Teil 1 – Commons grundlegen

Kapitel 1. Von Commons & Commoning

Kapitelüberschriften


Können Menschen miteinander kooperieren? Nicht nur als Folge einer Bitte oder Aufforderung, sondern quasi selbstverständlich im kleinen wie im großen Maßstab? Vieles deutet darauf hin. Zumindest konnte bislang kein Eigenbrötler-Gen nachgewiesen werden, das sinnvolle Kooperation verhindern würde. Ganz im Gegenteil! So beschrieb der US-amerikanische Anthropologe Michael Tomasello ein denkwürdiges Experiment, in dem ein Kleinkind wachen Auges eine Erwachsene beobachtet, die einen Armvoll Bücher trägt und damit immer wieder gegen eine Schranktür stößt. Sie kann offensichtlich den Schrank nicht öffnen. Das Kleinkind wirkt besorgt. Es geht zum Schrank, öffnet die Tür und fordert die unbeholfene Erwachsene auf, die Bücher in den Schrank zu stellen. In anderen Experimenten gelingt es einem Erwachsenen nicht, einen Schreibblock auf einen Stapel anderer Blöcke zu legen. Ein Kleinkind, das dem ungeschickten Mann gegenübersitzt, greift die heruntergefallenen Blöcke und legt sie auf den Stapel. Und noch ein Beispiel: Eine Erwachsene, die Papiere zusammengeheftet hat, verlässt den Raum. Bei ihrer Rückkehr stellt sie fest, dass jemand den Hefter weggelegt hat. Ein einjähriges Kleinkind scheint das Problem sofort zu erfassen, will helfen und zeigt auf den gesuchten Hefter, der auf einem Regal liegt.

Tomasello und sein Team ziehen aus solchen Experimenten einen grundlegenden Schluss: Menschen erkennen in konkreten Situationen intuitiv den Sinn und die Notwendigkeit, anderen Menschen zu helfen und mit ihnen auch ohne Aufforderung für das Gelingen eines nützlichen Ziels zu kooperieren. In ihrem akribischen Bemühen, den Ursprüngen der menschlichen Kooperation auf den Grund zu gehen, wollten die Forscher den entsprechenden Impuls und die daraus folgenden Mechanismen identifizieren und so herausfinden, worin sich das menschliche Verhalten von dem anderer Spezies unterscheidet. Nach Jahren der Forschung kamen sie zu dem Ergebnis: »Etwa vom ersten Geburtstag an – wenn Menschenkinder anfangen zu sprechen und zu laufen und sich zu wahrlich kulturellen Wesen entwickeln – sind sie in vielen Situationen kooperativ und hilfreich, aber offensichtlich nicht in allen. Und sie lernen dies nicht von Erwachsenen, sondern es kommt von allein.«[1] Aber auch 14 bis 18 Monate alte Kleinkinder zeigen, dass sie außer Reichweite liegende Gegenstände holen, anderen Menschen Hindernisse aus dem Weg räumen, Fehler von Erwachsenen korrigieren und das richtige Verhalten für eine vorgegebene Aufgabe an den Tag legen. Selbstverständlich wird alles viel komplizierter, sobald sie älter werden und beginnen, sich an ihre soziale Umgebung anzupassen. Sie lernen, dass manche Menschen nicht vertrauenswürdig sind. Sie erfahren, dass Güte oder freundliche Gesten nicht immer erwidert werden. Sie beginnen, Normen und Erwartungen zu übernehmen, vor allem solche, die sich tief in die Gesellschaft eingegraben haben: Sie lernen Bildung mit wirtschaftlichem Erfolg zu verknüpfen, das eigene Ansehen durch Marken zu unterstreichen und Befriedigung im Kaufen oder Verkaufen zu finden. Doch während diese dramatische Prägung des Einzelnen vonstattengeht, bleiben wir doch zur Kooperation fähig. Wir Menschen haben ein einzigartiges Potenzial. Wir können eine gemeinsame Absicht ausdrücken und entsprechend handeln. »Was uns wirklich unterscheidet [z.B. von den Primaten], ist die Fähigkeit, unsere Köpfe zusammenzustecken und Dinge zu tun, die niemand allein tun könnte, und Neues zu schaffen, das wir allein nicht schaffen könnten«, sagt Tomasello. »Im Grunde dreht es sich darum, zu kommunizieren, zusammenzuwirken und zusammenzuarbeiten.« Wir sind zu all dem fähig, weil wir begreifen können, dass Andere auch ein Seelenleben mit Emotionen und Intentionen haben, weil wir Empathie besitzen. Unsere Idee vom Dasein geht, sobald wir darüber etwas genauer nachdenken, über eine reine Selbstbezogenheit hinaus. Individuelle Identität ist immer auch Teil kollektiver Identitäten. Sie prägen mit, wie eine Person denkt, sich verhält und Probleme löst. Unsere Beziehungen mit unseresgleichen und als Teil der Gesellschaft drücken uns ebenso den Stempel auf wie die Sprache, Rituale und Traditionen, die eine Kultur ausmachen. Kurz: es gibt kein isoliertes Ich. Die Vorstellung, wir seien »Self-Made«-Individuen, ist eine Illusion. Wie wir noch zeigen werden, ist jede und jeder von uns tatsächlich ein Ich-in-Bezogenheit. Wir leben nicht nur in Beziehungen, sondern unsere Identität entsteht aus Beziehungen heraus. Der Begriff Ich-in-Bezogenheit hilft, dies im Blick zu behalten und unserem besonderen Potenzial besser gerecht zu werden. Schließlich sind wir, wie die Ökonomen Samuel Bowles und Herbert Gintis sagen, eine wahrlich »kooperative Spezies«.[2] Die Frage ist nicht, ob es diesen tiefen menschlichen Instinkt gibt. Die Frage ist, ob und wie seine Entfaltung gefördert wird. Und wenn unsere Kooperationsfähigkeit gefördert wird, geschieht dies dann um allen zu dienen, oder wird sie stattdessen auf engstirnige Anliegen gerichtet?

Ein Missverständnis

Die Welt als Commons zu denken und zu gestalten bedeutet, unsere Kooperationsfähigkeit so zu nutzen, dass sich niemand über den Tisch gezogen fühlt, aber auch niemandem ein Platz am Tisch verweigert wird.

In unseren Büchern Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat (2012) und Die Welt der Commons – Muster gemeinsamen Handelns (2015) dokumentierten wir Dutzende bemerkenswerte Commons, die die große Bandbreite und Wirkkraft des Commoning in der Gegenwart zeigen. Die Fähigkeit, selbstorganisiert und unabhängig von Staat oder Markt unsere Bedürfnisse zu befriedigen, ist in Gemeinschaftswäldern, kooperativ betriebenen Landwirtschafts- und Fischereigebieten, in unzähligen Open-Source-Design-Projekten und global vernetzten Fertigungsgemeinschaften, in lokalen und regionalen Währungen und zahllosen weiteren Beispielen in allen Lebensbereichen sichtbar. In solchen ermutigenden Projekten zeigt sich diese fundamentale menschliche Motivation, mit der wir geboren werden: mit anderen an einem Strang zu ziehen und einander zu unterstützen. Sie reift zu einer stabilen sozialen oder institutionellen Struktur in zahllosen Variationen: zu einem Commons. Menschen folgen diesem Impuls zum produktiven Miteinander in einem Commons – zum Commoning – unter den unterschiedlichsten Gegebenheiten: in ihren Stadtvierteln; in von Naturkatastrophen betroffenen Regionen; auf Subsistenzfarmen weltweit oder in den sozialen Netzwerken des Cyberspace. Dennoch werden Commons selten als omnipräsente soziale Struktur betrachtet, und Commoning wird nicht als eigenständige, soziale Kraft anerkannt. Das mag an ihrem unauffälligen Dasein im Schatten von Staat und Markt liegen.

Über Commons zu sprechen bedeutet aber, Freiheit in Verbundenheit zu erleben; das heißt, einen Raum mit einem gerüttelt Maß an Selbstbestimmung zu eröffnen und uns darin als Mensch im Ganzen neu zu erfahren. Der Diskurs um Commons und Commoning lässt uns die Welt in einem anderen Licht sehen. Er zeigt einen Weg in eine stabile, postkapitalistische Ordnung. Er macht plausibel, wie wir zu einer humaneren und enkeltauglichen Gesellschaft beitragen können. Wenn Akte des Commoning stärker wahrgenommen und diskutiert werden, können sie unsere Handlungsmöglichkeiten erweitern. Darum geht es auch in diesem Buch.

Um es ganz deutlich zu sagen: Commons sind keine utopische Fantasie. Sie existieren, sie verändern sich – heute wie seit Tausenden von Jahren. Es gibt sie in Dörfern und Städten, im Süden und im Norden, in ursprünglichen, überschaubaren Communities sowie in hochmodernen, unüberschaubaren Cyber-Gemeinschaften. Existierende Commons umfassen manchmal einige Dutzend Menschen, manchmal einige Zehntausend. Die erste Aufgabe, der wir uns stellen wollen, besteht also darin, die vielen Akte des Commoning zu erkennen, sie zu benennen und allgemein lesbar zu machen. Denn um Commons zu schützen, zu stärken und zu vervielfältigen, müssen wir sie zunächst wahrnehmen und verstehen. Das ist die Aufgabe der folgenden Kapitel. Zunächst geht es darum, einen neuen, allgemeinen Deutungsrahmen – ein sogenanntes »Framework« – für das Verständnis von Commons und Commoning zu entwerfen.

Commoning bedeutet nicht einfach, etwas zu teilen oder gemeinsam zu nutzen, wie wir das aus dem Alltag kennen. Es bedeutet, zu teilen beziehungsweise gemeinsam zu nutzen und zugleich dauerhafte soziale Strukturen hervorzubringen, in denen wir kooperieren und Nützliches schaffen können. Bei Commons geht es auch nicht um die irreführende Bedeutung in der sogenannten »Tragik der Allmende« (der Tragedy of the Commons). Diese Wendung wurde durch den gleichnamigen, 1968 in der einflussreichen Fachzeitschrift Science veröffentlichten Aufsatz des Biologen Garrett Hardin allgemein bekannt.[3] Paul Ehrlich hatte gerade Die Bevölkerungsbombe publiziert, die malthusianische Darstellung einer Welt, die von der schieren Zahl der Menschen überwältigt wird. Vor diesem Hintergrund beschrieb Hardin die fiktive Parabel einer gemeinsam genutzten Weide, die dem Eigennutz zum Opfer fällt. Die einzelnen Hirten würden, so Hardin, keinen »rationalen« Anreiz haben, die Anzahl ihrer Schafe auf der gemeinsamen Weide sinnvoll zu begrenzen: jeder Hirte würde so viel der gemeinsamen Ressource wie möglich nutzen, mit dem Ergebnis, dass sie unweigerlich übernutzt und zerstört würde – das sei die »Tragik der Allmende«. Nach Hardins Argumentation ist sie nur zu lösen, indem entweder private Eigentumsrechte an der betreffenden Ressource gewährt werden oder sich der Staat der Verwaltung annimmt – sei es als öffentliches Eigentum oder durch Landvergabe nach dem Prinzip: wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Diese überzogene Geschichte wurde in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie in der Politik endlos wiederholt. Hardins Artikel wurde im Laufe der Zeit zum am häufigsten zitierten Artikel in der Geschichte von Science, und die Wendung »Tragik der Allmende« ist zu einem Schlagwort geworden. Auch dies begründet, warum Commons heute weithin als gescheitertes Managementregime betrachtet werden. Dabei weist Hardins Analyse schwerwiegende Mängel auf. Der gravierendste darunter: was er beschrieb, war keine Allmende, kein Commons. Vielmehr handelt die Parabel vom Kampf aller gegen alle, in dem nichts jemandem gehört und sich alle alles nehmen können – es ist eine Art »Kampf ums Niemandsland«. Der Autor und Wissenschaftler Lewis Hyde hat deshalb (mit einem Augenzwinkern) vorgeschlagen, Hardins These umzubenennen, und zwar in »Die Tragik des Laissez-faire, der nicht bewirtschafteten, gemeinsam genutzten Ressourcen mit einfachem Zugang für nicht kommunizierende, eigennützige Individuen«.[4] In einem wirklichen Commons funktionieren die Dinge anders. Eine klar umrissene Gemeinschaft regelt die gemeinsame Bewirtschaftung und Nutzung gemeinsamen Vermögens. Nutzerinnen und Nutzer verhandeln ihre eigenen Regeln. Sie weisen Verantwortlichkeiten und Berechtigungen zu und überwachen die Regeleinhaltung, um Trittbrettfahrerinnen und Trittbrettfahrer zu identifizieren und zu sanktionieren. Dies ist wichtig, damit nicht die Grundlage des ganzen Commons erodiert.

Man kann immer an endlichen Ressourcen Raubbau betreiben – aber das ist eher der Effekt einer ungezügelten Marktwirtschaft als ein Ergebnis von Commoning. Es ist kein Zufall, dass das sechste Massensterben der Erdgeschichte[5] , ein noch nie dagewesener Verlust an fruchtbarem Boden und eine gefährliche Erderwärmung in einer Zeit stattfinden, in der kapitalistische Märkte und private Eigentumsrechte dominieren.

Wie wir in diesem Buch sehen werden, haben Commons so viele Facetten, dass eine einzige Art, sie zu beschreiben, dem Phänomen kaum gerecht werden kann. In Kapitel 3 werden wir dennoch eine allgemeine Definition anbieten, doch zunächst sind einige Begriffe zu klären. Sie werden häufig mit Commons in Zusammenhang gebracht werden, bedeuten jedoch nicht dasselbe.

Was Commons sind und nicht sind

Commons sind lebendige soziale Strukturen, in denen Menschen ihre gemeinsamen Probleme in selbstorganisierter Art und Weise angehen. Leider werden sie häufig als Ressourcen beschrieben, die niemandem gehören – etwa Meere, das Weltall und der Mond – oder die sich in Gemeinschaftseigentum befinden – Wasser, Wälder und Land. Commons wird also mit Begriffen zusammengebracht, die etwas Anderes bedeuten und dabei oft mit diesen verwechselt werden. Wir stellen solche Begriffe hier vor, um nicht nur Missverständnisse zu verhindern, sondern auch, um noch einmal die moderne, ökonomische Weltsicht darzustellen, die sich auf Dinge und Individuen kapriziert statt auf Beziehungen und Systeme.

Gemeingüter[6] (»common goods«): Der Begriff kommt aus der Wirtschaftswissenschaft. Sie unterscheidet zwischen bestimmten »Güterarten« – Gemeingüter, Klubgüter, öffentliche Güter und private Güter. Der Zugang zu Gemeingütern soll schwierig zu begrenzen sein. Im Jargon der Neoklassik gelten sie daher als »nicht ausschließbar«. Zudem sind sie sind nicht in unerschöpflicher Fülle vorhanden. Sie gelten daher als »rival«. Tatsächlich werden sogenannte Gemeingüter oft weniger, wenn wir sie aufteilen oder nutzen. Sie werden aufgebraucht. Dennoch ist es irreführend, Gemeingüter als »nicht ausschließbar« und »rival« zu bezeichnen. Zum einen sind Güter nicht rival. Nicht Güter rivalisieren, sondern Menschen rivalisieren um deren Nutzung. Güter sind erschöpflich. Zum anderen sind Ausschließbarkeit und Erschöpflichkeit nicht einem Gut selbst inhärent. Nicht das Gut ist exklusiv – also ausschließbar –, sondern Menschen werden von anderen Menschen ausgeschlossen (oder nicht). Auch die Erschöpflichkeit eines Allmendeguts ist nur dann problematisch, wenn wir unangemessene Entscheidungen über die Nutzung von Wasser, Land, Raum oder Wäldern treffen. Und schließlich verführt der wirtschaftswissenschaftliche Begriff »Gut« dazu, Land, Wasser oder Wald in erster Linie als etwas zu sehen, das nach Kriterien des Marktes bewertet und gehandelt werden kann. Viele Kulturen lehnen eine solche Interpretation ab.

Gemeinressourcen (auch: Gemeinsam genutzte Ressourcen, »common-pool resources«, CPRs) Dieser Begriff wird meist von Commons-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern in der Tradition von Elinor Ostrom verwendet. Wenn sie die Bewirtschaftung gemeinsamer Fischgründe, Grundwassereinzugsgebiete oder Weiden erforschen, sprechen sie von diesen Gründen, Gebieten und Ländereien als CPR, als Gemeinressource. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Menschen mit diesem gemeinsamen Naturvermögen umgehen und wie sie dabei Übernutzung vermeiden können. Der Begriff Gemeinressource (CPR) ist dem der Gemeingüter in Konzeptualisierung und Anwendung sehr ähnlich. Beide klammern aus, dass auch das, was mehr wird, wenn wir es teilen – so wie Wissen oder Code –, uns gemeinsam zukommen kann.

Gemeineigentum (»common property«): Während ›gemeinsam genutzte Ressource‹ oder ›Gemeingut‹ sich auf die im Zentrum stehende Sache als solche bezieht (den Fischgrund, das Wassereinzugsgebiet, das Weideland) geht es beim Gemeineigentum um ein Rechtssystem, das formale Rechte auf Zugang oder Nutzung gewährt. Gemeinressource und Gemeingut verweisen beispielsweise auf das Wasser selbst, während Gemeineigentum sich auf das Rechtssystem bezieht, das reguliert, wie Menschen das Wasser nutzen dürfen. Von Eigentumsregimen zu sprechen bedient ein ganz anderes Register als Verweise auf Wasser, Land, Fischgründe, Softwarecode und Wissen als solche. Letzere können in sehr unterschiedlichen rechtlichen Regelungen bewirtschaftet werden. Es handelt sich also um zwei unterschiedliche Dinge. Commoners mögen sich für eine Form des Gemeineigentums entscheiden oder mehrere Eigentumsformen kombinieren. Das jeweilige Eigentumsregime bildet jedoch nicht den Kern des Commons.

Gemeinsame, das (»the common«): Vom Gemeinsamen ist zum Beispiel im »Common Wealth« von Michael Hardt und Antonio Negri die Rede. Und das ist kein Übersetzungsfehler. The common statt commons, heißt es dort. Das Gemeinsame ist das, was wir teilen, gemeinsam produzieren und gemeinsam regeln. Als politisches Projekt existiert es nicht einfach neben dem Privaten und dem Öffentlichen, sondern entfaltet sich auf einer anderen, unter anderem affektiven, Grundlage. Das Gemeinsame gilt Hardt/Negri als Beginn und Ergebnis ihrer »biopolitischen Ökonomie«. Tatsächlich kommt das vielen Grundgedanken in diesem Buch sehr nah. Und doch verwirrt der Begriff, vor allem im Deutschen, weil er unzureichend ist – das Gemeinsame kann auch das Gemeinsame der Mafia sein.

Gemeinwohl (»the common good«): Der Begriff ist bereits seit der griechischen Antike bekannt und bezieht sich auf die Idee, für das Beste aller Mitglieder einer Gesellschaft zu sorgen. Es ist ein schillernder Gemeinplatz ohne klare Bedeutung, denn praktisch jedes politische und ökonomische System behauptet, es schaffe die meisten Vorteile für alle.

Commons in Beispielen

Sich mit Commons vertraut zu machen, gelingt am besten über einige aus dem Leben gegriffene Beispiele wie die folgenden fünf. Diese Beispiele werden uns helfen, Commons als theoretischen Rahmen für soziales Miteinander, eine bedürfnisorientierte Ökonomie und sogar für Governance, also eine gelingende Selbstorganisation, zu begreifen. Dabei ist jedes Commons einzigartig. Es gibt keine Universalmodelle oder Patentrezepte, keine Best Practices oder Schablonen für Commons und Commoning, denn jedes Commons ist bei aller Gemeinsamkeit einzigartig; doch es gibt konkret nachvollziehbare Erfahrungen und aufschlussreiche Muster, die uns inspirieren können.

Das Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien ist zu einer Siedlung gewachsen. Dort leben 85.000 vertriebene Syrerinnen und Syrer, die seit 2012 nach und nach eingetroffen sind. Es mag merkwürdig erscheinen, dass wir an diesem Beispiel die Ideen dieses Buches erläutern wollen. Doch mitten in einer desolaten Landschaft haben die Menschen große und durchdachte Systeme von Notunterkünften, Stadtteilen und Straßen entwickelt – die Hauptstraße heißt »Champs Élysées« –, und es gibt sogar ein Adresssystem. Nach Angaben des UNO-Beamten Kilian Kleinschmidt, der früher die Leitung des Lagers innehatte, gab es dort im Jahr 2015 »14.000 Haushalte, 10.000 Abwasserbehälter und private Toiletten, 3.000 Waschmaschinen, 150 private Gärten und 3.500 neue Firmen und Geschäfte«. Ein Reporter, der das Lager besuchte, stellte fest, dass manche der aufwendigsten Häuser dort »ein Flickwerk aus Notunterkünften, Zelten, Betonsteinen und Schiffscontainern sind, mit Innenhöfen, privaten Toiletten und notdürftig zusammengeschusterten Abwasserrohren«. Die Siedlung hat ein Friseurgeschäft, eine Zoohandlung, einen Blumenladen und eine Eisdiele mit hausgemachter Eiscreme. Es gibt einen Pizza-Lieferdienst und ein Reisebüro, das einen Abholservice zum Flughafen anbietet.

Natürlich ist die ohnehin spärliche Infrastruktur von Zaatari in schlechtem Zustand, leidet der Ort unter etlichen Problemen. Und natürlich liegt die oberste Verantwortung beim Staat Jordanien und den Vereinten Nationen. Was Zaatari jedoch als Flüchtlingslager so bemerkenswert macht, ist die bedeutende Rolle der Selbstorganisation beim Auf bau dieser improvisierten, aber dennoch stabilen Stadt. Es handelt sich nicht einfach um ein behelfsmäßiges Camp zum Überleben, wo erbarmungswürdige Menschen Schlange stehen, um Nahrungsmittel zu bekommen, wo Verwaltungspersonal professionelle Dienstleistungen erbringt und die Menschen in erster Linie wie hilflose Opfer behandelt werden. Vielmehr ist es ein Ort, an dem Geflüchtete ihre eigene Energie und Fantasie einbringen konnten, um die Siedlung aufzubauen. Sie haben einen Teil der Verantwortung für die Selbstverwaltung übernehmen und dadurch die Macht über die Gestaltung ihres eigenen Lebens wie auch ihre Menschenwürde wiedererlangen können. Man könnte sagen, dass die Menschen, die Zaatari verwalten und bewohnen, einige Vorzüge des Commoning erkennen konnten. Wenn Sie meinen, dass wir hier etwas zu weit gehen, bedenken Sie, was das Beispiel über die Macht der Selbstorganisation erzählt – einem Kernkonzept der Commons.

Der niederländische Krankenpfleger Jos de Blok war von der ständigen Verschlechterung der häuslichen Pflege in seiner Stadt Almelo erschüttert: »Die Qualität wurde immer schlechter, die Zufriedenheit der Menschen nahm ab, und die Kosten gingen in die Höhe«, stellte er fest. De Blok und ein kleines Team professioneller Pflegekräfte beschlossen daraufhin, eine eigene Organisation für häusliche Pflege zu gründen: Buurtzorg Nederland. Anstatt die Pflege am Fließbandmodell auszurichten und als Marktdienstleistung zu konzipieren, die unter strikter Arbeitsteilung in messbaren Einheiten geliefert werden muss, setzt Buurtzorg auf kleine, selbstverwaltete Teams hochqualifizierter Pflegekräfte, die sich um 50 bis 60 Personen in einer Nachbarschaft kümmern (der Name »Buurtzog« bedeutet auf Niederländisch »Nachbarschaftspflege«). Die Pflege ist ganzheitlich. Sie orientiert sich an den vielen persönlichen Bedürfnissen, der sozialen Situation und den Bedingungen der einzelnen Patientinnen und Patienten. Wenn eine Pflegekraft jemanden das erste Mal aufsucht, gibt es zunächst ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee. Gute Pflege lässt sich nicht vorprogrammieren. Sie muss besprochen werden. »Menschen sind keine Fahrräder, die sich anhand eines Organigramms organisieren lassen«, findet de Blok. Buurtzorg-Pflegekräfte folgen daher einer (in Commons allgegenwärtigen) Zeitverausgabungslogik. Sie praktizieren damit das Gegenteil der Zeiteinsparungslogik, nach der alles immer effizienter und wettbewerbsfähiger organisiert werden muss – und die Menschen vergessen werden. Buurtzorg ist ein gutes Beispiel für eines der Commoning-Muster, die wir in Kapitel 4-6 detaillierter beschreiben. Wir nennen es: (Für-)Sorge leisten & Arbeit dem Markt entziehen. [7]

Interessanterweise führt die Idee, mehr Zeit mit den Patientinnen und Patienten zu verbringen, dazu, dass diese weniger professionelle Pflegezeit benötigen. Das ist nicht wirklich überraschend, denn die Pflegekräfte versuchen im Grunde, sich möglichst überflüssig zu machen, was die Patientinnen und Patienten ermutigt, unabhängiger zu werden. Ein sich selbst verstärkender Zusammenhang. Eine Studie aus dem Jahre 2009 zeigte auf, dass die Buurtzog-Patientinnen und -Patienten doppelt so schnell aus der Pflege entlassen werden wie die Klienten anderer Pflegedienste, und sie benötigten letztlich nur 50 Prozent der Pflegestunden, die ihnen verschrieben worden waren. Die Pflegekräfte leisten das volle Spektrum an Betreuung, von medizinischen Maßnahmen bis hin zur Unterstützung der Körperpflege. Sie machen zudem informelle Pflegenetzwerke in der Nachbarschaft ausfindig oder helfen sie aufzubauen, unterstützen das soziale Leben und fördern die Selbstpflege und Unabhängigkeit.[8] Buurtzorg wird von den Pflegekräften selbst verwaltet, was durch eine einfache, flache Organisationsstruktur sowie durch Informationstechnologie u.a. inspirierende Blogposts von de Blok unterstützt wird. Buurtzorg arbeitet im großen Maßstab, ohne dass Hierarchie oder allgemeiner Konsens nötig wären. Entscheidungen werden dezentral getroffen, auf Grundlage gemeinsamer Kriterien. Das ist ein Muster. Wir nennen es: Gemeinstimmig entscheiden. Ende 2018 waren bei Buurtzorg über 10.000 Pflegekräfte in 870 Nachbarschaftsteams beschäftigt, die im ganzen Land circa 110.000 Menschen pflegten. Ähnliche Initiativen starteten in den USA und anderen Ländern Europas. In Deutschland entstehen zehn Jahre nach der Gründung des Originals Ableger dieser »Pflege auf Augenhöhe,« etwa Care4Me.[9] Die erste Buurtzorg-Konferenz fand hierzulande am 1. Oktober 2018 statt. Nach Jahren erfolgreicher Praxis steht fest: das Buurtzorg Modell ermöglicht, an menschlichen Bedürfnissen orientierte häusliche Pflege zu relativ geringen Kosten in hoher Qualität. Einer KPMG-Studie zufolge wurden über diesen Ansatz die Besuche in der Notaufnahme bis 2015 um 30 Prozent gesenkt und die Ausgaben von Steuergeldern für häusliche Pflege um 30 Prozent reduziert.[10] Zudem hat eine Studie von Ernst & Young ergeben, dass die Zufriedenheit der Belegschaft von Buurtzorg die höchste aller niederländischen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten ist. Diesen Rekord hält die Organisation über mehrere Jahre in Folge.

Seit 2011 experimentieren die beiden Architekten Alastair Parvin and Nicholas Ierodiaconou vom Londoner Architekturbüro Zero Zero Architecture mit offenem Design. Sie wollten herausfinden, was geschieht, wenn Architektinnen und Architekten nicht nur jenen beim Entwerfen und Bauen ihrer Häuser helfen, die sich die Beauftragung eines Architekten leisten können, sondern auch einfachen Menschen. Diese Idee wurde zum Kern eines erstaunlichen Projektes: dem Versuch, den Hausbau neu zu erfinden. Parvin und Ierodiaconou begannen, per CNC-Fabrikation[11] große, flache Werkstücke aus Sperrholz oder anderem Material digital zu entwerfen und zu bearbeiten. Sie veröffentlichten Open-Source-Dateien mit Entwürfen für Häuser, die von Interessierten verbessert sowie an unterschiedliche Lebenssituationen angepasst werden konnten. Mit der Zeit entstand ein Open-Source-Baukasten für die Schaffung von Wohnraum: einfach, günstig und energiearm. Er sollte Laien helfen, schnell und kostengünstig den Rohbau eines Hauses voran zu treiben. Die jungen Vordenker nannten das System WikiHouse.[12] Seit seinen bescheidenen Anfängen hat sich WikiHouse zu einer globalen Designgemeinschaft weiterentwickelt. 2018 gab es mehr als ein Dutzend Verbände und Laboratorien auf allen Kontinenten. Sie alle arbeiten unabhängig. Menschen aus über 30 Ländern tragen zum Gelingen bei. Gemeinsam mit der von WikiHouse gegründeten gemeinnützigen Stiftung verfolgen sie alle dasselbe Ziel: »jeder Bürgerin und jedem Bürger, jedem Unternehmen auf diesem Planeten die Entwürfe für kostengünstige, energiesparende, Hochleistungshäuser in die Hand zu geben«. WikiHouse lädt ein, kosmo-lokal zu produzieren. In kosmo-lokaler Produktion entstehe, so ist auf der Website zu lesen, »eine neue, dezentralisierte Wohnungsbaubranche, die aus vielen Menschen, Gemeinschaften und kleinen Unternehmen besteht, die für sich selbst Wohnraum und Nachbarschaften schaffen. Das macht uns unabhängiger vom hochverschuldeten Massenwohnungsbau, bei dem Entscheidungsprozesse von oben nach unten verlaufen.«

Die Philosophie für den Einsatz von Technologien, die Art des Wirtschaftens sowie die organisatorischen Prozesse sind in der WikiHouse-Charta erläutert. Eine solche Charta ist eine von vielen Möglichkeiten, wie Commoners sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten. Das wiederum ist ein Schlüsselelement bewusster Selbstorganisation, wie wir in Kapitel 5 sehen werden. Die WikiHouse-Charta listet 15 Grundprinzipien auf. Sie enthält Kernideen wie »Wissen global weitergeben, lokal produzieren«; »faul wie ein Fuchs sein« und das Rad nicht immer wieder neu erfinden, das Herstellen von Dingen einfacher machen (so, dass es weniger Zeit, Aufwand, Energie und spezifischer Fertigkeiten bedarf); auf »offene Standards« und Lizenzen setzen; und Nutzerinnen und Nutzer befähigen, Teile ihrer Häuser reparieren und modifizieren zu können, denn »Was Du nicht verändern kannst, gehört Dir nicht«. Der Umgang mit Entwürfen und Technologien, die an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden sollen, erinnert an das von Ivan Illich beschriebene Konzept der »konvivialen Werkzeuge«. Konviviale Werkzeuge nutzen setzt Kreativität frei und bringt mehr Autonomie. Hier kontrollieren die Menschen die Werkzeuge und nicht umgekehrt. Das ist bei nicht reparierbaren Technologien oder proprietärer Software anders. Sie schreiben uns vor, was wir tun können und was nicht.

Jeden Donnerstag machen sich die Mitglieder der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) Heilbronn[13] auf den Weg zum nächstgelegenen Gemüsedepot. Das Depot der Autorin befindet sich im Keller eines Einfamilienhauses. Der Zugang ist einfach, die Neugier allwöchentlich groß. Denn dort stehen – im Sommer einmal pro Woche, im Winter alle vierzehn Tage – frisch bestückte Kisten mit Kartoffeln, Paprika, Tomaten, Zwiebeln, Pak-Choi, Schnittlauch, Schnittbohnen, Artischocken, Radicchio und anderen saisonalen Produkten. Daneben hängt eine Liste, der zu entnehmen ist, welcher Anteil jedem Haushalt zukommt. Die Kiste zu füllen ist Freude und Überraschung zugleich. Im Sommer leuchten die Erzeugnisse bunt, im Winter dominieren erdigere Töne. Ich packe alles ein, hake meinen Namen ab – so dass alle wissen, was bereits verteilt ist – und fahre mit einem Gemüsevorrat aus biodynamischem Anbau nach Hause. Mag ich etwas nicht, lege ich es vorher noch flugs in die Tauschkiste. Wieviel ich in meine Kiste packe, hat im Moment der Abholung wenig mit Geld zu tun. Es hängt davon ab, wie die Ernte ausgefallen ist. Die Ernte wiederum hängt ab vom Zusammenspiel vieler Faktoren: von Saatgut- und Bodenqualität, Wetter und klimatischen Bedingungen, von der Lage, dem Fachwissen und sogar von der Stimmung auf dem Hof. In die Kiste kommt mein Anteil an der Ernte, entsprechend dem SoLaWi-Motto: Die Ernte teilen! Geteilt werden kann selbstredend nur was da ist, was vorher ausgesät, gepflegt, geerntet und in die Depots gebracht wurde. Das kostet natürlich auch Geld. Und hier liegt ein Schlüssel des Modells: alle Beteiligten geben vor dem Anbau ein monatliches Beitragsversprechen ab, das in der Regel für ein Jahr gilt. Damit sichern sie das Einkommen derjenigen, die auf den Höfen arbeiten, sowie die Finanzierung all dessen, was in der Landwirtschaft gebraucht wird. Oft geschieht das im Rahmen einer anonymen Bieterrunde. Das Budget, welches für die Finanzierung einer Jahresproduktion gebraucht wird, wird aufgestellt und allen Mitgliedern erklärt. Dann geht es los: zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Alle überlegen sich, was sie monatlich beitragen wollen und können und geben ihr Gebot ab. In meiner SoLaWi kommt dabei das Smartphone zum Einsatz. Für einen Moment schauen alle auf ihr Display, kurz darauf auf die Leinwand. Dort wird in Echtzeit angezeigt, wie sich die Beiträge aufsummieren. Ist der benötigte Betrag nach einer Runde erreicht, kann der Vorgang abgeschlossen werden. Meist aber gibt es zwei, manchmal auch drei Runden. Nicht selten wird zudem ein Mindestbeitrag festgelegt, der deutlich unter dem Beitragsdurchschnitt liegt.

Bieterrunden – statt festgelegter Preise – ermöglichen es, nicht nur gegenüber den Produzierenden, sondern auch unter den Mitgliedern solidarisch zu sein. Da die Beiträge im Wesentlichen selbstbestimmt sind, können auch Menschen mit niedrigen Einkommen dabei sein. Wer weniger hat, bietet weniger. Wer mehr hat, bietet mehr. Das ist die Grundidee. Und sie funktioniert erstaunlich gut. Über die Nennung des Richtbetrages zu Beginn des Bietverfahrens erfahren alle, welcher Betrag im Durchschnitt aufgebracht werden müsste. In unserer SoLaWi waren dies 83 Euro pro Einheit und Monat im Wirtschaftsjahr 2017/2018. Die Informationen rund um eine solche Bieterrunde bringen nicht nur Transparenz in die Produktionskosten, sondern schaffen auch ein Bewusstsein bei denjenigen, die nicht direkt mit Landwirtschaft zu tun haben. Sie erfahren, ob das Gewächshaus Schaden erlitten hat, der Traktor repariert werden muss oder welche Wasserrechnung bei extremer Trockenheit ins Haus steht. Ökonomisch gesehen ist also das Besondere an den SoLaWis, dass Menschen vor der Produktion zusammenlegen und nach der Ernte, wie immer sie ausfällt, den Ertrag aufteilen. So geschieht das in Deuschland, aber auch in Tausenden von sogenannten »gemeinschaftsgetragenen Landwirtschaften«, im Englischen »Community Supported Agricultures« (CSA), weltweit. Diese Praxis hat uns inspiriert, Poolen, Deckeln & Aufteilen als Muster eines sorgenden und selbstbestimmten Wirtschaftens zu formulieren (Kapitel 6). Wenn Mitglieder ihre Gebote abgeben, geben sie den Landwirten und Gärtnerinnen das erforderliche Betriebskapital. Dies bedeutet im Kern, dass sie das Produktionsrisiko gemeinsam tragen und Commons-Produktion finanzieren (Kapitel 5). Im Depot hole ich deshalb keine Ware[14] ab, auf der ein Preisschild klebt[15]. Das ist ein wichtiger Unterschied zu dem Wirtschaften, wie wir es kennen. Eine Gemeinsamkeit ist, dass auch hier arbeitsteilig produziert wird. Schließlich geht es nicht darum, dass jeder sein eigenes Brot bäckt und jede ihr eigenes Holz hackt. Es geht darum, das Produktionsrisiko zu teilen und weitere Muster umzusetzen, die wir in Kapitel 6 vorstellen. Dies verändert die Beziehungen zwischen allen Beteiligten und dem gesamten Wirtschaftsprozess. Kein SoLaWi-Bauer muss bei Missernten Entschädigungen beim Staat beantragen. Die Risiken – schlechtes Wetter, Pflanzenkrankheiten, kaputte Maschinen – werden gemeinsam geschultert. Und zwar von Menschen, die sich zunächst nicht kennen. Hoffeste, die jährliche Mitgliederversammlung mit der Bieterrunde oder die Möglichkeit auf dem Hof mitzuarbeiten – das sind Gelegenheiten zum Kennenlernen. Wie in jedem anderen Commons gilt auch hier: Rituale des Miteinanders etablieren (Kapitel 4) ist immer eine gute Idee. SoLaWis sind nicht einfach ein »anderes Geschäftsmodell für die Landwirtschaft«, sondern Beispiel für eine andere Produktionsweise, aus der sich eine Regionalisierung und Ökologisierung der Lebensmittelproduktion ergeben kann. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten verbessert »unser Bauer« die Bodenfruchtbarkeit, seit einigen Jahren tut er dies als »SoLaWi-Bauer«. Wir können es schmecken und auf den Feldern sehen. Gemulcht wird mit Beikräutern. Die Böden sind gesund. Die Randvegetation ist vielfältiger. Rund um den Hof ist offensichtlich, welche Äcker zur SoLaWi gehören und welche nicht.

Die SoLaWis in Deutschland sind auch von den Community Supported Agricultures inspiriert. Seit der Gründung der ersten CSA in den USA im Jahr 1986 ist eine internationale Bewegung entstanden. Das SoLaWi-Netzwerk in Deutschland ist dafür ein beredtes Beispiel.

Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft aktualisiert fortlaufend eine Karte, auf der alle SoLaWis verzeichnet sind, und informiert in einem Rundbrief über neue Initiativen.[16]

JahrAnzahl der SoLaWis
1988-20031
1998-20033
20079
201339
2015 (April)79
2016>100
2018 (Dezember)Ca. 200
Entwicklung der solidarischen Landwirtschaft in Deutschland zwischen 1988 und 2018
(eigene Zusammenstellung)

Allein in den USA gibt es 2018 circa 1700 CSAs.[17] Zwar sind einige davon kommerziell orientiert, doch auch sie suchen nach neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Landwirten, Beschäftigten und Mitgliedern. Die CSAs wiederum sind von Teikei inspiriert, einem ähnlichen Modell, das in Japan seit den 1970er Jahren enorme Verbreitung gefunden hat. Das Wort bedeutet »Kooperation« oder »Gemeinschaftsgeschäft«. Auch hier geht es um kleinbäuerliche Landwirtschaft, ökologischen Landbau und direkte Partnerschaften zwischen Bäuerinnen und Verbrauchern. Die 1971 gegründete Japanische Vereinigung für Ökologischen Landbau, die zu den Gründungsgruppen gehört, beschreibt ihre Motivation für Teikei mit dem Wunsch, »ein alternatives Vertriebssystem zu entwickeln, das nicht von konventionellen Märkten abhängt«.[18] Das CSA-Modell ist so solide, dass das Schumacher Center for a New Economics, welches die erste nordamerikanische CSA mit aus der Taufe hob, derzeit am Konzept einer Community Supported Industry (CSI) arbeitet. Warum sollte gemeinschaftsgetragene Gegenseitigkeit nicht auch für das Herstellen von Möbeln, Fahrrädern oder Werkzeugen nützlich sein?

Viele Menschen glauben, dass nur ein kapitalstarker Kabel- oder Telekommunikationskonzern mit guten Beziehungen in die Politik die Infrastruktur für WLAN-Dienste auf bauen kann. Die beherzten Aktiven von Guifi.net aus Barcelona haben gezeigt: auch Commoners können hochwertige, erschwingliche Internetanschlüsse auf bauen, unterhalten und betreuen. Das ist gerade für strukturschwache Regionen wichtig, die mangels Dichte – und damit Marktwert – uninteressant für kommerzielle Anbieter sind. Tatsächlich hat Guifi.net zunächst einen »Schweinebauernhof mit einem Kuhbauernhof« verbunden.[19] Internetzugang für alle, und zwar verknüpft mit einer Verpflichtung auf Gemeineigentum, Netzneutralität und gemeinschaftliche Kontrolle – das ist die Idee von Guifi.net. Von einem einzigen WLAN-Knoten 2009 ist das Netz insbesondere in den ländlichen Gebieten Kataloniens auf mehr als 35.000 Knoten sowie 63.000 Kilometer drahtlose Verbindung angewachsen (Juli 2018). Die Geschichte nahm ihren Anfang, als der spanische Ingenieur Ramon Roca einige handelsübliche Router dazu brachte, als Knoten in einem netzwerkartigen System zu fungieren. Dieses System war an eine einzige DSL-Verbindung angeschlossen, die Telefonica gehörte und über die Rocas Gemeinde versorgt wurde. Mit diesem zusammengeschusterten System konnten nun Menschen Internetdaten senden und empfangen, indem sie andere Router benutzten. Roca hatte die Router gehackt, nicht um Schaden anzurichten, sondern um ihr Potenzial zu nutzen. Er lebt auf einem Gehöft, umgeben von Feldern statt von Infrastruktur. Das Interesse konventioneller Anbieter reicht nicht bis dorthin. Rocas Idee zur Lösung des Problems mangelnder Internetverbindungen fand rasch Anklang. »Wir gaben den Plan bekannt, beschrieben die Kosten und baten um Spenden«, wird Roca in Wired zitiert. So ist das Netz über eine Art improvisiertes Crowdfunding gewachsen. Die Zahlungen gingen jedoch nicht an Guifi. net selbst, sondern an die Gerätelieferanten und Internetanbieter. All Beteiligten legten das Fundament dafür, nicht nur das Netzwerk auszubauen, sondern auch sehr verschiedenen Kundinnen und Kunden einen individuell angepassten und kostengünstigen Internetzugang anbieten zu können. Das Grundmuster ist einfach: Beitragen & Weitergeben (Kapitel 6). Die Partner haben ihre Ressourcen zusammengelegt und so eine allen zugängliche Internetversorgung geschaffen, wo der Markt versagt. Im Jahre 2008 hat Guifi.net eine Stiftung gegründet, die sich um die Betreuung der Freiwilligen und des Netzwerkbetriebs kümmert. Zudem unterstützt sie das Nachdenken über die Governance des Gesamtsystems. In Wired ist zu lesen, dass die Stiftung »den Datenverkehr an die Provider und zwischen ihnen abwickelte, für die Verbindungen zum großen Datenknotenpunkt mit enormen Bandbreiten zwischen Südspanien und dem Rest der Welt sorgte, den Einsatz von Glasfaserleitungen plante und – ganz entscheidend – Systeme entwickelte, die gewährleisten sollten, dass die Internetanbieter ihren fairen Anteil an den Kosten für Daten und Netzwerkmanagement insgesamt bezahlten«.[20] Worauf sich Guifi. net beruft, steht in einer »Übereinkunft für ein freies, offenes und neutrales Netzwerk«. Danach sollen Guifi.net-Nutzerinnen und -Nutzer eine Reihe von Rechten und Freiheiten genießen: Sie haben die Freiheit, das Netzwerk für jeglichen Zweck zu nutzen, sofern sie den Betrieb des Netzwerks selbst, die Rechte anderer Nutzerinnen und Nutzer und die Prinzipien der Neutralität nicht beeinträchtigen.

  • Sie haben das Recht, das Netzwerk und seine Komponenten zu analysieren und das Wissen über seine Wirkungsweise und Prinzipien weiterzugeben.
  • Sie haben das Recht, dem Netzwerk Dienste und Inhalte zu ihren Bedingungen anzubieten.
  • Sie haben das Recht, dem Netzwerk beizutreten, verbunden mit der Pflicht, diese Rechte zu denselben Bedingungen auf alle anderen auszuweiten.

Wer immer die Guifi.net-Infrastruktur nutzt – Einzelpersonen, kleine Unternehmen, staatliche Einrichtungen oder Dutzende kleiner Internetanbieter – ist somit der »Entwicklung eines commons-basierten, freien, offenen und neutralen Telekommunikationsnetzwerks« verpflichtet. Das Ergebnis ist eine weitaus bessere Breitbandversorgung über Guifi.net, die zudem günstiger ist als etwa in den USA. Dort zahlten Kundinnen und Kunden 2017 im Schnitt 80 $ pro Monat an ein Breitbandoligopol für langsamere Konnektivität und schlechten Service. Internetanbieter, die die Infrastruktur von Guifi.net nutzen, berechneten Anfang 2017 zwischen 18 und 35 € pro Monat für 1-Gigabyte-Glasfaserverbindungen und viel niedrigere Preise für das WLAN. Fazit: Commons sind »geldeffizient«[21]. Sie ermöglichen uns, geldunabhängiger und somit auch freier von den strukturellen Zwängen des Marktes zu sein. Guifi.net zeigt, dass es durchaus möglich ist, »nicht nur dort, wo die Telekommunikations-Platzhirsche Präsenz zeigen, eine Breitbandinfrastruktur in großem Stil und lokalem Besitz« aufzubauen, wie Open-Technology-Aktivist Sascha Meinrath formulierte.[22] Dass alle Beteiligten von den Vorteilen einer Commons-Struktur profitieren, hat mit diesem Erfolg viel zu tun.

Die Beispiele, die wir bislang kennengelernt haben, gehören nicht nur zu vollkommen unterschiedlichen Bereichen, sie drehen sich auch um Unterschiedliches. Solidarische Landwirtschaften drehen sich um Land, Boden, Wasser, Artenvielfalt und konzentrieren sich auf die Lebensmittelproduktion. Guifi.net beschäftigt sich mit IT-Infrastruktur; hier geht es um Daten, Informationen, Kabel und Strom. WikiHouse will neu erfinden, wie wir geld- und ressourceneffizient bauen; hier geht es um Baustoffe, Raumkonzepte und Design. Anstatt nun die Differenzen hervorzuheben und die unterschiedlichen Ressourcen im Mittelpunkt jedes Projektes in den Blick zu nehmen, finden wir es sinnvoller herauszuarbeiten, worin sich die Phänomene gleichen. So ist jedes Commons von der Qualität sozialer Prozesse abhängig, der Weitergabe von Wissen sowie vom Zugriff auf physische Dinge. Alle Commons teilen die Herausforderung, das Soziale, das Politische (Governance) und das Ökonomische (bedürfnisorientiert schaffen und bereitstellen, was wir zum Leben brauchen) zu einem integrierten Ganzen zu verbinden. Oder, um eine Analogie zu benutzen: Wir kennen Erdbeeren, Äpfel und Bananen. Sie sehen unterschiedlich aus, schmecken unterschiedlich und wachsen in unterschiedlichen Klimazonen und auf unterschiedlichen Böden – und doch sind sie alle Früchte, Obst. Und dieser Sammelbegriff ist hilfreich, um sie einordnen zu können. So verhält es sich auch mit dem Begriff Commons.

Jedes Commons beruht auf natürlichen Ressourcen.
Jedes Commons ist ein Wissens-Commons.
Jedes Commons ist ein sozialer Prozess.

Ganz gleich, ob sie es wollen oder darauf angewiesen sind: Wenn Menschen sich zusammentun, um ein Stück Natur oder einen Raum zu nutzen beziehungsweise ein Problem zu lösen, das sie gemeinsam betrifft, wenn sie an einem Strang ziehen, ihr diesbezügliches Wissen teilen und die auftretenden Konflikte miteinander lösen, dann handeln sie als Commoner und schaffen ein Commons.

Commons ganzheitlich verstehen

Die meisten Menschen sind perplex, dass so viele unterschiedliche Phänomene dem Begriff »Commons« zugeordnet werden. Und doch sind die Gemeinsamkeiten klar erkennbar. Wir schlagen daher vor, die eigene Wahrnehmung für die Muster des Commonings zu schulen. Jede und jeder kennt den »freien Markt«, obwohl Börsen, Wochenmärkte, Supermärkte, die Filmbranche, der Bergbau, Gesundheitsdienstleistungen, Arbeitsmärkte und so weiter mindestens so vielgestaltig sind wie Commons. Dennoch erscheinen uns die vielen Spielarten von Märkten als normal und als Teil eines größeren Konzepts. Commons hingegen genießen wenig Sichtbarkeit, auch weil sie vom Marktdenken und -wirken unterdrückt werden. Dabei sind Commons so alt wie die Menschheit. Und so merkwürdig es angesichts dessen klingt, gibt es praktisch keine weitverbreitete Sprache, mit der man zeitgenössische Commons verstehen und beschreiben könnte (Kapitel 3). Zudem sind wissenschaftliche Arbeiten zum Thema in der Regel hochspezialisiert und einschlägige wirtschaftswissenschaftliche Texte bauen oft auf einen Bezugsrahmen auf, der Commons im Kern als Ressourcen betrachtet und nicht als komplexe soziale Systeme, die unsere Beziehungen zueinander und zur Welt ordnen.

Eine Herausforderung für uns ist daher, das Ganze der Commons wiederzuentdecken und im gegenwärtigen Kontext nachvollziehbar zu machen. Dafür brauchen wir einen konzeptionellen Rahmen, einige Geschichten und eine neue Ausdrucksweise. Mit dem Vokabular des Kapitals, der Wirtschaft und des dominierenden Wissenschaftsverständnisses können wir weder sinnvoll über Commons sprechen noch die vielfältigen Phänomene erklären. Es wäre so, als verwendete man Maschinenmetaphern, um komplexe lebendige Systeme ins Bild zu setzen. Wenn wir verstehen wollen, wie Commons tatsächlich gelingen, müssen wir uns neu orientieren. Eben dies ist der Hauptzweck von Teil II des vorliegenden Buches. Darin entfalten wir einen Deutungsrahmen, der uns ermöglicht, Commoning zu erkennen, seine Dynamiken zu verstehen und angemessen auszudrücken, wobei wir nicht mit einer einzigen, allgemeingültigen Schablone bewerten werden, was Commons ist und was nicht. Jedes trägt ohnehin die unverwechselbaren Zeichen seiner Ursprünge, Kultur und Umstände. Es geht uns darum, die Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Praktiken zu identifizieren. Das wird uns zu behutsamen Verallgemeinerungen führen, empfehlenswerten Handlungslogiken ähnlich, die helfen können, mehr Commons in die Welt zu bringen. So unterschiedlich die eingangs skizzierten Projekte und die Praktiken, denen Sie in diesem Buch noch begegnen werden, bei oberflächlicher Betrachtung auch erscheinen; so bemerkenswert ähnlich sind sie in der Art sich zu verwalten, Dinge aufzuteilen, sich gegen Einhegungen zu schützen und eine gemeinsame Ausrichtung zu pflegen – Commons sind keine Standardmaschinen, die auf Grundlage einer Blaupause zusammengebaut werden können. Es sind lebendige Systeme, die sich an neue Bedingungen anpassen und uns mit ihrer Kreativität, ihrer Vielfalt und ihrem Umfang überraschen.

Der Begriff »Muster« muss an dieser Stelle erläutert werden. Wir nutzen ihn im Sinne des Architekten und Philosophen Christopher Alexander, so wie er gemeinsam mit Ko-Autorinnen und Ko-Autoren in seinem berühmten Buch Eine Muster-Sprache (1977, Deutsch: 1995) entwickelt wurde. Alexander begründet diesen Ansatz philosophisch und mathematisch zugleich, insbesondere in seinem vierbändigen Hauptwerk The Nature of Order. Es ist das Ergebnis von 27 Jahren intensiver Beobachtung, akribischer Beschreibung und kreativen, interdisziplinären Denkens. Er verschmilzt in brillanter Weise eine empirisch-wissenschaftliche Perspektive mit gesellschaftsgestaltenden Ideen (darunter die prägende Rolle von Schönheit und Ganzheit); immer auf das gerichtet, was wir (wie Alexander) Lebendigkeit nennen.[23] Ein Muster beschreibt zunächst »ein Problem, das in einer bestimmten Umgebung immer wieder auftaucht«. Es beschreibt dann »den Kern der Lösung dieses Problems in einer Weise, dass man diese Lösung millionenfach – in unaufhörlichen Variationen – einsetzen kann«.[24] Das Musterdenken und die darauf basierenden Gestaltungsideen sind weder kontextfrei noch von unseren Gedanken und Gefühlen abgekoppelt. Das ist eine wertvolle Qualität von Mustern, und deshalb werden wir keine »Best-Practices« ins Zentrum stellen und damit nahelegen, man könne sie übernehmen. Wir werden stattdessen Grundmuster gelingenden Commonings zur Inspiration heranziehen und dabei im Hinterkopf behalten, dass sie nicht im Copy-and-Paste-Verfahren auf unterschiedliche Kontexte übertragen werden können. Jedes Commons muss eigene, angemessene, lokal- und kontextspezifische Lösungen entwickeln. Jedes muss praktische Probleme lösen, individuellen Wünschen gerecht werden und Interessen ausgleichen. In diesem Buch arbeiten wir Muster heraus, die überall in der Welt in Commons wirken. Wir gehen dabei sowohl sachlich als auch ambitioniert vor. Sachlich in der Beschreibung dessen, wie unterschiedliche Commons gegenwärtig funktionieren, und ambitioniert beim Versuch, uns vorzustellen, wie Commoning-Dynamiken plausibel wachsen, sich verbünden und zu einem eigenständigen Bereich der Kultur und der politischen Ökonomie werden können. Wir greifen dabei Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften auf und schöpfen zugleich aus langjährigen eigenen Erfahrungen. Dabei ist es für uns – und hoffentlich auch für Sie – inspirierend, immer wieder Commons aller möglichen Schattierungen zu begegnen: in der Stadt, in Plattform-Kooperativen, im Geistesleben, in Kunst und Kultur. Wir möchten ein facettenreiches, breites Feld menschlicher Kreativität und sozialer Organisation beschreiben und Ihnen Mut machen: Commons sind keineswegs so kompliziert und unbegreiflich, dass nur Fachleute sie verstehen. Tatsächlich entstehen sie, wenn gewöhnliche Menschen recht gewöhnliche Dinge tun, die nur in marktorientierten Gesellschaften etwas ungewöhnlich erscheinen.

Wenn wir real oder intellektuell durch die Welt der Commons reisen, erstaunt uns immer wieder, unter welch außerordentlich vielfältigen Bedingungen wir Commoning begegnen. Auch deshalb haben wir uns gefragt, warum so viele Commons-Diskussionen auf ökonomischen Kategorien beruhen (»Güterarten«, »Allokation«, »Produktivität«, »Transaktionskosten«), obwohl es doch um Phänomene geht, die auch soziale, kulturelle, ja spirituelle Dimensionen umfassen. Wir haben daraufhin noch einmal erörtert, was es bedeutet, über Commons nachzudenken und sie in die Welt zu bringen. Diese Neukonzeption kann zu einem größeren Wandel beitragen. Sie erlaubt uns, eine neue Vorstellung von »Wirtschaften« zu gewinnen und Demokratie auf allen Ebenen zu vertiefen. Commons befriedigen Bedürfnisse. Ganz konkret. Zugleich berühren und verändern sie das Wesen des Politischen und die Art des Politikmachens. Praktiken, Ethiken und Weltsichten des Commoning beeinflussen, prägen und verändern Kultur und Identitäten. Wir brauchen deshalb einen reichhaltigeren Bezugsrahmen, um das Thema zu ergründen. Sonst können wir weder die Dynamiken bewusster Selbstorganisation erklären noch beschreiben, wie bedürfnisorientiertes Wirtschaften gelingt; und wir können nicht darüber nachdenken, wie Commoning so gelingt, dass es sich auch gut anfühlt. Die Synthese unseres Denkens – der Bezugsrahmen – findet sich in Teil II dieses Bandes. Wir bezeichnen sie als »Triade des Commoning« und stellen diese dort vor.


Anmerkungen

  1. Dieses und die folgenden Zitate aus den Vorträgen von Tomasello: »What Makes Us Human?«, https://www.youtube.com/watch?v=9vuI34zyjqU und »What Makes Human Beings Unique?«, https://www.youtube.com/watchv=RQiINQiAn4o. Siehe auch: Michael Tomasello: Warum wir kooperieren, Berlin: Suhrkamp, 2010.
  2. Samuel Bowles und Herbert Gintis: The Cooperative Species: Human Reciprocity and Its Evolution, Princeton: University Press, 2011.
  3. Garrett Hardin: »The Tragedy of the Commons«, Science 162, Nr. 3859, Dezember 1968, S. 1243.
  4. Lewis Hyde: Common as Air: Revolution, Art and Ownership, New York: Farrar, Straus and Giroux, 2010, S. 44.
  5. Die Aussterberate von Fauna und Flora hat sich auf Grund der intensiven Nutzung der Erdoberfläche und der Ausbeutung der Ressourcen unter der Erde im Vergleich zu ruhigeren erdgeschichtlichen Zeiten um das 100- bis 1000fache erhöht. Vgl. http://www.naturefund.de/erde/atlas_des_klimas/ursachen/das_sechste_massensterben_der_erdgeschichte.html.
  6. Auch: Allmendegüter.
  7. Commons-Muster schreiben wir in Kapitälchen.
  8. »Home Care by Self-Governing Nursing Teams: The Netherlands’ Buurtzorg Model,« The Commonswealth Fund, 29. Mai 2015, http://www.commonwealthfund.org/publications/ca​se-studies/2015/may/home-care-nursing-teams-netherlands.
  9. http://www.buurtzorg-in-deutschland.org/2017/05/26/care4me-in-berlin-entsteht-ein-pflegedienst/.
  10. Für das Jahr 2018 gibt die Website Buurtzorgs Einsparungen von bis zu 40 Prozent an.
  11. Fabrikation mit computergestützter numerischer Steuerung.
  12. Alastair Parvin: »Architecture for the People by the People«, TED Talk, veröffentlicht am 23. Mai 2013, https://www.youtube.com/watch?v=Mlt6kaNjoeI.
  13. Die Autorin ist Mitglied dieser SoLaWi: https://SoLaWi-erleben.de/.
  14. Ware hier als sozio-ökonomische Kategorie verstanden.
  15. Hier wird Commons als Gegenbegriff zur ökonomischen Kategorie der Ware verwendet.
  16. Karte der Solidarischen Landwirtschaften in Deutschland: https://www.solidari​sche-landwirtschaft.org/SoLaWis-finden/karte. Die Zahlen sind verschiedenen Quellen entnommen: dem Newsletter des Netzwerks, sowie https://www.zeit.de/zeit-wissen/2015/03/solidarische-landwirtschaft-bauern-lebensmittel/komplettansicht und https://www.sol​i​da​rische-landwirtschaft.org/das-netzwerk/ueber-uns/entstehung/.
  17. Eine Karte findet sich hier: https://www.localharvest.org/csa/.
  18. http://www.joaa.net/english/teikei.htm#ch3-1
  19. Vortrag von Ramon Roca während des Workshops im EU Parlament zu: Community Networks and Telecom Regulation, am 17. Oktober 2017, organisiert vom netCommons und Commons Network. https://www.youtube.com/watch?v=9Cu88NnigBU.
  20. Dan Gillmor: »Forget Comcast. Here’s the DIY Approach to Internet Access«, Wired, 20. Juli 2016, https://www.wired.com/2016/07/forget-comcast-heres-the-diy-approach-to-in​ ternet-access.
  21. Diesen Begriff verdanken wir Wolfgang Sachs.
  22. Ebd.
  23. Andreas Weber: Enlivenment: Towards a Fundamental Shift in the Concepts of Nature, Culture and Politics, Berlin: Heinrich Böll Foundation, 2013, https://www.boell.de/en/2013/02/01/enlivenment-towards-fundamental-shift-concepts-nature-cultu​re-and-po​litics.
  24. Christopher Alexander: The Nature of Order: An Essay on the Art of Building and the Nature of the Universe, Bände 1-4, Center for Environmental Structure, 2002 - 2012.