definieren. Das würde weder dem Thema noch unserem Forschungsverständnis gerecht. Commons sind keine dingfest zu machende Entität! Es ging uns darum, Commons genauer zu beschreiben – und zwar als spezifische Art zu handeln, Bedürfnisse zu befriedigen, das eigene Umfeld und die Gesellschaft zu gestalten. Wir wollten Commoning inhaltlich fassen. Das taten wir, indem wir die gemeinsamen Grundzüge aufspürten, die das Handeln in verschiedenen Commons kennzeichnen. Anders gesagt, wir stellten die Frage, ob es Handlungslogiken gibt, die typisch für Commoning sind. Ausgangspunkt war der Gedanke, dass die Welt in Mustern geordnet ist. Darin folgen wir der Mustertheorie und -methodologie des Mathematikers, Architekten und Philosophen Christopher Alexander. Sie ist in seinem vierbändigen Hauptwerk, The Nature of Order[2] , detailliert beschrieben. In unserem 2015 erschienenen Sammelband, Die Welt der Commons. Muster gemeinsamen Handelns, hatten wir bereits in das Thema eingeführt.[3]

Muster werden gefunden, nicht erfunden. Das ist eine wichtige Erkenntnis aus der Musterforschung. Sie machen etwas Latentes sichtbar. Dies bedarf der geduldigen Beobachtung, der Übung und – zumindest in unserem Fall – der Kombination verschiedener methodischer Schritte. Methodologisch gilt dabei: Wer immer lebendige Prozesse begreif bar machen will, darf die Vernunft nicht vom Fühlen trennen und die kognitive Erkenntnisgewinnung nicht von konkreten Erfahrungen.[4] Im Mustern – wie wir es im Deutschen nennen – gelingt beides. Die reine Abstraktion jedenfalls wird dem Leben nicht gerecht. Zudem vermag das Mustern das stille, implizite und vor allem unterschätzte Wissen der Laien zu berücksichtigen (vgl. Polanyi und auch Finke)[5]. So erlaubte es auch uns, in der Entwicklung der Muster des Commoning Situiertem Wissen [zu] Vertrauen.

Zu mustern erfordert, auf die Verbindung zwischen dem Unterschiedlichen zu schauen, statt auf das Unterschiedliche. Ein Phänomen oder Problem wird dabei nicht als abgegrenzt und isoliert betrachtet, sondern erhält seine Bedeutung erst in seinem Kontext. Entsprechend gilt ein Muster nur in diesem beziehungsweise in ähnlichen Kontexten. Elementar ist deshalb, dass die Verbindung zwischen Kontext und Problem nie zerrissen wird.[6] Im Mustern sozialer Phänomene geht es darum zu identifizieren, durch welche Handlungen (abstrakter: Handlungslogiken) Interaktionen gelingen und Beziehungen gestärkt werden. Da Beziehungen multidirektional sind, also auf einen Aspekt positiv und zugleich auf einen anderen negativ wirken können, sieht die formale Notierung von Mustern, auf die wir in diesem Buch bewusst verzichtet haben, die Figur des Anschlussmusters vor. Darin werden die Verknüpfungen der Muster untereinander deutlicher, die wir im Text nur andeuten konnten. Aber die Leserschaft wird ohnehin erahnen: Einzelne Muster hängen mit anderen zusammen. In ihren Zusammenhängen bilden sie eine sogenannte (noch auszuformulierende) Mustersprache.

Auf erkenntnistheoretischer Ebene sichert dieses Vorgehen ab, dass Geist und Körper als Erkenntnisinstrumente in Verbindung bleiben. Das bewusste, sprachliche, begriffliche Erfassen wird durch Resonanzerlebnisse begleitet: im mehrfachen Umkreisen des gleichen Problems und in der Annäherung an das, was latent ist, was schon gespürt, aber noch nicht versprachlicht wurde.[7] Resonanz erfahren wir, wenn sich nach mühevollem Suchen und geduldigem Abtasten vieler Optionen eine besondere Energie, ein »gemeinsames Kopfnicken« einstellt: Es ist eine Kongruenz zwischen Erfahren, Erspüren und Erkennen. Die Kenntnisse und Erfahrungen verschiedener Beteiligter[8] werden gewissermaßen übereinandergelegt und abgeglichen, bis sich eine Übereinstimmung ergibt, die es erlaubt, ein Muster zu formulieren. So kann eine hohe Qualität der Muster gesichert werden. Und doch ist das Ergebnis prinzipiell offen und adaptierbar; auch weil sich der Kontext sozialen Handelns ständig ändert (vgl. die Hinweise zur Geltung weiter unten).

Nach diesen methodologischen Anmerkungen ist zu fragen, mit welchen Methoden die Triade des Commoning entstanden ist. Auch dies kann nur in stark verkürzter Form geschehen.

Zwischen Juni 2014 und Dezember 2017 haben insgesamt neun Muster-Workshops (pattern mining workshops) stattgefunden, an denen zumeist gemeinschaftserfahrene Menschen zwischen 20 und 70 Jahren aus unterschiedlichen Kontexten und Kulturen teilgenommen haben. Die Workshops selbst waren nach der dem Musteransatz inhärenten Logik strukturiert. Grob skizziert erfolgte die Problembearbeitung somit in folgenden Schritten:

  • Was ist der Kontext?
  • Was genau ist in diesem Kontext der Kern eines immer wiederkehrenden Problems?
  • Welche Lösungen gibt es für dieses Problem?
  • Worin liegt der gemeinsame Kern gelingender Lösungen?
  • Wie lässt sich dieser gemeinsame Kern als Mustername formulieren?

Bezogen auf Muster sozialer Praktiken ist ein gelungener Mustername zunächst kurz und knackig. Er ist satzzeichenfrei, erfreut sich einleuchtender Neologismen und Doppelbedeutungen, verträgt eingängige Kürzel wie »FAQ«, bedarf eines Verbs, um den Vorgang (die Praxis) hervorzuheben, und begnügt sich nicht mit ethischen Floskeln. Ein guter Mustername ist aber auch anpassungsfähig. Ausnahmen von diesen Qualitätskriterien sind deshalb normal.

Neben den Workshops wurden zwölf teilstrukturierte Interviews mit einer bis vier Personen durchgeführt; darunter zwei Intensivinterviews. Wie in den Workshops ging es darum herauszufinden, inwiefern sich unterschiedliche Praktiken, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, überlagern und ob gemeinsame Handlungsmuster in gelingenden Lösungen erkennbar werden. Setting, Charakter der Interviews sowie die Art der Fragestellungen sind in Helfrichs Lebensform Commons detailliert beschrieben. Die Interviewten waren zumeist Akademikerinnen und Akademiker. Alle sind seit langem – in einigen Fällen 50 Jahre – in Commons-Projekten aktiv. Erfragt wurde, was wie getan wird, und nicht, was gedacht wird. Schließlich wollten wir Handlungsbeschreibungen erfassen und dokumentieren und keine Meinungen. Die Interviews waren durch unsere Einteilung in die drei Bereiche – Soziales, Governance und Ökonomie (vgl. Kapitel 4-6) – vorstrukturiert. Die im Folgenden dokumentierten Fragen sowie die jeweilige Version der bereits gefundenen Muster lenken die Aufmerksamkeit schließlich auf typische Problemfelder. Wurden Muster getestet, so fragten wir, ob sich die Interviewten darin wiederfinden; ob sie »sich richtig anfühlen« (Resonanztest).

Die Interviewfragen

Da Verhalten statt Werthaltungen erfragt werden sollte,[9] waren sowohl Ja-Nein-Fragen zu meiden als auch solche, die dazu zwingen, Verhaltensweisen zu rationalisieren.[10] Es dominierten die Wie-Fragen. Sie sollten das Problemfeld eingrenzen, keine Antworten nahelegen und so konkret wie möglich sein. Die Fragen zum sozialen Miteinander beziehen sich auf vielfach beobachtete Problemfelder dieses Miteinanders. Die Fragen zur Peer Governance sind neben eigenen Beobachtungen angelehnt an die acht Designprinzipien von Elinor Ostrom (vgl. Anhang I). Und die Fragen zur Commons-Produktion wurden aus der Überlegung heraus entwickelt, welche einzelnen Elemente für jeglichen schöpferisch-produktiven Prozess nötig sind (z.B. Natur, Wissen/Information, Arbeitskraft usw.).

Fragen zum sozialen Miteinander

  • Wie gelingt Euch eine gemeinsame Ausrichtung? Welche Rolle spielen Werte?
  • Wie erhaltet Ihr die nötigen Beiträge?
  • Wie gestaltet Ihr das Verhältnis von Geben und Nehmen?
  • Wie erhaltet Ihr die soziale Qualität? Gibt es Gepflogenheiten?
  • Auf welche Arten von Wissen bezieht Ihr euch?
  • Wie lebt Ihr Naturbezug?
  • Wie geht Ihr Konflikte an?
  • Wodurch bleiben Regeln und Strukturen angemessen und wandlungsfähig?

Fragen zur Governance

  • Wie bewegt Ihr Euch im Spannungsverhältnis zwischen Verwertungsdruck
  • und Commoning? Und wie schützt Ihr Commons davor, dass das Geld durch- regiert?
  • Wie bringt Ihr Absichten und Werte zusammen?
  • Setzt Ihr Grenzen? Wie durchlässig sind sie?
  • Wie kommen Eure Entscheidungen zustande?
  • Wie handhabt Ihr Informationen, Kenntnisse, Code und Design?
  • Wie sind Eure Organisationsstrukturen aufgebaut? Und schützen sie vor Machtmissbrauch?
  • Wie sind Eure Eigentumsverhältnisse geregelt?
  • Wie ermöglicht Ihr die Nachvollziehbarkeit Eurer Handlungen?
  • Welche Finanzierungsformen nutzt Ihr? Und sind sie selbst Ausdruck des Commoning? Und werden durch Geldflüsse Commons gestärkt?
  • Wie kontrolliert Ihr die Einhaltung von Regeln?
  • Wie geht Ihr mit Regelübertritten um?

Fragen zum sorgenden und selbstbestimmten Wirtschaften

  • Gibt es eine Trennung zwischen Produzierenden und Nutzenden?
  • Wie versteht Ihr Tätigsein und Arbeit?
  • Welche Tätigkeiten gehören dazu?
  • Wer trägt das Produktionsrisiko?
  • Wie sind die Rollen definiert und ausgefüllt?
  • Bezogen auf Dinge, die mehr werden, wenn viele sie nutzen (z.B. Wissen):
    - Wie wird zugeteilt was verfügbar ist?
  • Bezogen auf Dinge, die weniger werden, wenn viele sie nutzen (z.B. Lebensmittel oder Geld):
    - Wie wird zugeteilt was verfügbar ist?

  • a) im überschaubaren, zumeist interpersonalen Rahmen
    b) im nicht überschaubaren, anonymen, transpersonalen Rahmen
  • Wer bestimmt auf welcher Grundlage den Preis, wenn marktförmiger Handel betrieben wird?
  • Wie begreift Ihr Arbeit?
  • Wie verteilt Ihr Aufgaben, und wie wertschätzt Ihr alle Tätigkeiten?
  • Wem nützen Eure Werkzeuge und Instrumente?
  • Wofür sind sie dienlich?
  • Welche der vorhandenen Infrastrukturen nutzt Ihr und warum?
  • Dienen sie Euren Anliegen?
  • Wie schafft Ihr Neues?

Anschließend begann der Feedback-Prozess. Für jedes der generischen[11] Muster (Kapitel 4-6), die wir in Reflexion unseres Vorwissens, vielfältiger Commons-Literatur, der Workshops und Interviews entwickelt haben, sah er etwas anders aus. Doch gab es für alle Muster mindestens sechs systematische Durchgänge mit Personen unterschiedlicher Qualifikation – vom Nachhaltigkeitswissenschaftler bis zur Studentin, die mit Mustern arbeitet, von der Pädagogin, die selbst Motor einer Commons-Community ist, bis zu den Teilnehmenden an der 6. deutschsprachigen Commons-Sommerschule. Wir selbst diskutierten die Musternamen ein ums andere Mal. Jeder Durchgang führte zu Korrekturen, Verschiebungen, Ergänzungen und Streichungen, kurz: zu einer großen Zahl von Anpassungen. Diese Iterationen sowie die Methodenkombination sorgen aus unserer Sicht für belastbare Ergebnisse.

Im Folgenden zeigen wir den typischen Forschungsverlauf an einem Beispiel. Dies soll verdeutlichen, wie wir die Methoden kombinierten, was in jedem Falle etwas anders geschah, je nach Anzahl und Art der kritischen Entscheidungssituationen (vgl. Flussdiagramm). Ausgewählt haben wir das Muster Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten, das zum Bereich der Peer Governance gehört. Es illustriert nicht nur den Fortgang unserer Arbeit, sondern erhellt auch den Stellenwert »gemeinsamer Werte« in Commons-Kontexten. Uns interessierte, welche Rolle die vielbeschworenen »gemeinsamen Werte und Ziele« in gelingenden Commons tatsächlich spielen, und wie Commoners ihre Absichten und Werte zusammenbringen.

Kurzbeschreibung der Schrittfolge

  1. Beschreibung der Problemstellung: Identifikation der Rolle von Zwecken und Werten
  2. Ableitung eines Musternamens (1. Iteration, hier durch Deduktion). Mit dem Namen wollten wir ausdrücken, dass im Commoning gemeinsame Zwecke und Werte klar sein sollten: Gemeinsamen Zweck & Gemeinsame Werte Verdeutlichen
  3. Einbettung des Musternamens in den Kontext; Begründung anhand von Beispielen, um die praktische Relevanz bewusst zu machen; Produktion eines Fließtextes ► Zusendung an Expertinnen (Testlesende) und Interviewpartner
  4. Teilstrukturiertes Telefoninterview mit GE am 04.12.2017 Es ergibt sich ein Konflikt. In der Erfahrung des Sozialforschers und Commons-Praktikers können gemeinsame Zwecke und Werte nicht vorausgesetzt werden. Auch sei deren »Existenz« oder Deklarieren für das Funktionieren gemeinsamen Handelns nicht entscheidend. Vielmehr sei die Vielfalt der Perspektiven und Wertvorstellungen eine soziale Tatsache, mit der Commoners umzugehen haben. Man teile Motivationen und Gründe zusammenzukommen, setze aber keine – langfristigen – gemeinsamen Zwecke und Werte voraus.

    »We may assume specific short-term goals or purposes. For example, ›collecting signatures [...] before the second week of February.‹ But these ›goals‹ or ›purposes‹ are not ends in themselves. We have motives, compelling forces pushing us in a certain direction. We can express those ›motives‹ as reasons. Instead of asking ›What for?‹ we ask ›Why?‹« (Auszug aus dem Interview)
  5. Kollektive Reflexion der Autoren ► Ableitung des Musternamens (2. Iteration): Vielfalt für Commons-Zwecke aufgreifen
  6. Fachgespräch, Reflexion der sprachlichen Fassung (mit SL am 20.03.2018) ► Mustername, 3. Iteration: Vielfalt zu Commons-Zwecken nutzen.
  7. Fachgespräch mit HP und Resonanztest. Es ergibt sich ein Konflikt. Die Fassung des Musternamens »fühlt sich nicht richtig an.« Sie trifft noch nicht den Kern dessen, was sich ausdrücken möchte ► Mustername, 4. Iteration: Vielfalt zum Gemeinsamen verweben.
  8. Peer Review aller Musternamen (WS, am 26.03.2018). Es gibt Feedback zu anderen Mustern, aber nicht zu diesem. Schritt 7 weist jedoch darauf hin, dass ein weiterer Durchgang nötig ist.
  9. Kollektive Reflexion und Resonanztest im Gruppengespräch mit Praktiker/innen und Theoretikerinnen, induktive Elemente werden gestärkt (Teilnehmende der Sommerschule, Juni 2018) ► Mustername, 5. Iteration: Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten.

Diese Version entspricht den in den verschiedenen Schritten und Feedbackschleifen übereinandergelegten Kenntnissen und Erfahrungen und fühlt sich gut an. Sie wird veröffentlicht (vgl. Kapitel 5).

In ähnlicher Weise verliefen alle Musterfindungsprozesse. Die Schritte werden im Folgenden noch einmal schematisch abgebildet, wobei das Erkenntnisverfahren mitbenannt wird.

Darstellung des Forschungsprozesses am Beispiel des Musters Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten

matrix

Geltung und Ableitungsverfahren

Beim Mustern ist eine subjektive Einstufung der Geltung der Muster üblich, denn »manche sind richtiger, profunder, gewisser als andere«.[12] Diese Einstufung haben wir auch für die in Kapitel 4-6 dargestellten Muster vorgenommen und sie daher folgendermaßen gekennzeichnet. Bei Mustern ohne * glauben wir, etwas gefunden zu haben, das tatsächlich die Merkmale zusammenfasst, die allen möglichen Arten, das Problem zu lösen, gemeinsam sind.

Bei Mustern mit *, gehen wir davon aus, dass eine richtige Lösung des Problems nur möglich ist, wenn die Umwelt in der einen oder anderen Weise entsprechend des Musters gestaltet wird.

Muster mit ** kennzeichnen, dass sich eine weitere Untersuchung empfiehlt, um das Muster zu verbessern.

In der zweiten Spalte sind ergänzend die Ableitungsverfahren verzeichnet, die im Findungsprozess dominant waren, sowie die abstrakten Konzepte, von denen (so Deduktion eine dominierende Rolle spielte) abgeleitet wurde.

Validierung und Ableitungsverfahren

Soziales Miteinander Ableitungsverfahren
nach Reihenfolge ihrer Dominanz
gemeinsame Absichten & Werte pflegen induktiv – deduktiv
ohne Zwänge beitragen induktiv
Gegenseitigkeit behutsam ausüben induktiv – deduktiv (vom Konzept der Reziprozität/Gegenseitigkeit)
Rituale des Miteinanders etablieren induktiv
situiertem Wissen vertrauen deduktiv (vom Konzept des situierten Wissens) – induktiv
Naturverbundensein vertiefen** deduktiv (vom relationalen Grundverständnis, Mensch-Natur-Beziehung) – induktiv
Konflikte beziehungswahrend bearbeiten* induktiv
eigene Peer-Governance reflektieren* induktiv

Peer Governance
Commons & Kommerz auseinanderhalten induktiv
sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten induktiv – deduktiv (vom Menschenbild)
Commons mit halbdurchlässigen Membranen umgeben* deduktiv (vom 1. Designprinzip Elinor Ostroms) – induktiv
gemeinstimmig entscheiden* induktiv – deduktiv (vom 3. Designprinzip Elinor Ostroms)
Wissen grosszügig weitergeben induktiv
auf Heterarchie bauen* deduktiv (von Governance-Theorie, der Kritik an Hierarchie) – induktiv
Beziehungshaftigkeit des Habens verankern* induktiv
im Vertrauensraum transparent sein induktiv
Commons-Produktion finanzieren* deduktiv – induktiv
Regeleinhaltung commonsintern beobachten & stufenweise sanktionieren induktiv – deduktiv (vom 4. und 5. Designprinzip Elinor Ostroms)

Commons herstellen
gemeinsam erzeugen & nutzen (Für-)Sorge leisten & Arbeit dem Markt entziehen induktiv
induktiv – deduktiv
das Produktionsrisiko gemeinsam tragen induktiv
gemeinsam erzeugen & nutzen induktiv
beitragen & weitergeben induktiv
poolen, deckeln & aufteilen induktiv
poolen, deckeln & umlegen induktiv
preissouverän Handel treiben* induktiv
(Für-)Sorge leisten & Arbeit dem Markt entziehen* deduktiv (vom Care-Konzept, Lohnarbeitskritik) – induktiv
konviviale Werkzeuge nutzen* deduktiv (vom Konzept der Konvivialität/konvivialer Werkzeuge nach Ivan Illich und Andrea Vetter) – induktiv
auf verteilte Strukturen setzen
kosmo-lokal produzieren* induktiv – deduktiv (vom Konzept der Kosmo-Lokalen Produktion nach)
kreativ anpassen & erneuern induktiv

Forschungsverlauf

In einem letzten Schritt soll anhand eines Flussdiagramms gezeigt werden, welche Entscheidungen im Verlauf des Forschungsprozesses zu treffen waren. Die Darstellung beginnt mit dem Erfassen eines immer wiederkehrenden Problems in einem Commons-Kontext und endet mit der eben beschriebenen Bewertung. Auch dieses Flussdiagramm ist auf das Beispiel Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten abgestimmt, doch die Vorgehensweise ist auf alle Muster übertragbar.

Entscheidungsverläufe im Forschungsprozess

Verlaufsdiagram

Vom Seinsverständnis zu Methoden

Wichtig ist uns abschließend die Feststellung, dass das gesamte Vorgehen an theoretische Grundlagen gebunden ist und eine relationale sowie prozessuale Ontologie »in sich aufnimmt« beziehungsweise reflektiert. Dies erklärt folgende Vorzüge:

  • Kontextbezogenheit
  • Konkretheit (im Sinne der Fundierung in konkreten Lebenswelten)
  • Methodologie stimuliert individuelle und kollektive Selbstreflexion
  • Ergebnis ist prinzipiell offen und adaptierbar

Schematisch ausgedrückt:

Das bedeutet auch: Muster sind nicht wie Legosteine, die nur in vorgegebener Art und Weise zusammenpassen. Die Möglichkeiten der Verbindung einzelner Elemente – etwa von gelungenen Lösungen – sind nicht vorstrukturiert. Aus der kreativen Kombination von Ideen kann daher etwas Neues entstehen, das in den Einzellösungen nicht angelegt war.

Zum Umgang mit Mustern

Für alle Interessierten und für Forschende – für Praxis und Theorie – ist die Verknüpfung von Mustern und Commons deshalb so fruchtbar, weil das Mustern nicht nur erlaubt, in der Vielfalt der Commoning-Prozesse eine Ordnung zu erkennen und damit Commoning inhaltlich zu bestimmen, sondern Muster unterstützen die Commoners dabei, diese Ordnung herzustellen.

Praktikerinnen und Praktiker können Muster einsetzen um …

  • Sprache zu finden für das, was sie ohnehin schon tun;
  • Selbstreflexion zu strukturieren und eigene Stärken und Schwächen zu identifizieren;
  • gute Ideen aufzugreifen und für eigene Problemlösungen einzusetzen – das heißt, Muster in angepasster Form im eigenen Kontext anzuwenden;
  • auf den je eigenen Kontext zugeschnittene spezifische Muster zu entwickeln.

Forschende können Muster einsetzen um

  • sie zu überprüfen und weiterzuentwickeln, um so zur Konzeptualisierung von Commoning beizutragen;
  • Interviews und Forschungsfragen für die Feldforschung zu konzipieren;
  • alle generischen Muster gemeinsam als Forschungsrahmen einzusetzen; sie ermöglichen, die sozialen, institutionellen und ökonomischen Vorgänge in einem konkreten Kontext aus Commons-Perspektive zu erfassen, ähnlich wie die Designprinzipien nach Elinor Ostrom genutzt werden, um institutionelle Regeln abzugleichen.

Anhang III: Zur visuellen Grammatik der Illustrationen

Jede Illustration enthält Information auf zwei Ebenen. Die erste Ebene ist die Kugel, um die sich Punkte oder Quadrate bewegen. Diese Ebene repräsentiert die Umgebung/den Kontext. Die zweite Ebene enthält Punkte und Quadrate. Sie liegen – in vielfältigen Anordnungen – auf der Kugel. Diese Ebene repräsentiert Subjekte/Handelnde und Prädikate/Handlungen.

Ebene 1: Kugel

Alles geschieht in Beziehung zu einer oder mehreren semi-transparenten Kugeln, innerhalb dieser Kugeln, zwischen ihnen beziehungsweise und um sie herum.

Commons

Commons sind komplexe, adaptive, lebendige Prozesse, in denen Vermögenswerte geschaffen und Bedürfnisse befriedigt werden.

Die Kugel ist das Bild für Commons, geformt durch eine dynamische Textur, die im Wesentlichen aus Punkten und Quadraten besteht. Diese Elemente stehen für verschiedene Realitäten und/oder die Teilhabe von Commoners an den interdependenten Beziehungen mit der Welt außerhalb des Commons.

Im Kontrast dazu werden das kapitalistische System oder seine Elemente durch Quadrate dargestellt – in unterschiedlichen Schattierungen und Texturen.

Commoning

Innen Außen
Commoning ist ein offener Prozess, in dem Menschen situationsspezifische Formen bewusster Selbstorganisation (Peer Governance) erkunden und verwirklichen. Sie stellen zugleich selbstbestimmt Nützliches und Sinnvolles für sich und andere her. Menschen, Dinge oder Ideen, die von außen kommen oder nach außen gehen (z.B. vom/zum Markt).
Innerhalb derselben Commoning-Erfahrung. Zwischen verschiedenen Commoning-Erfahrungen.
Lokal Global, Netzwerk, Verbund.

Kugel und Punkte sind abstrakte Repräsentationen ähnlicher Phänomene. Sie repräsentieren also verschiedene Commons (Kugel) und verschiedene Subjekte/Handelnde (Punkte). Beide sind dynamisch (nicht-statisch) und kreisförmig; und beide existieren je einzeln und doch bezogen aufeinander und in Pluralität.

Ich bin, weil wir sind, und weil wir sind, deshalb bin ich. Das Individuum ist Teil eines »Wir« – genau genommen vieler »Wirs«

Ebene 2: Punkte & Quadrate, Verläufe & Flächen

Commoners

Eine Identität und soziale Rolle, die Menschen annehmen, wenn sie Commoning praktizieren.

Communion

Sie beschreibt unsere Beziehungsvielfalt zur Mehr-als-menschlichen-Welt: vom ungläubigen Staunen zur unbedingten Abhängigkeit, zum Teil-Sein.

Punkte und Quadrate gruppieren sich zu Verläufen und Flächen und deuten so die(räumlichen) Beziehungen innerhalb und außerhalb der Kugel/n an.

Die Verläufe miteinander gruppierter Punkte und Quadrate stehen für Verbindungen/Beziehungen, für die Richtung konkreter Handlungen und eine räumliche Dimension. Solche Verläufe gehen in größeren Flächen auf.

Miteinander gruppierte Punkte und Quadrate liegen – in vielfältigen Anordnungen – auf der Kugel, hüllen sie ein, gehen durch sie hindurch und schaffen so dynamische Formen.

Punkte und Quadrate, Verläufe und Flächen haben unterschiedliche Eigenschaften:

Größe = verschiedene Realitäten
Die Größe der Elemente drückt unterschiedliche Realitäten aus.

Dichte = Kraft/Macht
Dichte wird durch ein größeres Volumen der Elemente erreicht und dadurch, dass zwischen ihnen weniger Freiraum bleibt oder dass sie überlappen.

Bewegung/Wandel = Lebendigkeit
Richtung wird dadurch sichtbar gemacht, dass die dargestellten Elemente in ihrer Größe, Anzahl und Dichte ständig weniger werden und »auslaufen«. Der »Kopf« des »Schweifes« ist durch voluminösere und dichter angeordnete Punkte geformt.

Organische vs. geordnete Anordnung = Freie vs. geregelte Handlungen/Beziehungen

Aus all diesen Elementen entstehen graphisch Beziehungsdynamiken.

Zu sagen, die Welt sei ein Pluriversum, beinhaltet, dass es nicht nur eine einzige Quelle des Daseins gibt und dass kein Wissenssystem anderen inhärent überlegen ist. Ein Pluri- versum ist »eine Welt, in die viele Welten passen«.

Graphische Darstellung unterschiedlicher Beziehungsdynamiken in den Muster­ illustrationen:

Konvergenz: ausgedrückt durch eine spiralförmige Anordnung
Gemeinsam herstellen und bereitstellen: ausgedrückt durch Verflechtungen, eine zopfähnliche Anordnung
Analyse und Reflexion: ausgedrückt durch konzentrische Kreise oder eine augenförmige Anordnung
Weitergeben/Aufteilen: ausgedrückt durch eine wellenförmige Anordnung
Liebevolle Beziehungen (Vertrauen, (Für-)Sorge...): ausgedrückt durch eine konkave, wiegenförmige Anordnung (eingebettet/genährt sein)

Die Darstellungen sind von © Mercè M. Tarrés, basierend auf einem Entwurf von Federica di Pietro und Chiara Rovescala. Barcelona, Spain January 2019 N.B. All images © Mercè M. Tarrés, 2019, licensed under a Peer Production License (https://wiki.p2pfoundation.net/Peer_Production_ License).


  1. Eine detaillierte Darstellung samt einer ontologischen Begründung findet sich in: Silke Helfrich: Lebensform Commons. Eine musterbasierte und ontologisch begründete Bestimmung, Masterarbeit, Cusanus Hochschule, Institut für Ökonomie, 2018.
  2. Christopher Alexander: The Nature of Order, Book 1-4, The Phenomenon of Life, London: Routledge, 2001-2005.
  3. Siehe dort insbesondere: Helmut Leitner: Mit Mustern arbeiten. Eine Einführung, https://band2.dieweltdercommons.de/essays/mit_mustern_arbeiten.html.
  4. Anders ausgedrückt: Das Vorgehen muss den in Kapitel zwei formulierten Einsichten angemessen sein und zudem den sogenannten »methodologischen Individualismus« überwinden.
  5. Michael Polanyi: Implizites Wissen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 1985; Peter Finke: Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien, München: oekom, 2014.
  6. Ein Muster des Commoning kann ein sogenanntes Antimuster des kapitalistischen Wirtschaftens sein.
  7. In der schematischen Darstellung des Erkenntnisprozesses (s.u.) habe ich den Moment des Versprachlichens als ein »Erfassen und Abstrahieren« bezeichnet (Erfassen im Sinne Alfred N. Whiteheads).
  8. Neben uns als Autoren noch die Beteiligten an Musterworkshops, Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, Testleserinnen und Testleser.
  9. Es gab keine hypothetischen Fragen wie: Was solltet Ihr tun? Was würdet Ihr tun, wenn...?
  10. Ausnahmen wie: »Habt Ihr Rituale?« wurden umgehend präzisiert: »Welche? Bitte beschreibe sie.«
  11. Spezifische Muster sind konkreter, sie sind in den generischen enthalten. Ein Muster kann beides zugleich sein. Zur Veranschaulichung mag diese Wortfolge dienen: | Nadel → Zweig → Baum → Wald | Der Zweig ist in Bezug zum Baum spezifisch und im Bezug zur Nadel allgemein. Ähnlich verhält es sich mit Mustern.
  12. Christopher Alexander, Sara Ishikawa, Murray Silverstein, Max Jacobson, Ingrid Fiksfahl-King und Shlomo Angel: Eine Muster-Sprache. Städte, Gebäude, Konstruktion, Wien: Löcker (1995, engl: 1977), S. XIV.