Frei, Fair und Lebendig

Die Macht der Commons

Teil 1 – Commons grundlegen

Kapitel 3. Von Commons & Sprache

Kapitelüberschriften


Bleistift, Schreibpapier, Nagel
Bleistift, Schreibpapier, Nagel

Fragt man Englischsprachige, welche beiden der drei oben abgebildeten Gegenstände zusammengehören, sagen die meisten: Bleistift und Papier. Aber Menschen, die Bora sprechen, antworten anders. Bora ist eine Sprache der nordwestlichen Region Amazoniens, die etwa 70 Begriffe für die Form von Gegenständen bereithält: einen »für lange dünne, einen für runde, einen weiteren für flache mit einer geraden Kante und so weiter«.[1] Als der Ethnolinguist Frank Seifart einen Test mit Bora-Sprachigen durchführte und die Ergebnisse mit denen von Englisch- und Spanischsprachigen verglich, antworteten sämtliche Testpersonen, »Bleistift und Nagel gehören zusammen«. Für Menschen die Bora sprechen, schien die Beziehung zwischen Gegenständen ähnlicher Form selbstverständlich. Selbstverständlicher als eine funktionale Beziehung.

Dieses kleine Experiment weist darauf hin, wie tief Sprache unsere Wahrnehmung prägt. Wörter, Begriffe und Kategorien grenzen bestimmte Aspekte der Realität gegenüber anderen ab und betonen sie. Sie bestimmen, was wir an einem gegebenen Phänomen oder Gegenstand wahrnehmen – und drängen andere Aspekte an den Rand. Begriffe und insbesondere analytische Kategorien richten unsere Aufmerksamkeit auf das, worauf es gemäß einer bestimmten Kultur, Perspektive oder Theorie »wirklich ankommt«. Sie steuern auf subtile Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen. Wenn die Wörter einer bestimmten Sprache eher Formen als Funktionen aufgreifen, dann verwundert es nicht, dass die Sprecherinnen und Sprecher dieser Sprache Gegenstände eher nach ihrer Form als nach ihrer Funktion gruppieren.

Am Anfang ist das Wort, und jedes Wort verändert die Welt: Wörter, Begriffe und Kategorien

Ein Wort ist ein Symbol – meist ein Sprachlaut oder eine Zeichenkombination. Es erlaubt uns, eine bestimmte Bedeutung zu kommunizieren. Die menschliche Kommunikation ist so erstaunlich vielseitig, weil wir mit Hilfe der Grammatik, insbesondere des Satzbaus, Wort um Wort um Wort miteinander verknüpfen können.

Ein Begriff ist ein Wort oder eine Wendung, das/die eine abstraktere Vorstellung oder Konzeption auszudrücken vermag. Da Begriffe ihren Ursprung in spezifischen historischen und kulturellen Kontexten haben, enthalten sie auch Hinweise auf ideen und kulturgeschichtliche Aspekte. So war die »pferdelose Kutsche« ein früher Begriff für das Auto und Spiegel einer vorautomobilen Kultur. Die »vier Elemente« (Luft, Wasser, Erde, Feuer) reflektieren vorwissenschaftliche Vorstellungen seit der griechischen Antike.

Eine Kategorie ist ein grundlegender analytischer Begriff, der durch eine explizite Methode erzeugt wird. Kategorien sind auf bestimmte Dimensionen eines Phänomens gerichtet. Dadurch bestimmen sie, was wir von einem Gegenstand zu sehen bekommen. Wir nehmen das Menschsein anders war, wenn wir den Menschen kategorial als Homooeconomicus, als individuellen Nutzenmaximierer, fassen statt als Ich-in-Bezogenheit.

Eine relationale Kategorie beruht auf einem relationalen Seinsverständnis (vgl. Kapitel 2). Markt, Gesetze oder Krankheiten und Gesetze sind keine Dinge – sie können nicht vergegenständlicht werden. Es sind relationale Phänomene und Ereignisse. Ein Mensch hat nicht eine Sache namens Tuberkulose, sondern erlebt, was aus komplexen Prozessen entsteht, an denen Zellen, Viren und Bakterien beteiligt sind. Wir bezeichnen das Erscheinungsbild, das immer wieder anders ist, als Tuberkulose. Ähnlich werden auch in der Rede von »dem Markt« oder »dem Staat« zahllose Bündel sozialer und politischer Beziehungen unsichtbar gemacht.

Gesten und Bedeutung
Hand mit Fingerspitzen geschlossen nach oben zeigen.

Wörter, Begriffe und Kategorien beeinflussen stark, was wir als relevant erachten und auf welche logischen Beziehungen oder Aspekte es in einer Kultur ankommt. Fehlt eine Ausdrucksmöglichkeit für ein Phänomen, signalisiert dies indirekt, was wir für unwichtig halten. Zudem sind die Bedeutungen dessen, was wir sagen oder zeigen, alles andere als offenkundig. Sie sind in hohem Maße vom Kontext abhängig. Schauen Sie sich an, welche unterschiedlichen Bedeutungen eine einfache Geste in verschiedenen Kulturen hat: Eine Hand zeigt mit der Handfläche nach oben und die Fingerspitzen berühren sich: in Ägypten heißt das: »Geduld, bitte!«, in Italien: »Was meinst du genau?« und in Griechenland: »Das ist perfekt!«[2] Die »Wirklichkeit«, die jede und jeder von uns bewohnt, mag sich solide und selbstverständlich anfühlen, aber unsere Symbole – seien sie Gesten oder Wörter – sind einigermaßen willkürlich und voll unerkundeter kultureller Bedeutungen.

Das letzte Kapitel endete mit der Feststellung, dass das Verstehen von Commons voraussetzt, dass wir uns anders auf die Realität beziehen (müssen). Wir plädierten für einen Onto-Wandel. In diesem Kapitel möchten wir erklären, warum dieser von einer neuen Sprache begleitet werden muss. Wie oft fehlten uns – im Wortsinne – die Worte, während wir dieses Buch schrieben! Wir spürten dann, wie dringend neue Begriffe gebraucht werden, die die tatsächlichen Dynamiken der Commons angemessener beschreiben. Nehmen wir den Begriff »Ressource«, wie er in den Wirtschaftswissenschaften und in der Politik verwendet wird. Er unterstellt eine bestimmte Eigenheit – nämlich, dass Beziehungen zu dem, was wir »Ressource« nennen, unpersönlich, instrumentell und marktorientiert sind. Diese Aspekte sind in einem Commons weniger wichtig. Wir stellten auch fest, dass die Dualität von »privat« und »öffentlich« problematisch ist. Sie suggeriert eine zweigeteilte Welt, die Wirtschaft einerseits und der Staat andererseits. Auch hier bleiben die Realitäten der Commons außen vor. Unzählige Male fühlten wir uns in ein sprachliches Korsett gezwängt. Uns fehlten Wörter, Begriffe und relationale Kategorien. Wir konnten nicht sagen, was wir sagen wollten. Es war schwierig, sich aus diesem Korsett zu befreien, um den Commons eine Stimme zu geben. Doch wir erkannten, dass wir scheitern würden, wenn wir unser Anliegen in der Sprache der Marktökonomie, der Bürokratie und des politischen Liberalismus formulierten. Irgendwie mussten wir der starken Anziehungskraft der Sprache des »alten Paradigmas« entkommen. Wir mussten neue Wörter erfinden, um eine andere Wirklichkeit benennen zu können! Wir mussten weithin unsichtbare Beziehungen, Seins- und Handlungsformen ausdrücklich identifizieren. Wir mussten sie aussprechen.

Diese knappe Schilderung zur Bedeutung und Macht der Sprache soll genügen; denn wir wollen noch kurz in die Rollen eintauchen, die Metaphern und sogenannte »Frames« (Bezugsrahmen oder Deutungsrahmen) in der subtilen Lenkung unserer Wahrnehmungen und Handlungen spielen. Anschließend finden Sie eine Sammlung von Formulierungen einer verklingenden Ära, samt einer Auswahl irreführender Dichotomien, gefolgt von einem Vokabular commons-freundlicher Begriffe. Wir haben sie zusammengestellt, um den Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen misslichen Lage und unserer Sprache verständlich zu machen. All dies soll uns und Ihnen helfen, Commons ganzheitlicher zu denken und wahrzunehmen. Dabei kommen Sie vermutlich an einer Erkenntnis nicht vorbei: Wir brauchen neue Worte, um Commons zu erkennen, zu benennen und in die Welt zu bringen.

Träge Meinungssysteme und harmonische Täuschungen

Probleme entstehen, wenn die Sprache, mit der wir die Wirklichkeit abbilden, falsche Erwartungen weckt. Das zeigt ein Blick in die Geschichte. Ein alter Denkrahmen scheitert dann, wenn er es nicht erlaubt, Phänomene angemessen zu erfassen, die Menschen erkennen müssen, um ihre Angelegenheiten gemeinsam regeln zu können. Er beginnt auszudienen, wenn er keine Begriffe mehr bietet, um die Dinge auf den Punkt zu bringen. Das ist nicht nur eine Frage präziser Analyse und Abbildung. Mit unserer Sprache vermitteln wir auch Werte, Gefühle und Beziehungen. In Kapitel 2 haben wir festgestellt, dass Edward Hitchcock unfähig war, »neue Fakten« zu erkennen und zu formulieren, weil er einer biblischen Weltsicht verhaftet war. Zudem verfügte er nicht über das Vokabular, um sich eine prähistorische Welt der Dinosaurier vor- und diese darzustellen. Andere – wie Darwin und Lyel – waren dazu in der Lage. Das kommt in der Wissenschaftsgeschichte häufiger vor. Es gibt immer wieder Persönlichkeiten, die die Übermacht althergebrachter Anschauungen und konventioneller Bezugsrahmen auf brechen, indem sie eine Alternative anbieten, die – trotz ihrer gewagten Neuartigkeit – von genügend Menschen anerkannt wird.

In seinem 1962 erschienenen Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (Deutsch: 1967) hat Thomas Kuhn bekanntlich beschrieben, wie alte Denkrahmen zerfallen. Er argumentierte, dass bahnbrechende Entdeckungen meist dann gemacht werden, wenn revolutionär Denkende einen zugrundeliegenden Bezugsrahmen von Annahmen und Regeln in Frage stellen. Sie ersetzen ein Denksystem, wie die Welt zu interpretieren sei, durch neue Annahmen, Regeln und Erklärungen. Das ebnet den Weg zu dem, was Kuhn einen »Paradigmenwechsel« nennt. Kuhn selbst definiert diesen Begriff nicht genau, und tatsächlich gibt es mittlerweile sehr verschiedene Vorstellungen von dem, was er beinhaltet. Der Begriff Paradigmenwechsel ist ein Stück weit zu einer Phrase geworden. Was wir darunter verstehen, haben wir in Kapitel 2 als Onto-Wandel beschrieben. Ein wirklicher Wechsel des Paradigmas findet dann statt, wenn sich unsere grundlegenden Ideen über die Wirklichkeit verändern. Das ist eine Herausforderung, die politische Erneuerinnen und Erneuerer selten aufgreifen: zu lernen, sozusagen einen Schritt aus der eigenen Weltsicht heraus zu tun und sich der ungeprüften Annahmen, die in unser (politisches) Denken eingebaut sind, bewusst zu werden.

Ludwik Fleck, ein polnischer Mikrobiologe und Wissenschaftsphilosoph, ging 1935 mit einem noch radikaleren Ansatz Kuhn voraus. Er beschrieb, dass sogenann ten »Denkkollektiven« das Festhalten am Alten eigen ist. Fleck notierte: »[W]enn eine Auffassung genug stark ein Denkkollektiv durchtränkt, wenn sie bis ins alltägliche Leben und bis in sprachliche Wendungen dringt, wenn sie im Sinne des Wortes zur Anschauung geworden ist, dann erscheint ein Widerspruch undenkbar, unvorstellbar.«[3] Fleck erinnerte daran: Kolumbus Idee, die Welt sei rund, war so aberwitzig, dass die Menschen sie sich nicht vorstellen konnten. Wer könnte glauben, dass Menschen auf der anderen Seite der Welt auf dem Kopf herumliefen, mit den Beinen in der Luft?

Ein Denkkollektiv wirkt wie das Immunsystem eines Körpers, das die Welt unablässig nach Viren und anderen Bedrohungen durchsucht, während es gleichzeitig »freundlichen Fremden« Zugang gewährt. Fleck drückt es so aus: »Was in das System nicht hineinpasst, bleibt ungesehen, oder, … es wird verschwiegen, auch wenn es bekannt ist, oder … es wird mittels großer Kraftanstrengung dem Systeme nicht widersprechend erklärt.« [4] Selbstverständlich sind manche Denkkollektive undurchlässiger als andere und in Ausgestaltung und Methode hermetischer und stehen Veränderungen fast feindselig gegenüber. Galileo war mit einem übermächtigen Nichtwahrhabenwollen, mit starken religiösen Überzeugungen konfrontiert, als er die heliozentrische Sicht des Kopernikus bestätigte. Andere sind gegenüber abweichenden Meinungen sowie Weiterentwicklungen strukturell offen und ersin nen Vorgehensweisen, um verschiedene Erkenntniswege zusammenzubringen. Die Tendenz, Bestätigungsfehler zu machen (»confirmation bias«), also Phänome ne so auszulegen, dass die eigenen Prioritäten bestätigt werden, das Verfolgen von Andersdenkenden, unverhohlenes Nichtwahrhabenwollen usw. gehören alle zur »Beharrungstendenz der Meinungssysteme und [der] Harmonie der Täuschungen«.[5]

Sprache und die Erschaffung von Welten

Sprache ist nicht nur unabdingbar, um sich die Welt vorzustellen und festzuhalten, was als Tatsache gilt. Sprache ist noch mehr: ein Mittel, das wir einsetzen, um die Welt mit hervorzubringen. Sprache schafft Welt. So werden erst in den letzten 200 Jahren Land und bestimmte Formen menschlicher Arbeit als »Kapital«[6] betrachtet. Heute ist dieser Begriff von geradezu übermächtiger Bedeutung. Ein ganzes wirtschaftswissenschaftliches Vokabular hat die sozialen Beziehungen des Kapitalismus »realer« gemacht und zur Norm erhoben. Im Zuge der Durchkapitalisierung aller Verhältnisse wurden neue Begriffe wie »Humankapital« und »Naturkapital« benötigt. Sie drückten Bedeutungen aus, über die niemand zuvor nachgedacht hatte. Auch das Internet und die digitale Kultur haben ein vollkommen neues Vokabular hervorgebracht, um die neuen Online-Welten zu beschreiben – »Spam«, »Phishing,« »Flame-Wars«, Emoticons und Akronyme wie LOL. Bora-sprachige haben spezifische Begriffe für Formen entwickelt, um für sie Wichtiges zu benennen und sich einen Weg durch ihr soziales und physisches Terrain zu bahnen. Ähnliches gilt für die Jahai in den unberührten Regenwäldern von Nordmalaysia. Sie verfügen über ein Dutzend verschiedene Wörter für Gerüche: eins für den Geruch gekochter Zwiebeln, ein anderes für Fleischaroma, andere für verbranntes Gummi und sogar »Blut, das Tiger anzieht«.[7] Wer Englisch oder Deutsch spricht, hat solche Begriffe nicht und kann deswegen die Verschiedenheit der Gerüche nur durch eine grobe Übersetzung oder eine umständliche Analogie (eben »Geruch gekochter Zwiebeln«) benennen.

In seinem Buch Landmarks hat der Naturschriftsteller Robert Macfarlane Hunderte Wörter zusammengestellt, die lokale Gemeinschaften nutzen, um markante Aspekte ihrer Heimat und ihres Lebens zu bezeichnen. So bezeichnet das Wort »èit« auf der irischen Isle of Lewis die »Praktik, Quarzsteine in Bäche im Moor zu legen, damit sie im Mondlicht funkeln und so im Spätsommer und Herbst Lachse anlocken«.[8] Im englischen Hertfordshire, sind prähistorische Pfeilspitzen als »fairy darts« (»Feen-Darts«) bekannt.[9] Viele dieser Wörter erlauben es, »ultra-feine Unterscheidungen« zu treffen, schreibt Macfarlane.[10] Über Jahrhunderte hinweg haben sie »ihre Poetik ins Alltagsleben gegossen. Sie haben aus der lokalen Geschichte, aus Anekdoten und Mythen quasi eine Anthologie gemacht und so Geschichten an Orte gebunden.« Sie helfen Menschen, Eigentümerschaft zu bezeichnen, Orientierungspunkte zu benennen und fungieren gewissermaßen als »Navigationshilfen« und »Gedächtnislandkarten«. Die Welt werde »von Wörtern als Gedächtnisstützen beleuchtet«, resümiert Alec Finlay.[11]

Dem Ethnograph Keith Basso, der sich intensiv mit Landschaft und Sprache auseinandersetzt, fiel auf, dass das Apache-Volk im westlichen Arizona seinen besonderen Wörtern viel mehr Bedeutung zumisst als nur »Bezeichner« von Sachverhalten zu sein. Diese Wörter bieten Möglichkeiten an, sich ästhetisch, ethisch und musikalisch auszudrücken. Sie erlauben es, Verbindungen zu ihren eigenen Geografien, Kulturen und Geschichten herzustellen. Es ist diese besondere Kraft der Worte, die heute von Marketingfachleuten genutzt wird, um Verkaufszahlen zu erhöhen.[12] Wenn Commoners die Markenkultur sowie durchkapitalisierte Worte und Wendungen (»Ressource, »Humankapital«, wir »verkaufen« uns gut auf dem Arbeitsmarkt, Menschen – etwa Fußballspieler – »haben einen Marktwert von mehreren Millionen«, Bildung »rechnet sich nicht«) durch ein eigenes Vokabular ersetzen, können sie sich auf diese Kraft und Ausdrucksstärke der Sprache ebenfalls beziehen und den Zauber der Commons wieder herstellen. Die Sprachkultur selbst wird zum Commons, weil die Wörter und Begriffe in den Herzen mitschwingen und nicht einfach Marketing-Totems sind, für die ein vermögender Konzern bezahlt.

Angesichts dieser enormen Bedeutung der Sprache ist das beschleunigte Aussterben von Sprachen als Begleiterscheinung der Monokultur des globalen Kapitalismus besorgniserregend. Es löscht eine sprachliche Vielfalt aus, die Menschen in die Lage versetzt, die nicht-menschliche Welt scharfsichtig und erkenntnisreich zu benennen. So sind die meisten der 250 Aborigine-Sprachen Australiens mittlerweile verschwunden. Damit haben auch wir, die Menschheit, einen Teil unserer Fähigkeit verloren, andere mögliche Beziehungen zwischen Mensch und Natur in den Blick zu bekommen und zu bezeichnen.[13] Aber: »Ohne eine Bezeichnung aus unserem Mund hat ein Tier oder ein Ort Mühe, in unserem Geist und Herzen Halt zu finden.«[14]

Frames, Metaphern und Vokabularien

Wir erschaffen also die Welt – viele Welten – durch und mittels Sprache. Sie ist nicht nur ein mächtiges Werkzeug, mit dem wir uns unterhalten, absprechen und organisieren. Sie strukturiert auch unser Denken und das Bewusstsein unserer Selbst, wenn wir miteinander reden, uns als Communities verfassen oder über die Gesellschaft sprechen.[15]

Die Sprache ist unser wichtigstes Werkzeug, um gemeinsame Konzepte auszudrücken. Sie erlaubt uns zu benennen, was wir für relevant halten, und ist daher unabdingbar für die Erschaffung von Kultur. Die wichtigen Fragen lauten daher für uns: Welche Begriffe, Fakten und Aspekte sollen wir für relevant erklären? Welches gemeinsame Wissen und welche Kultur wollen wir verbreiten? Diese Fragen führen uns zunächst zur Wichtigkeit von sogenannten Frames (Rahmen) und Metaphern. Der Soziolinguist George Lakoff hat in vielen Büchern belegt, dass die in unserer Sprache eingebetteten Frames buchstäblich unser Denken zum Leben erwecken.[16]

Die Konzernwelt klopft sich auf die Schulter, wenn sie sich als »Arbeitgeber« bezeichnet, genießt ihre Macht und macht unsichtbar, wer tatsächlich die Arbeit leistet (seine Arbeitskraft »gibt«): die arbeitenden Menschen. Der Einzelhandel verwendet gern ein Frame für den Akt des Geldausgebens als »Geld sparen«, weil man vorgeblich weniger als den genannten Preis bezahlt. Der Zweck solcher Frames (oft ausgedrückt in Metaphern) ist, unsere Wahrnehmung und unsere Gedanken vorzuprogrammieren und subtil emotionale Bedeutungen und Werte hineinzutragen. Ein Framing gibt vor, welche Antworten auf die meisten Fragen möglich sind, weil es Annahmen darüber enthält, was wichtig ist und welche Fragen man überhaupt stellen darf. Frames transportieren in machtvoller Weise die Weltsichten, auf denen sie beruhen, und wir können im Sprechen kaum wahrnehmen, wie dies geschieht. Ein Framing schleicht »auf leisen Sohlen ins Gehirn«, so der Titel eines kleinen Bandes über die heimliche Macht der politischen Sprache von George Lakoff und Elisabeth Wehling. Selbst wer die vorherrschenden Bedingungen ablehnt (»Kapitalismus ist Mist«), lässt sie durch semantische Strukturen, Worte, Begriffe und Wendungen doch unbewusst lebendig werden. So gestalten Frames Politik. Tatsächlich sind sie Politik.

Framing funktioniert weitgehend durch Metaphern. Auch sie aktivieren unsere Neuronen, bis wir am Ende die in Frames gefassten Ideen als »normal« verinnerlicht haben. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob wir uns als »ehrfurchtsvolle Gäste der Natur« (wie in der taoistischen Tradition) wahrnehmen und beschreiben oder als »Bezwingerinnen und Bezwinger der Natur« (wie in der modernen westlichen Tradition).[17] Besonders wirkmächtig sind Metaphern, die sozusagen moralisch aufrechnen. Sie sind an moralische Wertungen wie gut und böse gebunden, die unseren Geist ganz unmittelbar in eine bestimmte Richtung lenken.[18]

Beispielsweise wird das vorherrschende Verständnis von Innovation mit der Vorstellung von neu verbunden, mit progressiv und gut. Alle wollen »innovativ« sein. Wer möchte schon mit etwas in Zusammenhang gebracht werden, das als altbacken und unkreativ gilt? Wenn wir derartige Urteile unreflektiert in unsere Weltsicht integrieren, engt das unseren Sinn für das ein, was wir für möglich halten. Kein Wunder, dass wir überzeugt sind, das zur Beschreibung von Commons und Commoning neue Deutungsrahmen gebraucht werden. Was es nicht gibt, müssen wir eben erfinden.

Paradigmen, die sich in Grundannahmen über die Welt ausdrücken, in Frames und Metaphern sowie Kategorien und Begriffen, die diese Paradigmen transportieren, lassen sich zusammengenommen als »Denkstil« bezeichnen, um noch einmal mit Ludwik Fleck zu sprechen. Ein Denkstil ist ein Standardansatz der Weltwahrnehmung und erzeugt »eine Bereitschaft für stilgemäßes, d.h. gerichtetes und begrenztes Empfinden. Bis in der Frage die Antwort größtenteils vorgebildet ist und man sich nur für ein Ja oder Nein oder für ein zahlenmäßiges Feststellen entscheiden muß. Bis Methoden und Apparate den größten Teil des Denkens für uns von selbst ausführen«[19] (Hervorhebung im Original). Erkenntnisse, Ideen werden nur anerkannt, wenn sie zu akzeptierten Diskursen gehören und sich in den Grenzen dessen bewegen, was das Denkkollektiv als wahr erachtet. Um diese Grenzen nicht zu überschreiten, werden in vielen Analysen und Forschungsarbeiten, die gängigen Prämissen – gern schematisch – zugrunde gelegt. Ideen, die dem herrschenden Diskurs zuwiderlaufen (etwa Commons und Commoning), ergeben in diesem Kontext keinen Sinn. Sie erhalten keine Aufmerksamkeit, werden vermieden oder abgelehnt. Ihre Befürworterinnen und Befürworter werden ignoriert und mitunter auch verfolgt.

Es gibt also viel zu tun, um Rahmensetzungen zu überwinden, die das Denken beengen. Und es gibt noch mehr zu tun, um Rahmensetzungen zu entwickeln, die das Denken ausweiten. Was immer dies genau bedeutet: die Überwindung überkommener Deutungsrahmen ist eine Bedingung dafür, dass auch andere Strategien erfolgreich sein können. Werden die beherrschenden Deutungen und Metaphern des politischen Diskurses (rechts wie links) auseinandergenommen, dann legt das ihre implizite Logik frei; es offenbart die in sie eingeschriebenen Werte und ihre emotionale Bindungskraft. Die gesamte Kette – Seinsverständnis, Bezugsrahmen, Begriffe – gehört auf den Prüfstand. Und sie gehört ersetzt. Das geht nur langfristig und nicht auf einen Schlag, doch wenn wir dieselben Konzepte, Kategorien, Frames und Metaphern wie zuvor verwenden, beleben wir immer wieder die »alte Weltsicht«. Etwa die Art, wie wir über »Arbeit« sprechen. Der Begriff assoziiert etwas, was man an einem (bezahlten) »Arbeitsplatz« tut. Hier verfängt sich eine ganze Weltsicht im Schlepptau: dass Menschen mittels kommodifizierter Arbeit »Geld verdienen« müssen, um in der Welt etwas zu werden und zu überleben. Sie müssen Karriere machen und »sich entwickeln«.

Wir müssen uns daher – knapp zusammengefasst – nicht nur stärker der Konzepte und Begriffe bewusst werden, die die bestehende Denkordnung immer wieder neu zementieren, sondern wir müssen uns auch selbst ein neues, befreiendes Vokabular beibringen. Wir sollten eine Sprache erlernen, die uns hilft, in Beziehungen zu denken und den Onto-Wandel zu vollziehen. Wir sollten diese neue onto-politische Perspektive auf die Wirklichkeit auch sprachlich kultivieren und die Welt, die wir für möglich und wünschenswert halten, entsprechend beschreiben. Um damit zu beginnen, stellen wir Ihnen zwei Glossare vor: Die Schlüsselwörter einer verklingenden Ära sollen helfen, aus irreführenden Frames auszusteigen und überkommene Begriffe aufzugeben. Unser Vokabular commons-freundlicher Wörter hilft Ihnen dabei, das zu tun. Vielleicht möchten Sie beide an dieser Stelle nur überfliegen und später darauf zurückkommen.

Schlüsselwörter einer verklingenden Ära

Diese Liste stellt Begriffe vor, die in die falsche Richtung weisen. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit in Wahrnehmungs- und Denkweisen, die im alten Paradigma verhaftet sind und blockieren zugleich konstruktivere Formen des Denkens und der Kommunikation. Auch wenn uns viele dieser Begriffe vollkommen geläufig sind, rufen sie immer wieder Wirklichkeiten wach, die im Grunde bereits vergehen. Einige der folgenden Einträge sind auf bestem Wege, zu kulturellen Zombies zu werden: zu Symbolen einer Sozialordnung, die in Auflösung begriffen ist. Deshalb nennen wir sie »Schlüsselwörter einer verklingenden Ära«. Sie spielten einst eine wichtige Rolle, tun dies immer noch und werden doch fade werden, weil sie das Erleben vieler Menschen nicht erfassen. John Patrick Leary, ein Kulturhistoriker des Kapitalismus und seiner Sprache, erklärt, dass solche Schlüsselwörter viel über die Logik, die Werte und die Einstellungen einer Gesellschaft preisgeben. Mit Bezug auf Raymond Williams 1976 publizierten Klassiker zu Schlüsselwörtern[20] stellt Leary fest, dass die Wörter, die heute unsere Aufmerksamkeit beherrschen, »sich auf eine Affinität für Hierarchie und das Preisen der Tugenden des Wettbewerbs, ›des Marktes‹, und der virtuellen Technologien unserer Zeit beziehen«.[21] Genau das haben wir beim Verfassen dieses Buches erlebt. Wir wollten die vielfältige Welt der Commons und des Commoning schildern und fanden oft nur Wörter, die tief in eine andere, marktfokussierte Kultur eingebettet sind. So konnte unser Vorhaben nicht gelingen! Wir spürten sehr oft, dass es unmöglich war, mit solchen Wörtern und Begriffen unsere Ideen auszudrücken. Zu viele davon sind irreführend, auch wenn das auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Sie erscheinen ja so, als würden sie solide, vertrauenswürdige Ideen vermitteln, dabei werden sie nicht selten durch den Gebrauch entleert. Sie werden zu Worthülsen. Nehmen wir Nachhaltigkeit. Heute werden mit diesem Begriff Geschäftsmodelle beschrieben. Eine Geschäftsidee oder ein Projekt ist dann »nachhaltig«, wenn genug Geld reinkommt. Ursprünglich bezog sich der Begriff auf die achtsame Verwendung gemeinsam genutzten Naturvermögens, um dessen Fähigkeit zur Regeneration sicherzustellen.

Wie ein Begriff verwendet wird, macht deutlich, was man glaubt und wie man sich vorstellt, wie die Welt funktioniert. Wenn etwa von Humankapital gesprochen wird, billigt diese Redeweise eine Welt, in der es die primäre Rolle von Menschen ist, Ressource für den Arbeitsmarkt zu sein. Die Rede vom Wirtschaftswachstum lädt Zuhörende ein, an die Geschichte zu glauben, dass Wachstum »allen gleichermaßen nützt«, auch wenn wir Anderes erleben.

Die folgende Liste enthält einige Schlüsselwörter einer verklingenden Ära, die wir ausmachen konnten.

Anreize beschreiben, dass wir etwas nutzen – meist Geld –, um Menschen zu motivieren oder ihr Tun in eine gewünschte Richtung zu lenken. Im Rahmen von Belohnungssystemen sollen Anreize meist zu härterer Arbeit anspornen. (Kein Wunder, dass der Begriff 1943 im Kontext der US-Kriegsökonomie popularisiert wurde.) Sicher haben sie auch eine sinnvolle Funktion. Doch Studien zeigen, dass Geld und andere externe Anreize häufig intrinsische Motivationen verdrängen, etwas zu schaffen und beizutragen. Wenn Geld ins Spiel kommt, signalisiert das zunächst, dass unpersönliche soziale Funktionsprotokolle die Norm sind. Schon das kann Menschen daran hindern, ohne Zwang Beiträge zu leisten. »Geld ist außerordentlich ungeeignet, mit (Für-)Sorge auf Bedürfnisse einzugehen«, schreibt Miki Kashtan.[22]

Entwicklung ist eine polit-ökonomische Idee, nach der Gesellschaften unaufhaltsam fortschreiten und besser werden müssen. Der Fokus liegt meist darauf, Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsfürsorge und allgemeinen Wohlstand zu verbessern. Der deutsche Soziologe und Umweltwissenschaftler Wolfgang Sachs bezeichnet »Entwicklung« als Denkweise, durch die alle Länder auf ein und denselben Kurs gesetzt werden: »Diejenigen, die vorneweg laufen, weisen den Weg; sie sind an der Spitze der sozialen Evolution und weisen auf ein gemeinsames Ziel hin, auch für Länder, die in der Vergangenheit stark unterschiedliche Entwicklungsverläufe hatten. Viele verschiedene Geschichten verschmelzen zu einer ›leitenden Geschichte‹, viele verschiedene Zeitskalen verschmelzen zu einer leitenden Zeitskala. Die imaginierte Zeit ist linear und erlaubt ausschließlich Vor- oder Rückwärtsentwicklungen.«[23] Die Idee der Entwicklung als einheitliche Vision wird von den USA und europäischen Nationen benutzt, um »nicht-entwickelte« Länder dazu zu bringen, den globalen Handel, Ressourcenextraktivismus und Konsumismus mit offenen Armen zu begrüßen. Die schädlichen Nebeneffekte dieser »Entwicklung« sind Umweltzerstörung, Ungleichheit, politische Repression, kulturelle Enteignung.

Führung impliziert eine (oft einzige) Führungspersönlichkeit – kühn, mutig, erkenntnisreich –, die »Geführte« mobilisieren kann, um gemeinsame Ziele zu erreichen, die andernfalls nicht erreicht würden. Zweifellos können manche Personen inspirierend und katalytisch wirken. Wenn man jedoch »Führung« so versteht, wie sie in den meisten Organisationen umgesetzt wird, dann wird mit der Nennung des Begriffs in unserem Denken eine hierarchische Struktur »eingeschaltet« und validiert. Dann wird Führung mit Macht über Prozesse und Menschen assoziiert. Sie verschleiert das Potenzial von Commoning, etwas zu verändern und unser Leben zu organisieren – oder, mit den Worten von Miki Kashtan, »zu führen, ohne Macht zu haben«.[24] Katalytische Veränderungen und komplexe Koordinationsprozesse können auch durch verteilte Macht und gemeinsamer Ausrichtung erreicht werden. Zu nennen sind hier das Soziokratie-Modell, insbesondere Soziokratie für Alle (SoFa)[25], der Holokratie-Ansatz,[26] die Theory U.[27] und Praktiken der Peer Governance, das heißt, der bewussten Selbstorganisation durch Gleichrangige.

Governance bezieht sich auf politisches und administratives Handeln, um menschliches Verhalten im Wortsinne zu »steuern«. Wie auch das englische »government« (Regierung) stammt es letztlich vom griechischen »kubernaein« [κυβερνάω], dem Wort für »steuern«. Die Frage ist: Wer steuert wen und mit welchen Mitteln? Das Begriffsverständnis, so wie es seit den frühen 1990er Jahren in den Wirtschaftsund Politikwissenschaften neu geprägt wurde, beinhaltet oft die Idee einer mächtigen Gruppe oder eines institutionellen Apparates, die über anderen stehen und den Kurs entscheiden. Nach dieser weitverbreiteten Nutzung des Begriffs sind also Regierende und Regierte voneinander getrennt. Die Idee der gemeinsamen Koordinierung durch »peers« (Gleichrangige) ist nicht mitbenannt. Unsere vorläufige – schwer übersetzbare – Alternative zu diesem Begriff lautet: Peer Governance.

(Hoch-)Skalieren »Wie können wir diese Idee [hoch]skalieren?« So wird häufig gefragt, wenn es darum geht, etwas »bedeutend« oder »folgenreich« zu machen. Der Begriff enthält die Idee der Vertikalität: von unten nach oben bzw. von oben nach unten. Er lädt ein zu glauben, dass zentralisierte Hierarchien nötig wären, um einer Idee oder Praxis zum Durchbruch zu verhelfen. Wie wir in der Einleitung zu Teil III dieses Buches zeigen, können lokale Projekte durch freiwillige Beteiligung, Organisation durch Gleichrangige etwa durch nachahmen & Föderationen bilden expandieren, ohne dass es zentralisierter Kontrollsysteme bedarf. Hilfreich ist dafür eine ermöglichende Infrastruktur. Was oft vergessen wird: wenn »hochskaliert« wird, kommt es unweigerlich zu neuen Komplikationen und zusätzlichen Fixkosten, während die Möglichkeiten für elegante Lösungen, lokale Flexibilität und das Vertrauen auf das Urteilsvermögen der Menschen schwinden.[28] An einem gewissen Punkt benötigen großmaßstäbliche Systeme zunehmende Energieversorgung und Auslastung, um sie überhaupt am Laufen zu halten. David Fleming spricht hier von »bedauerlichen Notwendigkeiten.« Sie ziehen Ressourcen ab, die ohne das Hochskalieren gar nicht notwendig gewesen wären und die auch reale Bedürfnisse hätten befriedigen können. Ein großer Maßstab entzieht Menschen grundsätzlich Verfügungsmacht. »Er ist wie eine Welle: man kann sie reiten, aber nicht steuern«, merkt Fleming an.[29] Uns ist daher die Weisheit des Designers Thomas Lommée sympathisch: »Das nächste große Ding wird lauter kleine Dinge sein.«

Innovation bezieht sich auf die Schöpfung von Ideen, Werkzeugen oder Geräte, die »neu« sind und folglich origineller, vorteilhafter, progressiver und effektiver als das, was bereits existiert. Die sogenannte schöpferische Zerstörung durch Innovation wird in Wirtschaft und Politik gefeiert, selbst wenn die Veränderungen häufig von vernachlässigbarem Wert, dem sozialen Zusammenhalt abträglich oder ökologisch schädlich sind. Schließlich gilt »Innovation« als Motor für Wettbewerbsvorteile und Rendite. Daher die positive Aura des Begriffs, besonders im Vergleich mit seinem Gegenteil – dem »Stillstand«, was auf einen Mangel an Fantasie anspielt. Die Alternative zu »Innovation« ist jedoch kein binärer Gegenpol, sondern ko-kreative Anpassung an sich stets verändernde Bedürfnisse und Problemlagen in konvivialer Art und Weise.

Knappheit weist auf einen Mangel hin. In der Marktökonomie soll dem durch Innovation und Wirtschaftswachstum begegnet werden. Die »Knappheit« von Öl, Land und Wasser mag auch Ihnen offensichtlich erscheinen. Aber sind diese Dinge wirklich knapp? Oder sind sie knapp gemacht? Tatsächlich spiegelt der Begriff keine Eigenschaft wieder, die Öl, Land und Wasser wirklich haben. Sie sind lediglich endlich. Knappheit spiegelt das Weltbild des dominierenden Wirtschaftsmodells: Etwas gilt als »knapp«, wenn das Angebot nicht ausreicht, um die tatsächliche oder potenzielle Nachfrage zu befriedigen. Im Kapitalismus wird Knappheit sogar geschaffen, wenn etwas reichlich vorhanden ist, etwa Wissen, Softwarecode und Information. Genau dafür dienen auch Urheber- und Patentrecht. Sie erschweren, dass Wissen und kreative Werke weitergegeben und gemeinsam genutzt werden. »Wenn wir Knappheit erleben«, schreibt Alain Rosenblith, »liegt das Problem in unseren Systemen, nicht im Universum.«[30] Ein Buch über die Buschmenschen des südlichen Afrikas (u.a. in der Kalahari) dokumentiert ihren »Wohlstand ohne Überfluss«.[31] Der Umgang mit endlichen Naturreichtümern gehört zu den zentralen Herausforderungen, mit denen auch Commons konfrontiert sind. Für die Nutzung von Land oder Fischvorkommen werden daher meist Obergrenzen mit anderen Nutzungsregeln kombiniert. Künstlich erzeugte Knappheit von Wissen und Softwarecode wird abgelehnt. Gemeinschaften und Netzwerke – etwa für freie und quelloffene Software (free and open software, FOSS) – sorgen hier für eine Ökonomie der Fülle.

Konzerne sind Organisationen, die nach der berühmten Argumentation des Wirtschaftswissenschaftlers Ronald Coase effizient hohe Transaktionskosten minimieren. Diese Analyse wird heute durch die gemeinsame Nutzung offener Plattformen und in Commons unterlaufen. Sie ermöglichen es, in Gemeinschaften und Netzwerken des Vertrauens Transaktionskosten durch Zusammenarbeit und freies Wissen zu minimieren. Flexible Improvisation durch Commoning schickt sich an, mit Konzernstrukturen zu konkurrieren, obwohl sie meist unter einem geringeren Infrastruktur- und Finanzierungsniveau leidet.

Nicht gewinnorientiert (»Nonprofit«) – auch: »ohne Gewinnerzielungsabsicht« – vermittelt den Gedanken, dass eine Organisation tugendhaft und sozial ist. Die Wendung deutet auf das Gegenteil eines eigennützigen, gewinn- beziehungsweise profitorientierten Konzerns hin. Es handelt sich dabei aber primär um einen Rechtsstatus für Organisationen – ähnlich der Gemeinnützigkeit –, der gewisse Steuerbefreiungen mit sich bringt. Der Begriff ist zudem irreführend, weil er nahelegt, dass es möglich ist, sich ohne Gewinnerzielung am kapitalistischen Wirtschaftssystem zu beteiligen. Aber auch sozial-ökologische und solidarische Unternehmen müssen Gewinne machen. Sie sind letztlich – direkt oder indirekt – davon abhängig und bieten daher keine wirkliche Emanzipation von den Zwängen des Kapitalismus. Folgende Aussage wäre genauer: Nicht gewinnorientierte Organisationen reinvestieren Gewinne in soziale (oder andere) Zwecke.

Organisation bezieht sich meist auf eine Institution oder Vereinigung, deren Mitglieder in koordinierter Weise gemeinsame Ziele verfolgen und bemüht sind, mit einer Stimme zu sprechen. Dies wird heute durch die Macht offener Netzwerke unterlaufen. Die Idee einer stabilen Organisation mit identifizierbaren Teilnehmenden und Grenzen verblasst. Die Zusammenarbeit mit »Außenstehenden« wird üblicher, die Interaktionen werden fließender und dynamischer, und die Außengrenzen werden flexibler und durchlässiger. Interessanterweise stammt der Begriff vom griechischen »órganon« [ὄργανον], was ein Werkzeug zur »Zusammenstellung eines lebensfähigen, vitalen Ganzen« bezeichnete. Man denke an die Organe unseres Körpers. Anstatt uns auf Organisationen als Form zu konzentrieren, finden wir es hilfreicher, auf die Qualität des Organisierens zu achten: Netzwerken, bewusste Selbstorganisation – siehe dazu insbesondere Kapitel 5.

Partizipation wird häufig verwendet, um die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Verwaltungsentscheidungen, in der Erarbeitung von Gesetzen, am gesellschaftlichen Leben oder an Organisationen zu beschreiben. Heute wird er meist positiv benutzt. Die mit dem Begriff transportierte Idee ist, dass die Beteiligung an Anhörungen, Entscheidungsprozessen oder sogenannten »partizipativen Haushalten« [32] demokratische Ideale erfüllt. Auch den Ergebnissen (z.B. Gesetzen) verleiht sie Legitimität. Partizipation ist jedoch oft nach vorher festgelegten Regeln von oben organisiert. Die Verfahren enthalten nur einen Ausschnitt von politischen Optionen und möglichen Umsetzungsstrategien. Die Öffentlichkeit »beteiligt sich« lediglich an öffentlichen Debatten und Prozessen – sie initiiert sie nicht. Und sie tut dies unter Bedingungen, die Politikerinnen und Politiker, Regulierungsbehörden und andere staatliche Stellen bereits für akzeptabel befunden haben. Partizipation erweitert unsere politische Handlungsfähigkeit nicht in einem umfassenderen Sinne. Im Gegensatz zu Commoning.

Pluralismus wird gemeinhin als soziale Tugend begriffen, weil behauptet wird, man würde verschiedene Ansichten zu Rasse, Ethnizität, Gender, Religion etc. tolerieren und akzeptieren. Pluralismus innerhalb eines liberalen Markt-Staates enthält jedoch normative Erwartungen über Ansprüche und Einstellungen gegenüber dem Wirtschaftssystem und der Regierungsform. Wenn zum Beispiel einzelne Frauen oder Mitglieder ethnischer Minderheiten in der Unternehmenswelt Karriere machen, wird dies als Beweis für ihre Emanzipation gesehen. Das ist etwas Anderes, als ein Pluriversum zu begrüßen, welches die Anerkennung zahlreicher Seinsweisen in der Welt beinhaltet. Pluralismus ist wichtig, soweit er trägt. Aber er bedeutet gemeinhin auch, dass »Vielfalt« die »Eine-Welt-Welt«, um mit dem Anthropologen Arturo Escobar zu sprechen, grundsätzlich zu akzeptieren ist.[33]

(Staats-)Bürgerin/Bürger bezeichnet die politisch-gesellschaftliche Rolle einer Person mit Bezug auf den (National-)Staat und unterstellt, dass dies die primäre politische Rolle sei. Die Nutzung des Begriffs impliziert häufig, dass Nicht-(Staats-) Bürgerinnen und Bürger irgendwie »weniger (wert)« sind oder sogar »illegal«.[34] Ein universellerer Begriff ist Commoner.

Irreführende Dichotomien

Gegensatzpaare werden auch als Dichotomien bezeichnet. Wer sie benutzt, konstatiert, dass jeder Pol eine andere Logik als der Gegenpol aufweist und dass beide Pole im Prinzip nicht miteinander kompatibel sind. Commoning überwindet viele der üblicherweise angenommenen Dichotomien oder löst sie auf. So erfahren sich Menschen, die an einem gemeinschaftlichen Unterfangen teilnehmen – sei es eine Blutspende oder eine wissenschaftliche Forschung –, als Ich-in-Bezogenheit. Dieses Erleben überwindet die Polarität von Individuum und Kollektiv. Wenn wir die Welt der Commons betreten, verlassen wir die Welt der »irreführenden Dichotomien«. Hier ein paar Beispiele:[35]

Egoismus/Altruismus: Die Annahme, ein Mensch oder sein Verhalten sei entweder eigennützig oder uneigennützig, baut bereits auf der Idee des von Anderen abgetrennten Individuums auf. Der Mensch (das arme Würmchen) wird hier im Grunde als »isoliertes Ich« gedacht. In einer Welt »isolierter Ichs« ist es bis zu einem gewissen Grad funktional, kalkulierte, »rationale« Entscheidungen zu treffen. Sobald wir aber realisieren, dass wir Ichs-in-Bezogenheit sind und entsprechende Strukturen gestärkt werden, wird es sinn- und funktionslos, die eigenen Ziele auf Kosten anderer zu verfolgen. Für andere Sorge zu tragen ist auch eine Möglichkeit, den eigenen Nutzen zu fördern. Überhaupt: Wenn das Grundprinzip ist, dass die Anderen jeweils mitgedacht sind, bin auch ich immer mitgedacht. Die Dichotomie von Eigennutz und Altruismus löst sich auf.

Kollektiv/Individuum: Als Dichotomie genutzt legen diese Begriffe oft nahe, dass das Interesse des Einzelnen den Interessen des Gemeinsamen entgegensteht. Natürlich gibt es solche Konflikte. Sie sind konkret und haben spezifische Gründe, die bearbeitet werden können. Problematisch ist die allgemeine Vorstellung von Ich versus Wir oder von Ich ohne Wir. Die Vorstellung, dass ein Individuum vollkommen separat von anderen Menschen sei und sich entfalten könne – der »Selfmademan« – ist eine Illusion. Talente und Identität kann ich nur durch die Teilnahme an (verschiedenen) größeren Kollektiven entwickeln. Und umgekehrt: ein Wir kann nur durch und aus der Interaktion von Individuen entstehen. Ich und Wir sind relationale Begriff. Sie sind aufeinander bezogen, sie enthalten sich und sind in diesem Sinne keine Gegensatzpaare. Wir versuchen, diese Vorstellung durch die Idee des Ich-in-Bezogenheit und der Ubuntu-Rationalität zu unterstreichen.

Konsumentinnen und Konsumenten/Produzentinnen und Produzenten: Die gängige Wirtschaftswissenschaft beschreibt die Sache im Allgemeinen so: Da sind die Konsumentinnen bzw. Konsumenten auf der einen und Produzentinnen bzw. Produzenten auf der anderen Seite. Ein Unternehmen produziert, ein Kunde konsumiert. Da jedoch Commons und offene Netzwerke Menschen zunehmend ermächtigen, sich (individuell und kollektiv) selbst zu versorgen bzw. (individuell und kollektiv) bedürfnisorientiert für das zu sorgen, was zum Leben gebraucht wird, verschwimmt die Dualität dieser beiden Funktionen. Diese Tatsache erfährt manchmal im Begriff der »Prosumentinnen und Prosumenten« Anerkennung. Auch hier wird klar, dass Produktion und Konsumtion keine klar voneinander getrennten Sphären sind. Diese Wortprägung hat ihren Wert, doch der Gleichklang (Prosumentin/Produzentin/Konsumentin) ist kein Zufall. Die Diskussion verbleibt auf einer ökonomischen, materialistischen Ebene: Produktion und Konsumtion von Gütern durch Ressourcenabbau, -bearbeitung und -verteilung.

Kooperation/Konkurrenz: Die beiden Begriffe kommen oft als Gegensatz daher, mitunter als kurioser Gegensatz: So konkurrieren auch Menschen in einem »Team« um Karrierechancen. Aus der Evolutionswissenschaft und der Anthropologie wissen wir, dass Kooperation und Konkurrenz eng miteinander verknüpft sind; Arten haben oft symbiotische Beziehungen, zu denen sowohl Konkurrenz als auch Kooperation gehören, je nach den Umständen, in denen gerade agiert wird. Sogar die Wirtschaftswissenschaft hat für Unternehmenssettings bestätigt, das Menschen und Firmen gleichzeitig miteinander konkurrieren und kooperieren. Wer den Kollegen nach dem Schraubenschlüssel fragt, bekommt ihn gereicht. Wer die Kollegin um Durchsicht des Manuskripts bittet, darf sich über Korrekturen freuen. Es wäre daher irreführend, so zu tun, als sei Konkurrenz schlecht und Kooperation gut. Beides findet überall und ständig statt. Die wirkliche Frage lautet, ob die Früchte der Kooperation den Kooperierenden zugutekommen, oder ob sie – zum Beispiel – durch Investorinnen und Investoren oder Konzerne abgeschöpft werden, wie in der sogenannten »Sharing Economy«.

Objektiv/subjektiv: Im modernen Leben werden diese beiden Formen der Wahrnehmung als Gegensätze aufgefasst. »Objektives« wird als richtig, physisch, überprüf bar und messbar betrachtet. »Subjektives« erhält einen minderen Status. Er ist mit Gefühlen, Stimmungen und Intuitionen einer Person verbunden und gilt als »weniger real und wahr«. Objektivität verweist auf harte, unveränderbare, »wissenschaftliche« Fakten, während Subjektivität als unsolide und kurzlebig gilt. Die Neurologie, die Verhaltenswissenschaft und die Verhaltensökonomie haben allerdings nachgewiesen, dass die Trennung zwischen objektiv und subjektiv weitgehend eine Fiktion ist. In Wirklichkeit ist das Rationale eng mit dem verbunden, was nicht mit der Vernunft, dem Verstand und der Logik fassbar ist. Und wer würde leugnen, dass nicht-kognitive, verkörperte Erkenntnisse und Gefühle ganz solide, real und wahr sind.

Öffentlich/privat: Das ist ein sehr geläufiges Gegensatzpaar. Es spiegelt die Behauptung moderner Industriegesellschaften, dass Staat und Märkte voneinander getrennt sind. Der Staat ist in dieser Deutung die Kraft für »öffentliche«, am Gemeinwohl orientierte Zwecke. Der Markt wird als Raum »privater« Wahlmöglichkeiten und Freiheit beschrieben (auch wenn seine Befürworterinnen und Befürworter über die Figur der »unsichtbaren Hand« diese »privaten Wahlmöglichkeiten« geschickt als Motor im Dienste des öffentlichen Interesses positionieren). Diese Rahmensetzung ist weitgehend Fiktion. Die Politik zeigt immer wieder, wie eng staatliche Macht und kapitalistische Märkte miteinander verflochten sind. Die Meinungsunterschiede zwischen dem »öffentlichen« und dem »privaten Sektor« verblassen im Vergleich zu ihren gegenseitigen Verpflichtungen und zur strukturellen Abhängigkeit der Marktwirtschaft von öffentlich finanzierter Bildung, Infrastruktur oder Rechtssicherheit (vgl. Markt-Staat). Wenn politische Debatten um den Gegensatz zwischen »öffentlich« und »privat« kreisen, bleiben Commons und andere nicht-kapitalistische Ordnungsformen unsichtbar.

Rational/irrational: eine Variante der oben diskutierten Aufteilung in »objektiv« und »subjektiv«. Das »Rationale« ist vorgeblich »objektiv«, während das »Irrationale« lediglich persönlich und »subjektiv« ist. Unterstellt wird, dass »nicht-rationalen« (emotionalen, spirituellen, intuitiven) Verständnisweisen nicht zu trauen ist oder dass sie – zumindest – auf »private« Lebensbereiche (Familie, Gemeinschaft) beschränkt werden sollten. Das »Rationale« wird mit dem öffentlichen Leben und mit dem Männlichen assoziiert. Das »Irrationale« wird mit der Privatsphäre und mit dem Weiblichen verbunden. Institutionen, die behaupten, »rationale« Entscheidungen zu treffen, und sogenannte »nicht-wissenschaftliche« Faktoren und Gefühle ignorieren, etwa weil sie nicht-quantifizierbar sind, übersehen zwangsläufig eine große Vielfalt von Gestaltungsoptionen und Problemlösungen.

Jenseits von »offen vs. geschlossen«

Seit das Internet uns eine Welt eröffnete, in der Informationen sofort verfügbar sind, wurde mit diesem Gegensatzpaar recht leichtfüßig umgegangen. »Offen vs. geschlossen« ist uns aus Debatten über territoriale Grenzen und über das Eigentumsrecht bekannt. In diesen Debatten geht es immer darum, ob das Territorium, das Land oder das Eigentum offen (frei zugänglich) oder geschlossen (eingeschränkt bzw. nicht zugänglich) ist. Doch »offen vs. geschlossen« lädt ein zu einer Schwarz-Weiß-Diskussion. Dadurch werden die Dinge vereinfacht, und es wird verhindert, dass wir genauer hinsehen. Denn benannt werden hier lediglich die beiden Extreme eines reichhaltigen Spektrums möglicher Zugangsregeln – besonders im digitalen Bereich. Dort verweist dieses Bild von »offen« oder »geschlossen« auf den rechtlichen Status und die praktische Zugänglichkeit von Informationen und Inhalten. Ein Werk ist »geschlossen«, wenn der Zugang dazu durch Verweis auf das Urheberrecht oder durch eine Paywall auf einer Website eingeschränkt wurde. Das wird im Allgemeinen als »proprietär« bezeichnet. Das heißt, dass die Regelung der Zugangsrechte auf der Idee des Ausschlusses beruht. Auf diese Weise wird künstlich verknappt, was im Grunde mehr wird, wenn wir es teilen. Das wiederum ist Voraussetzung dafür, es als Produkt auf dem Markt zu verkaufen. Tatsächlich ist genau dies oft der Grund, warum Menschen überhaupt etwas »schließen«.

Im Gegensatz dazu können auf ein »offenes« Werk alle zugreifen. Wer immer mag, kann freie und quelloffene Software, mit Creative-Commons-Lizenzen versehene Texte und Fotos oder Werke nutzen, die gemeinfrei sind. Sogenannte »Offene Plattformen« machen es zudem einfacher, dass Menschen ihre Werke zur Verfügung stellen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler benutzen zum Beispiel offene Datenbanken, um Daten bereitzustellen, oder »Open Textbooks« (frei verfügbare Lehrbücher), um Studierenden kostenlosen Zugang zu Lehrinhalten zu gewähren. Open Educational Resources (OER) lautet der Fachbegriff für alle »offenen« Formen und Formate von Lehr- und Lernmaterial.[36] Um die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung weiter zu verbreiten, sind in den letzten 10 Jahren mehr als 10.000 frei zugängliche wissenschaftliche Zeitschriften mit Creative-Commons-Lizenzen entstanden, die der Öffentlichkeit die Arbeiten kostenlos und unbegrenzt zugänglich machen.

Obgleich also immer die Rede von den »offenen Daten«, »offenen Plattformen«, »offenen Inhalten, »offenem Code« ist, spannt dies einen problematischen Rahmen auf. Wenn wir von »offen« reden, aktivieren wir im Kopf »geschlossen«. Zudem denken und reden wir, als wären die Dinge »offen« oder »geschlossen«. »Offene« Daten (open data) klingt, als hätten die Daten die Eigenschaft, offen zu sein; unser Fokus richtet sich in dieser Sprechweise auf die Datenbank. Das lenkt davon ab, dass es um die Interessen derjenigen geht, die die Daten überhaupt erst erzeugen und zusammentragen. Sie könnten beispielsweise vertrauten Kolleginnen und Kollegen die eingeschränkte Nutzung des Datenmaterials ermöglichen wollen. Oder sie wollen sie für manche Zwecke zur Verfügung stellen, für andere nicht. Oder sie wollen von den Einen Geld für die Nutzung verlangen, von den Anderen aber nicht. Es gibt viele Optionen, die durch den Fokus auf »Offenheit« tendenziell unsichtbar gemacht werden.

Die Ausdrucksweise ignoriert die soziale Dynamik, durch die Werke in der Regel entstehen: das notwendige Miteinander, die Spezifik schöpferischer Prozesse, ob während des Schaffensprozesses Geld geflossen ist oder nicht etc. All das gerät in den Hintergrund – weswegen die Vielfalt der Formen, Werke zu schaffen, verfügbar zu machen und zu nutzen, nicht wahrgenommen wird. Wir sehen dann nicht, dass zum Beispiel eine Datenbank in »bürgerwissenschaftlicher« Arbeit aufgebaut wird, dass viele Freiwillige Beiträge für ein Wiki schreiben oder Fotofans ihre Bilder »einfach so« online stellen. Möglicherweise wollen sie wie Commoners handeln und den Zugang zu ihren Werken anders kontrollieren. Wie genau Wissen und Informationen in einem Commons bereitgestellt werden, ist immer sehr situationspezifisch und hängt von den Wünschen und Bedürfnissen des Personenkreises ab, der damit zu tun hat.

In der Praxis gibt es viele Möglichkeiten, mit Zugangs- und Nutzungsrechten sehr differenziert umzugehen. Creative-Commons-Lizenzen – für mittlerweile mehr als 1,1 Milliarden Werke, darunter dieses Buch [37] – signalisieren genau das. Sie bieten Urheberrechtsinhaberinnen und -inhabern einfache und standardisierte Optionen an, vorab ihre Erlaubnis zur Weitergabe und Nutzung ihrer Werke zu erteilen. Sie können erlauben, dass abgeleitete Werke verfasst werden (etwa Übersetzungen oder Zusammenfassungen für Lehrmaterialien). Sie können es erlauben, dass ihr Werk kopiert, weiterverbreitet, ausgestellt oder aufgeführt wird, sofern das nicht zu kommerziellen Zwecken geschieht … oder dass das Werk bei der Wiedernutzung nicht verändert wird … oder dass das einmal kopierte Werk auch anderen wieder frei zur Verfügung steht. Kurz: Creative-Commons-Lizenzen bieten mehr Freiheiten, nicht weniger, als das klassische Urheberrecht standardmäßig vorsieht. Das Problem mit dem Creative-Commons-Ansatz liegt jedoch darin, dass all diese Entscheidungen nur von Einzelnen getroffen werden. Das spiegelt die vorherrschende Sicht, dass wir etwas als voneinander getrennte Individuen schaffen, ganz allein; im einsamen Kämmerchen, ohne aus dem Gemeinsamen zu schöpfen, ohne größere gemeinsame Interessen. Und es bekräftigt, dass wir unsere individuellen Interessen durch Eigentumsansprüche zum Ausdruck bringen sollen. Obwohl CC-Lizenzen also das Urheberrecht »drehen«, akzeptieren sie implizit diese Prämissen. Rechtlich gesehen erkennen sie nicht an, dass Kreativität aus etwas entsteht, das jeden übersteigt. Genau das beanstanden so viele indigene Gemeinschaften am westlichen Copyright, Urheber- und Patentrecht, das ihnen etwa über internationale Handelsregime aufgezwungen wird. Das Recht würdigt nicht, dass alle Inhalte von gegenwärtigen sozialen Gruppen und vergangenen Kulturen beeinflusst sind (vgl. Kapitel 8). Wir bewegen uns dann im Modus des »Öffnens« oder »Schließens« und von dort verringern sich unsere Wahlmöglichkeiten auf »verschenken« oder »private Eigentümerschaft behalten« (meist zu dem Zweck, damit Geld zu verdienen). Wir landen im Entweder-oder.

Angesichts dieser Rahmung überrascht es nicht, dass viele Menschen meinen, Commons seien allgemein und prinzipiell »offen«. Zudem verwechseln sie »offen« mit »frei« im Sinne von kostenlos, so als ginge es bei Commons darum, dass sich alle an allem kostenlos bedienen können. Dem ist nicht so (auch wenn Garrett Hardins so berühmte wie irreführende Darstellung so tut, als ob). Sinn und Zweck eines Commons ist, gemeinsame Verfügung und die Vorteile für alle Beteiligten zu maximieren. Dies erfordert durchdachte und situationsspezifische Zugangs- und Nutzungsregeln. Bedingungslose Offenheit kann nur dann funktionieren, wenn es sich um ein »nicht-rivales« Gut handelt – d.h., etwas wird durch Nutzung nicht aufgebraucht, so wie digital verfügbare Informationen. Für »rivale« natürliche Ressourcen jedoch setzen erfolgreiche Commons typischerweise auf eine Vielzahl teils raffinierter Zugangsregeln, die in irgendeiner Form Grenzen setzen, den Zugang für bestimmte Zeiten oder bestimmte Personen einschränken etc.[38]

Bei Commons hingegen geht es darum, kollektive Handlungsmöglichkeiten sowie das Ethos von Commoners und Netzwerken, die Code, Informationen oder kreative Werke schaffen und ein gewisses Maß an Kuratierung und Verfügungsgewalt behaupten wollen, in den Mittelpunkt zu stellen. So können wir die allzu einfache Beschreibung der Welt – »offen vs. geschlossen« – hinter uns lassen. Wir können aufhören zu glauben, das »Verschenken« der eigenen Arbeit sei altruistisch, unklug oder beides, denn wer eine wissenschaftliche Entdeckung oder ein mit großer Anstrengung entstandenes Buch »verschenkt«, anstatt sie zu verkaufen, kann nur dumm oder idealistisch sein. Natürlich ist diese Argumentation nicht völlig absurd. Im ökonomischen und kulturellen Kontext des Kapitalismus ist es schwierig, sich vorzustellen, dass ein Buch gleichzeitig frei weitergegeben und verkauft werden könnte.[39] (Mit dieser Frage waren auch wir konfrontiert!)

Es ist aber wichtig zu verstehen, dass genau das möglich und notwendig ist, um aus dem vermeintlichen Dilemma auszubrechen. Wir müssen Wege ausprobieren, um den üblichen Komplikationen, etwa Geld und Zeit für die Produktion zu finden, anders zu begegnen (siehe dazu Kapitel 5). Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass der Zugang zu Werken im weitesten Sinne (stellen Sie sich Arzneimittel vor!) nicht ausschließlich über den Markt reguliert werden darf, denn das bedeutet, dass dann automatisch Menschen, die über Geld verfügen, mehr Zugang und Kontrolle haben als andere. Und dies, obwohl Wissen, Informationen und Code im Grunde immer mehr werden, wenn wir sie teilen. Commoners entschließen sich deshalb meist, Wissen grosszügig weiterzugeben und zugleich andere Möglichkeiten zu finden, die Kosten zu decken (z.B. Poolen & Aufteilen, Unterstützung durch Sachleistungen, selektiver Verkauf auf dem Markt, Quersubventionen etc.). Sie tun dies, weil es langfristig sowohl den Einzelnen (z.B. größerer Nutzerkreis) als auch den Anderen langfristig zugutekommt. Wenn wir die unreflektierte Rahmung von »offen/geschlossen« hinter uns lassen, können wir diese Vorteile leichter in der Praxis umsetzen. Dafür wäre allerdings ein Vokabular hilfreich, das kollektive Handlungskompetenzen anerkennt. Wir schlagen vor: Weitergeben & Bewahren (engl. share & steward). Dadurch richtet sich der Blick auf das, was zu tun ist, statt auf eine vermeintliche Eigenschaft des Werkes selbst. Zudem wird anerkannt, dass Weitergeben & Bewahren zusammengehören, anders gesagt: Wissen, Code und Design weiterzugeben ist eine Art, es zu schützen und lebendig zu halten. Es ist eben kein »Weg-geben«, sondern ein »Weiter-geben«, kein »Ver-schenken«, sondern ein Schenken. So kann das, was weitergegeben wird, so unkompliziert genutzt werden wie die Wikipedia und selbst immer wertvoller werden. Damit ist klar: Wissen großzügig weiterzugeben ist nicht nur innerhalb eines Commons vernünftig und praktisch, sondern auch darüber hinaus.

Vokabular commons-freundlicher Begriffe

Aufteilen siehe teilen

»Beating the bounds« beschreibt einen alten englischen Brauch, der dazu diente, ein Commons zu überwachen, dessen Einhegung abzuwenden und die gemeinsame Identität als Commoners zu bestätigen. »To beat the bounds« war ein alljährliches Ritual, bei dem Mitglieder einer Gemeinschaft, Alte wie Junge, ihr gesamtes Land abschritten, um sich immer wieder neu damit vertraut zu machen und Hecken oder Zäune zu entfernen, die fehl am Platz waren. Auf den Umgang folgte oft ein Fest.

Behutsam ausgeübte Gegenseitigkeit: Sie ist ihrer Natur nach anders als strikte Gegenseitigkeit (Reziprozität). Bei Letzterer wird genau berechnet, wer wem wie viel schuldet. In streng reziproken Tauschbeziehungen ist oft das Ziel, größeren »Wert« zu erzielen, als man hergibt. Zumindest aber geht es darum, monetäre Gleichheit (oder eine Illusion davon) zu erzielen. Auch in Commons gibt es Gegenseitigkeit, im Allgemeinen aber behutsam ausgeübte Gegenseitigkeit. Das heißt: Menschen berechnen nicht genau, wer wem einen Gefallen, Zeit, Geld oder Arbeit schuldet. Es ist ein eher nachbarschaftliches Verhalten und durchaus nicht »irrational« (vgl. rational/irrational). Commons bieten ein günstiges Umfeld, um behutsam ausgeübte Gegenseitigkeit zur Gewohnheit werden zu lassen, was vertrauensvolle Beziehungen stärkt sowie die Fähigkeit, konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Beitragen: bezeichnet eine Praxis, in der Menschen etwas Bestimmtes tun, um einen Anteil zur Verwirklichung von etwas Größerem zu leisten. Es hat einen anderen Anklang als poolen, da es räumlich und zeitlich unbestimmter ist (vgl. das Muster Beitragen & Weitergeben).

Beziehungshaftes Haben: Es umfasst »andere Arten des Habens«, die mit Commoning vereinbar sind, von den Beteiligten selbst entschieden und kontrolliert werden und die typischen Probleme konventionellen Eigentums überwinden (Ausschluss, Vermarktlichung aller Sphären, Ressourcenübernutzung). Eine Gesellschaft, die auf der klassischen Eigentumsidee beruht, produziert Habende und Habenichtse sowie eine missbrauchsanfällige Konzentration von Kapital und Macht. Beziehungshaftes Haben ist ein allgemeines Muster der Peer Governance und der bedürfnisorientierten Herstellung von Commons. Es neutralisiert teilweise oder vollständig die Ausschließlichkeit der Verfügung über Dinge, die als »Eigentum« betrachtet werden. Das heißt, es gibt Kapital, aber es kann nicht mehr durchregieren. Beziehungshaftes Haben eröffnet Menschen ein breiteres Spektrum an Besitzformen und Verantwortungseigentum, dass Beziehungen stärkt – miteinander, mit der Mehr-als-menschlichen-Welt, mit früheren wie zukünftigen Generationen.

Commons – Commoning – Commoner: Eine Anmerkung zur Wortherkunft: Alle drei Begriffe sind abgeleitet aus den lateinischen Wörtern »cum« und »munus«. »Cum« bedeutet »mit« und verbindet etwas; »munus« bedeutet Dienstleistung, Pflicht, Verpflichtung und manchmal Geschenk. Beide zusammen, »cum« und »munus« – etwa in Kommunion, Kommunikation und Kommunismus – verbinden zum Beispiel Reden und Zuhören oder Rechte und Pflichten. Das »cum« zeigt zudem an, dass eine Angelegenheit auch auf andere bezogen ist. Die französischen Wissenschaftler Pierre Dardot und Christian Laval schreiben daher: Commons »bezeichnen nicht nur das, was zusammengetan wird«, sondern auch die Commoners selbst – »diejenigen, die ›gemeinsame Aufgaben‹ haben«.[40]

Commons: Sie sind eine verbreitete, schöpferische und doch vernachlässigte soziale Lebensform. Der Begriff beschreibt komplexe, adaptive, lebendige Prozesse, in denen Vermögenswerte[41] geschaffen und Bedürfnisse befriedigt werden. Dabei setzen die Beteiligten nur minimal oder gar nicht auf den Markt oder staatliche Institutionen. Ein Commons entsteht, wenn Menschen sich an der sozialen Praxis des Commoning beteiligen, sich als Gleichrangige bewusst selbst organisieren (Peer Governance) und kooperative Formen entwickeln, Vermögenswerte bedürfnisorientiert Schaffen und Bereitstellen. Die Ergebnisse gehören keiner einzelnen Person allein; sie werden vielmehr auf-geteilt, gemeinsam genutzt oder umgelegt. Obgleich alle Commons unterschiedlich sind, sind alle letztlich von den Gaben der Natur abhängig, vom Weitergeben des Wissens, von Zusammenarbeit, gegenseitigem Respekt und behutsam ausgeübter Gegenseitigkeit. Commons sind stets im Werden.

Jedes Commons entsteht durch Commoning.
Commoning hat drei symbiotische Aspekte:
alltägliches soziales Miteinander,
bewusste Selbstorganisation durch Gleichrangige und
sorgendes & Selbstbestimmtes Wirtschaften:
die »Triade des Commoning«.

Commoner: Der Begriff bezeichnet eine Identität und soziale Rolle, die Menschen annehmen, wenn sie Commoning praktizieren. Sie entsteht aus dem tatsächlichen Tun und ist kein rechtlicher oder sozialer Status. Jeder Mensch ist (potenziell) ein Commoner. Je mehr eine Person sich an der Praxis und der Weltsicht von Commons orientiert, desto mehr wird er oder sie zum Commoner.

Commoning: Dies ist ein offener Prozess, in dem Menschen situationsspezifische Formen bewusster Selbstorganisation durch Gleichrangige (Peer Governance) erkunden und verwirklichen. Sie entwickeln zugleich Formen, um selbstbestimmt Nützliches und Sinnvolles für sich und andere zu schaffen und bereitzustellen. Commoning geschieht, wenn Menschen eigenständig entscheiden, was sie brauchen, wenn sie unter Rücksichtnahme aufeinander ihre Bedürfnisse befriedigen, gemeinsame Vermögenswerte bewirtschaften und ihre Angelegenheiten regeln. Sofern sie dabei auf situiertes Wissen zurückgreifen, stärkt dies ihre kreative Handlungsfähigkeit und die Kompetenz, Lösungen zu entwickeln, die ihnen fair und effektiv erscheinen. Commoning beinhaltet, mit Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten zu leben. Das ist anspruchsvoll, aber die einzige Möglichkeit, Commoner zu werden. Die Macht des Commoning ist nicht auf zwischenmenschliche Beziehungen in überschaubaren Gruppen beschränkt, sie wirkt auch in der gesamtgesellschaftlichen Organisation.

Ohne Commoning gibt es keine Commons,
und ohne bewusste Selbstorganisation durch Gleichrangige
gibt es kein Commoning.

Commons Public Partnerships (CPP): Die sogenannten ÖPPs – die Öffentlich-Privaten-Partnerschaften – sind in aller Munde. Warum nicht Commons-Öffentliche-Partnerschaften?[42] Damit bezeichnen wir eine Vereinbarung über die langfristige Zusammenarbeit zwischen Commoners und staatlichen Institutionen, um spezifische Probleme zu lösen. Sie kann von beiden Seiten initiiert werden, doch entscheidend ist, dass die Prozess- und Gestaltungshoheit auf Seiten der Commoners liegt. Staatliche Institutionen bieten Commoners im Rahmen von CPP-Vereinbarungen entscheidende rechtliche, finanzielle und/oder administrative Unterstützung. Sie können zum Beispiel grundlegende Infrastrukturen bereitstellen: Land, Wasser- und Abwasser, Stromversorgung, Maschinen- oder Fuhrpark. Beispiele sind gemeinschaftsbasierte WiFi- oder Telekommunikationssysteme, die Organisation der Kranken- und Seniorenbetreuung, Stadteilprojekte, aber auch die sogenannte Freiwillige Feuerwehr. Eine CPP ist multifunktional. Sie löst nicht nur Probleme und ermöglicht mehr (Für-)Sorge. Sie schafft auch »konviviale (Infra-) Strukturen«, was gemeinstimmige Entscheidungen und maßgeschneiderte Lösungen einfacher macht.

Commonsversum: Es beschreibt die lose verbundene Welt verschiedenartiger Commons, eine Art föderiertes Commons-Pluriversum. Anders als der Kapitalismus (die ökonomische Sphäre) und die liberale Demokratie (die politische Sphäre) integriert das Commonsversum das Ökonomische mit dem Politischen und Sozialen.

Crowdfunding: Das ist eine – meist von digitalen Plattformen gestützte – Praxis der Gemeinsamen Finanzierung. Es spricht nicht nur unmittelbar die Mitglieder einer Gruppe an, sondern eine große Anzahl Beteiligter (die »crowd« = Menschenmenge). Diese »crowd« legt kleine Geldmengen zusammen, um Projekte zu finanzieren, die (bestenfalls) kollektive Vorteile schaffen. Crowdfunding hilft nicht notwendigerweise Commons. Manche Kampagnen dienen dazu, »kostenloses« Startkapital für Start-ups bereitzustellen, ohne gemeinsames Eigenkapital oder bewusste Selbstorganisation durch Gleichrangige. Andere Crowdfunding-Prozesse wiederum, etwa die in Madrid beheimatete Plattform Goteo, wurden spezifisch für die Finanzierung und Unterstützung von Commoning entwickelt.

Diskriminierungsfreie Infrastrukturen: Infrastrukturen ermöglichen Mobilität, Austausch, Kommunikation und Energiefluss. Sie sind die technologische Grundlage fast aller gesellschaftlichen Kommunikationsprozesse. Infrastrukturen diskriminierungsfrei zugänglich zu machen und zu betreiben bedeutet, dass Zugang und Nutzung nicht nach spezifischen Kriterien erfolgt – sei es Ethnie, Geschlecht, Verfügung über Geld oder was auch immer.

»Do-it-together« (DIT): Das ist komplementär zu »Do-it-yourself« (DIY), was in der Praxis häufig auf »Do-it-together« hinausläuft. Do-it-together hilft, commons-basierte »Do-it-yourself«-Aktivitäten zu bezeichnen – etwa im Gegensatz zum Selbst(zusammen)bau von Möbeln nach Einkauf im Baumarkt oder Möbelhaus. DIT erlaubt, weniger von Geld und Märkten abhängig zu sein, und trägt zu Geld-light-Commoning bei.

Durch (Für-)Sorge geprägtes Vermögen (Care-Wealth): Wenn Menschen sich um Wälder, Land, Wasser oder städtische Räume kümmern, wird dies Teil ihrer gemeinsamen Erinnerung, Kultur und Identität, kurz: ihres Lebens. Wenn Commoners sich ganz einer Sache widmen, sich um ihre Lebensgrundlagen und Beziehungen kümmern, lassen sie eine andere Kosmo-Vision lebendig werden. Sie produzieren dann keine »Güter« oder »Waren« als »rationale« Individuen, wie dies in den Wirtschaftswissenschaften formuliert würde, sondern durch (Für-)Sorge geprägtes Vermögen. Das sind Dinge, Räume und Beziehungen, auf die sich Liebe, (Für-)Sorge, gemeinsame Erfahrungen und emotionale Verbindungen richten. Der Begriff Ressource lädt ein, gemeinsame Vermögenswerte als etwas zu betrachten, das gefördert, ausgebeutet, genutzt und in ein Objekt wirtschaftlicher Berechnung verwandelt werden soll. Durch (Für-)Sorge geprägtes Vermögen enthält affektive Momente; es integriert Elemente aus dem Leben und der Alltagskultur der Menschen.

Einhegung: Sie bezeichnet den historischen Vorgang, Land, Wald oder Weideland in Gemeinbesitz »einzuzäunen« und so Vermögenswerte, die Commoners zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse benötigen, in Privateigentum zu verwandeln. Früher wurden Ländereien von Feudalherren eingehegt, dann von Frühkapitalisten sowie von Parlamenten. Heute werden Einhegungen meist durch Investorinnen und Investoren sowie Konzerne betrieben, häufig in Mitwisserschaft der Staatsmacht. Moderne Einhegungen beziehen sich auch auf digitale Informationen, kreative Werke oder den genetischen Code; sie kommen einer Enteignung der Allgemeinheit gleich. Einhegungen können durch technische Maßnahmen erfolgen (etwa digitales Rechtemanagement und Paywalls). Sie können politisch durchgesetzt werden (Privatisierung, Handelsabkommen, Finanzialisierung) oder durch die massive Beeinflussung des Soziallebens (Markendruck, Werbung, Monokulturalisierung nach westlichem Standard). Einhegungen bewirken das Gegenteil von Commoning. Sie trennen, was Commoning miteinander verbindet: Menschen und Land, Sie und mich, heutige und zukünftige Generationen, Infrastrukturen und ihre Governance, Herrschende und Beherrschte, Naturschutzgebiete und die Menschen, die sie seit Generationen (für-)sorgend bewirtschaften. Einhegung ist dann ein commons-freundlicher Begriff, wenn er uns ermöglicht, die Aneignung gemeinsamer Vermögenswerte für Commons zu benennen.

Emergenz: Darunter versteht man den Prozess, durch den die Interaktionen zwischen lebenden Organismen eine neuartige und komplexere Organisationsform auf höherer Ebene hervorbringen. Die Eigenschaften des neuen Systems sind nicht in irgendeinem einzelnen Element oder der Aggregation derselben enthalten. Vielmehr entwickeln sie sich »spontan«, ohne offensichtliche Ursache-Wirkungs-Beziehung. Zahllose lokale, individuelle Interaktionen lassen die komplexen Strukturen von Sprache und Kultur entstehen. Ebenso verhält es sich mit den gleichrangigen Interaktionen der Beteiligten an Netzwerken für quelloffene Software, wissenschaftliche Forschung und kosmo-lokale Produktion.

Exonym: Wenn Außenstehende Begriffe benutzen, die Phänomene verzerren oder etwas Anderes fassen als das, was tatsächlich erfahren wird, dann handelt es sich um Exonyme. So ist in der Wirtschaftswissenschaft, in der Gemeingüterforschung und in der Öffentlichkeit in der Regel von Ressourcen die Rede, was einen utilitaristischen Anklang hat und nicht hilft, commoning wirklich zu verstehen. Wir nutzen daher Begriffe wie Naturvermögen (engl. biowealth) oder Durch (Für-)Sorge geprägtes Vermögen (care-wealth). Der Politikwissenschaftler James Scott hat uns mit seinem Buch The Art of Not Being Governed auf dieses Konzept aufmerksam gemacht.

>Finanzkreisläufe zwischen Commons und öffentlicher Hand: Sie sind eine Strategie der gemeinsamen Finanzierung, die den Einsatz von Steuergeldern für Commons ermöglicht oder gar gegenüber anderen Finanzierungszielen privilegiert. Im Unterschied zu (indirekten) staatlichen Subventionen für Konzerne, deren Hauptziel es ist, das Wirtschaftswachstum zu fördern oder die Aktionärinnen und Aktionäre zu begünstigen, versuchen Finanzkreisläufe zwischen Commons und öffentlicher Hand Commoning und commons-basierte Infrastrukturen auszuweiten. Im Kern geht es daher um eine systematische Unterstützung dafür, dass Menschen sich selbst besser versorgen und organisieren können und weniger abhängig von Markt und Staat werden.

Föderation: So nennen wir einen Verbund engagierter Teilnehmender, Teams oder Organisationen, die sich auf Grundlage vereinbarter Ziele, einer gemeinsamen Ethik oder Geschichte entscheiden, zusammenarbeiten oder sich zu koordinieren. Zwar wird der Begriff meist mit Nationalstaaten assoziiert (vgl. föderal), aber auch Gruppen, Kollektive und Organisationen und Netzwerke können sich als Föderation zusammenfinden, sich gegenseitig schützen und unterstützen. Eine Föderation unterscheidet sich dahingehend von einem Netzwerk, als Teilnehmende an einer Föderation sich aktiv auf einen gemeinsamen Auftrag oder ein gemeinsames Ziel verpflichten. Zudem ist (zumindest ein verteiltes) Netzwerk vollkommen horizontal – eine Struktur unter Gleichrangigen, während Föderationen eine heterarchische Struktur haben können. [Heterarchie]

Freie und quelloffene Software (»free and open-source software«, FOSS): Das ist Software, deren Quellcode offen ist und weitergegeben werden kann und deren Lizenz erlaubt, dass alle sie nutzen, kopieren, untersuchen und verändern können. Diese Freiheiten – die durch eine Vielfalt an Lizenzen die Umkehrung der üblichen Funktionsmechanismen des Urheberrechts auch rechtlich erlaubt – ermutigen Nutzerinnen und Nutzer, Fehler zu beheben, die Software zu verbessern und weiterzuentwickeln. Im Gegensatz dazu setzt proprietäre Software das Urheberrecht ein, die Nutzenden daran zu hindern, den Quellcode einzusehen oder zu modifizieren. Es schafft dadurch künstliche Knappheiten (der Zugang zum Code wird eingeschränkt, obwohl er kostenlos oder zu geringen Kosten weitergegeben werden kann). FOSS erhöht die Transparenz von Softwarecode und damit – weil mehr Menschen ihn eingehend untersuchen können – auch seine Sicherheit und Stabilität. FOSS ermächtigt Menschen, die Software für ihre eigenen Zwecke anzupassen und die eigenen Daten besser zu schützen. Das GNU/Linux-Betriebssystem, das auf Millionen Servern, Desktop-Computern und anderen Geräten läuft, ist das vielleicht bekannteste FOSS-Programm.

Freiheit-in-Bezogenheit: Sie beschreibt einen Freiheitsbegriff, der unser Verbundensein mit Anderen, unser Naturverbundensein, unser Eingebettet- und Abhängigsein von Gemeinschaften und Institutionen anerkennt. Aus diesen Beziehungen heraus – im Spiel mit ihnen – entfaltet sich nicht nur unsere Individualität, sondern auch menschliche Freiheit. Der Gedanke ist realitätsnäher als libertäre Freiheitsvorstellungen, die sich auf maximale individuelle Wahlmöglichkeiten und die Autonomie der Einzelnen (aka »Vereinzelten«) konzentrieren. Genau genommen ist die geläufige Vorstellung von Freiheit eine Illusion, weil niemand als isoliertes Ich überleben, geschweige denn sein Potenzial entfalten kann. Oder denken Sie daran, wie wir Menschen von Bakterien abhängen. Unsere Körper mit ihren circa. 70 Billionen Zellen sind auf zahllose externe Nährstoffe und lebende Bakterien angewiesen. Das lässt die Grenze zwischen einem »Individuum« und dem Rest der Welt wahrlich verschwimmen. [ ► Ich-in-Bezogenheit].

(Für-)Sorge: Sie beschreibt grundsätzlich eine empathische Haltung, die sich in allem zeigt, was Menschen tun. Dazu gehören auch wirtschaftliche Aktivitäten. Konkreter bezieht sich der Begriff auf sehr grundlegende Tätigkeiten, die im Bewusstsein ausgeübt werden, dass wir Menschen aufeinander bezogen, voneinander abhängig und bedürftig sind. [ ► Ich-in-Bezogenheit und Ubuntu-Rationalität] Das wird in der Kindererziehung, der Pflege von Familienmitgliedern oder Freunden deutlich, aber auch in Prozessen bewusster Selbstorganisation, im bedürfnisorientierten Herstellen von Commons, der (für-)sorgenden Bewirtschaftung der Natur oder gemeinwohlorientiertem Handeln. Der Begriff (im Englischen »care«) ist durch die feministische Forschung bekannt geworden. Er erkennt die Bedeutung entkommodifizierter Arbeit und intrinsischer Motivation an, wird aber dennoch manchmal fälschlicherweise mit Pflegedienstleistungen verwechselt. In Letzteren aber wird in Marktkontexten die Produktivität höher bewertet als die genuine (Für-) Sorge für Menschen. Und eben dies führt zu einem wesentlichen Unterschied: (Für-)Sorge beinhaltet, dass Zeit großzügig verausgabt wird, Pflegedienstleistungen sind hingegen aus ökonomischen Gründen einer Zeiteinsparungslogik unterworfen.

Geld-light-Commoning (geldschlankes Commoning): Das ist ein Begriff, der deutlich macht, dass Commoning die Abhängigkeit von Geld und Märkten verringert. Es enthält per Definition zahlreiche demonetarisierte Problemlösungen, da Commoners soweit möglich auf Do-it-together, gemeinsame Nutzung, (Auf-)teilen und Umlegen setzen. Das ermöglicht ihnen, weniger Geld zu benötigen statt immer nach Wegen zu suchen, mehr Geld zu verdienen. Geld-light-Commoning kann Menschen helfen, sich auf ihre tatsächlichen Bedürfnisse zu konzentrieren und sich nicht von einer konsumzentrierten Kultur entmächtigen zu lassen.

Gemeinsame Finanzierung: Sie beschreibt verschiedene Möglichkeiten, Commons zu finanzieren und Commoning strukturell zu unterstützen. Dabei sind diese Finanzierungsformen zugleich vor den schädlichen Einflüssen von Geld und Schulden zu bewahren. Ein wichtiges Ziel ist, die sozialen Beziehungen sowie die Beziehungen zur Mehr-als-menschlichen-Welt zu entkommodifizieren. In der gemeinsamen Finanzierung werden Geld und Kredit so verwendet, dass Commons-Institutionen gestärkt werden und Menschen sich sicher und frei fühlen, da sie weniger Abhängigkeit vom Wohl und Wehe des Marktes sind. Wichtige Aspekte der gemeinsamen Finanzierung sind u.a. Geld-light-Commoning, Peer-to-PeerKredite, eine behutsam ausgeübte Gegenseitigkeit im Umgang mit Geld sowie neue Finanzkreisläufe zwischen Commons und öffentlicher Hand. Historisch hat es verschiedene Modelle gegeben u.a. Kreditgesellschaften auf Gegenseitigkeit und Versicherungspools, durch die Gemeinschaft kontrollierte Mikrofinanzierung und lokale Währungen. [► Crowdfunding]

Gemeinsam nutzen siehe teilen

Gleichrangige (Peers): Das sind Menschen, die im Verhältnis zu anderen Mitgliedern einer Gruppe oder eines Netzwerks dieselbe soziale und politische Macht haben. Gleichrangige haben unterschiedliche Talente und Persönlichkeiten, aber sie betrachten einander als mit denselben Rechten und Fähigkeiten ausgestattet, um zum Gemeinsamen beizutragen und mitzuentscheiden, wie ein Projekt vorangetrieben werden soll. [ ► Ich-in-Bezogenheit, Ubuntu-Rationalität]

Halbdurchlässige Membranen: Sie bezeichnen die Qualität, die die Grenzen eines Commons haben sollten. Wie andere soziale Organismen brauchen Commons Schutz vor schädigenden Faktoren, aber zugleich Offenheit für Signale aus der Umwelt oder Nährendes. Sie funktionieren daher besser, wenn sie statt von einer undurchlässigen, starren Grenze von einer halbdurchlässigen Membran umgeben werden. Diese – metaphorisch gesprochen – flexible Haut gewährleistet die Intaktheit des Commons, indem sie Einhegungen und andere Schädigungen verhindert und zugleich ermöglicht, dass ein Commons mit anderen Organismen symbiotische Beziehungen eingeht.

Heterarchie: Sie wird durch die Wortherkunft (griechisch ετεραρχία) gut erklärt: »heter« bedeutet »anders« und »archy« bedeutet »Herrschaft«. In einer Heterarchie werden verschiedene Arten von Herrschafts-, also Organisationsstrukturen miteinander kombiniert. Das können beispielsweise Hierarchien von oben nach unten oder die repräsentative Beteiligung von unten nach oben sein (beide sind vertikal) sowie Dynamiken unter Gleichrangigen (diese sind horizontal). In einer Heterarchie können Menschen sozial achtsame Autonomie erreichen, indem sie in einem System mehrere Governance-Formen miteinander kombinieren. So kann es innerhalb einer Heterarchie durchaus hierarchische Strukturen geben. Heterarchien sind also nicht einfach verteilte Organisationsformen unter Gleichrangigen; die oft an Strukturlosigkeit leiden. Sie sind auch nicht einfach das Gegenteil von Hierarchie. Vielmehr handelt es sich um eine Mischform, die mehr Offenheit und Flexibilität verspricht sowie demokratische Teilhabe und Föderation ermöglicht.

Ich-in-Bezogenheit: Sie beschreibt das existenzielle, gegenseitige Voneinanderabhängigsein von Menschen sowie zwischen Menschen und der Welt, die uns hervorbringt. Von Ich-in-Bezogenheit zu sprechen statt vom »Individuum« erkennt an, dass die Wurzeln unserer Identitäten, Talente und Ambitionen letztlich in diesen Beziehungen liegen. Wer sich als Ich-in-Bezogenheit begreift, wird ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Eigeninteressen und kollektive Interessen nicht gegensätzlich sind, sondern miteinander in Einklang gebracht werden können. Das Ich-in-Bezogenheit steht im Gegensatz zum menschlichen Ideal, das in modernen, säkularen Gesellschaften hochgehalten wird, nämlich, dass das Leben einer jeden Person von ihren eigenen Leistungen und Betätigungen definiert ist, frei von den Verbindungen ihrer Gemeinschaften, ihrer Geschichte, ihrer Ethnizität, ihrer Rasse, ihrer Religion, ihres Geschlechts usw. Das »isolierte Ich« wird vom Homo oeconomicus, dem in den Wirtschaftswissenschaften verwendeten Modell des Menschen, perfekt dargestellt: eine Person, die ihr Eigeninteresse verfolgt, rational ist, ihren Nutzen maximiert und absolut autonom ist. [► Freiheit-in-Bezogenheit, ► Ubuntu-Rationalität]

Interoperabilität: So nennt sich die Möglichkeit, verschiedene Werkzeuge, Rechensysteme oder technologische Produkte zusammenzuschalten, nahtlos miteinander zu verbinden und zur Zusammenarbeit zu bringen, ohne dass ein spezifisches Design dafür erforderlich wäre. Per Definition wird Interoperabilität durch bestimmte Datenformate, Protokolle und offene Standards ermöglicht, etwa durch ASCII (Amerikanischer Standard-Code für den Informationsaustausch), ein Standard für die elektronische Kommunikation. Interoperabilität unterstützt möglichst reibungsarme Arbeitsabläufe in Netzwerkumgebungen und ist daher wichtig für die kosmo-lokale Produktion. Wenn Interoperabilität durchgesetzt wird, hilft das, einzelne Akteure daran zu hindern, sich ein Monopol zu sichern oder durch die Kontrolle von Designstandards tatsächlich Kontrolle über Andere auszuüben.

Intra-Aktion: Sie beschreibt, wie im und aus dem Zusammenwirken Einzelner eine neue »Handlungskompetenz-durch-Bezogensein« geschaffen wird, über die sie als Einzelne nicht verfügen. Das Konzept wurde von der Physikerin und Philosophin Karen Barad eingeführt. Wenn zwei Einheiten intra-agieren, entsteht ihre Fähigkeit zu agieren aus der Beziehung selbst heraus, nicht als Funktion der einzelnen daran beteiligten Individuen. Die Handlungskompetenz-durch-Bezogensein verändert sich und passt sich ständig an, so wie die Beziehung dies selbst tut. Dieses Konzept ist hilfreich, um allzu einfache Erklärungen von Ursache und Wirkung zu überwinden. Es macht uns bewusst, dass die »Verantwortung« für Handeln unter intra-agierenden Einheiten verteilt ist, von denen jede etwas Unterschiedliches anstrebt und eine unterschiedliche Kraft entfaltet. Aus einer Perspektive der Intra-Aktivität erweisen sich Vorstellungen wie der Dualismus von Subjekt und Objekt, die lineare Zeit und die Handlungskompetenz von Einzelnen als unvollständig und irreführend. Sie vermögen nicht zu erklären, wie sich komplexe Prozesse in der Welt vollziehen. [► Emergenz]

Komplexe adaptive Systeme: Sie sind selbstorganisierende, selbstheilende, lebendige Systeme, etwa das Gehirn, Zellen, Ameisenkolonien, aber auch sozio-ökologische Systeme, Internetgemeinschaften und viele Commons. Der Begriff wird in systemtheoretischen soziologischen Ansätzen, in der Evolutionswissenschaft, der Chemie, der Biologie und der Physik verwendet. Er hilft, Commons als ganzheitliche, nicht-lineare und interaktive sowie intra-aktive Phänomene zu begreifen. Handelnde im freien Zusammenspiel, die auf der lokalen Ebene agieren und dabei einfachen Prinzipien folgen, können sich ohne vorab feststehende Endziele oder ein Wissen der Gesamtsituation in komplexeren Systemen »selbst organisieren« (und sogar gemeinsam neue lebendige Systeme erzeugen, was die Biologin Lynn Margulis als »Symbiogenese« bezeichnete).[43]

Konviviale Werkzeuge: Als Begriff wurden sie von Ivan Illichs Werk Tools for Conviviality (1973, Deutsch: Selbstbegrenzung: eine politische Kritik der Technik, 1975) inspiriert. Er bezieht sich auf Werkzeuge, Technologien und Infrastrukturen, deren Nutzung unsere Kreativität und Selbstbestimmung fördert, etwa allgemein einsetzbare und anpassbare Bauwerkzeuge oder die Commoning-Muster, die wir in Teil II vorschlagen, oder auch quelloffene Software sowie digitale Tools, in denen sie zum Einsatz kommt wie etwa OpenStreetMap.[44] Warum konviviale Werkzeuge wichtig sind, wusste Marshall McLuhan treffend auszudrücken: »Wir gestalten unsere Werkzeuge, und danach gestalten unsere Werkzeuge uns.« Ein Werkzeug ist konvivial, wenn Menschen Zugang zur Gestaltung und zum Wissen haben, die nötig sind, um es zu kreieren, wenn es die kreative Anpassung an die eigenen Umstände ermöglicht und wenn es im spezifischen lokalen Kontext angemessen ist. (Sind geeignete Materialien und Fertigkeiten verfügbar? Ist es mit der lokalen Topographie und Kultur kompatibel? Denken Sie etwa an Maschinen aus der Landwirtschaft?) Konviviale Werkzeuge sind grundsätzlich ermächtigend, denn sie helfen Menschen, ihre eigenen Prioritäten zu setzen, Neues zu lernen und neue Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln. Außerdem befreien sie uns von proprietären »geschlossenen« Tools, die persönliches Lernen, gemeinsames Nutzen, Modifizieren und Wiederverwenden beeinträchtigen. Allerdings kann die Verwendung von konvivialen Werkzeugen zeitlich aufwändig und daher in manchen Situationen unpraktisch sein.

Kosmo-lokale Produktion: So nennt man ein System des bedürfnisorientierten Schaffens und Bereitstellens, in dem Menschen »leichte« Dinge wie Wissen und Design über das Internet anderen zur Verfügung stellen und gemeinsam nutzen, auch durch Lernen mit Gleichrangigen, jedoch »schwere« physische Dinge wie Maschinen, Autos, Wohnraum, Möbel und elektronische Geräte vor Ort bauen. Die kosmo-lokale Produktion ermöglicht es, die Kosten von durch Patente oder Markenzeichen geschütztes proprietäreres Design zu vermeiden. Sie erlaubt es auch, Produktionskosten zu senken, und zwar durch die Verwendung preisgünstigerer lokal beschaff barer Materialien und durch Modulentwürfe, die Interoperabilität erlauben, was wiederum das Beitragen & Weitergeben erleichtert.

Lebendigkeit: Sie beschreibt Leben und Lebendigsein als fundamentale Kategorien für das Nachdenken über die Welt und die Erschaffung von Welten. Damit werden Gefühle, Subjektivität und Sinnstiftung – samt ihren folgenreichen Kräften in der Evolution – zu Dimensionen, die die empirische Wissenschaft anerkennen muss. Lebendigkeit ist eine Schlüsselidee in der Ökophilosophie (Andreas Weber), der Mustertheorie (Christopher Alexander) und in den Commons. Sie wird unter anderem durch Ubuntu-Rationalität, (Für-)Sorge und die Verwendung konvivialer Werkzeuge genährt.

Markt-Staat: Märkte und Staaten werden oft als gegensätzlich betrachtet. Wer nicht »mehr Markt« will, steht fast reflexartig im Verdacht, »mehr Staat« zu wollen. Dabei ist staatliches Handeln »dem Markt« tief verpflichtet, und beide Bereiche sind stark voneinander abhängig. Zudem verfolgen machtvolle Akteure in Markt und Staat eine gemeinsame Idee. Sie sehen Wirtschaftswachstum, Individualismus und technologische Innovation als Triebkräfte des Fortschritts. Am kapitalorientierten Markt werden vom Staat Subventionen, rechtliche Privilegien oder Unterstützung für die Forschung erwartet. Der Staat soll die sogenannten »Externalitäten« mindern, die kapitalistische Märkte hervorbringen, so wie Umweltverschmutzung und soziale Ungleichheit. Staatliches Handeln wiederum ist vom »Wohl und Wehe des Marktes« als Quelle von Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen abhängig und nützt Marktmacht als geopolitisches Einflussinstrument. Statt Markt versus Staat, scheinen beide oft wie siamesische Zwillinge aneinander gebunden. Daher sprechen wir vom Markt-Staat.

Muster: Sie sind eine Möglichkeit, die Natur der Ordnung in der Welt zu verstehen. Sie helfen uns, strukturelle Regelmäßigkeiten und Beziehungen zwischen verschiedenen Phänomenen in ähnlichen Kontexten (etwa Commoning) zu identifizieren. Muster sind keine Prinzipien, die oftmals Kontext und Genese ignorieren. Ihre Ableitung erfolgt nicht nur über den Verstand, sondern auch über Resonanzempfinden. Muster menschlicher Interaktionen filtern die Essenz verschiedener Lösungen für Probleme heraus, die in ähnlichen Kontexten immer wiederkehren. Der Erfolg dieser Lösungen bestätigt sich in der Praxis. So sind beispielsweise Commoners immer mit der Herausforderung konfrontiert, Vertrauen aufzubauen, Entscheidungen zu treffen, in denen sich alle wiederfinden, und so mit Geld umzugehen, dass es nützt und nicht schadet. Muster sind offen und stets mit anderen Mustern verbunden. Keines ist in sich vollständig. Wird ein Feld systematischer »gemustert« und werden diese Muster miteinander verbunden, dann entsteht eine Mustersprache [► Vokabular]

Naturverbundensein: Sie beschreibt unsere Beziehungsvielfalt zur Mehr-alsmenschlichen-Welt: vom ungläubigen Staunen zur unbedingten Abhängigkeit, zum Teil-Sein. Sich dessen bewusst zu werden verwandelt unser Verständnis von der Mensch-Natur-Beziehung, und zwar weg vom ökonomistischen Bezugsrahmen (z.B. »Ressourcenmanagement« oder Finanzialisierung der »Dienstleistungen der Natur«) und hin zu einem Verständnis, das den intrinsischen Wert der Mehr-alsmenschlichen-Welt respektiert. Sich unseres Naturverbundenseins gewahr zu werden, bringt Dankbarkeit, Respekt und auch Verehrung mit sich. Kurz: Klarheit darüber, dass es Vieles gibt, das uns heilig sein sollte und nicht unterschiedslos wirtschaftlich verwertet werden kann.

Nutzungseinschränkungen (engl. stint): Das sind Zugangsregeln, um Übernutzung oder Missbrauch einer Sache zu verhindern. In Subsistenzkulturen gibt es oft höchst spezifische Regelungen dafür, wie und wann eine Person Holz aus dem Wald oder Schilf aus einem Feuchtgebiet ernten darf. Die Bewirtschaftung eines »Commons mit Nutzungseinschränkungen« schützt also die Kapazitäten eines natürlichen Systems, sich zu erneuern. »Ohne Nutzungseinschränkungen gibt es keine wahren Commons«, schreibt Lewis Hyde.[45] [► Obergrenze setzen bzw. Deckeln]

Obergrenze setzen bzw. Deckeln: Das bedeutet – bezogen auf endliche, erschöpf bare und räumlich begrenzte Vermögenswerte –, ein absolutes Limit zu bestimmen, welches bestimmt, wie viel Land, Holz, Wasser etc. von Menschen in einem bestimmten Zeitraum maximal entnommen werden dürfen. Ähnliches gilt für Fläche und Raum: in den Alabama Hills bei Lone Pine in Kalifornien können Sie zwei Wochen mit dem Zelt oder Camping-Mobil parken. Kostenlos, aber begrenzt. Eine Obergrenze macht deutlich, dass nicht alle tun dürfen, was sie wollen, oder entnehmen dürfen, so viel sie wollen. Sie ist notwendig, um Übernutzung zu vermeiden. Obergrenzen gibt es sowohl in englischen Commons im Mittelalter (»Nutzungseinschränkungen«) als auch in modernen Instrumenten der Global Governance (sowohl beim sogenannten Cap & Trade, dem Grundprinzip des Emissionsrechtehandels als auch beim – aus unserer Sicht – gerechteren Vorschlag des Cap & Share (»Deckeln und Aufteilen«), wie im Sky Trust skizziert. [46]

Onto-Story: Kurzwort für ein ontologisches Narrativ [► Ontologie].

Ontologie: Das ist die Lehre von den Grundannahmen über die Natur und Struktur des Seins. Eine Ontologie ist ein Seinsverständnis, eine Art »Verfassungsordnung« der Weltanschauung eines Menschen. Seinsverständnisse sind die Fenster, durch die wir die Welt betrachten und bestimmen, die Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Ist die Welt in Menschheit und Natur, in Individuen und Kollektive unterteilt? Sind die »Dinge« statisch oder ständig im Werden? Wenn wir wahrnehmen und beschreiben, dann gründet dies auf unseren Antworten auf solche Fragen. Deswegen bestimmt das Seinsverständnis, was wir denken können und was nicht. Und was wir nicht denken können, das existiert nicht. Wer sich in moderner Politik engagiert, tut dies typischerweise mit einem anderen Seinsverständnis als beispielsweise Menschen aus indigenen Kulturen (die Natur, Menschen und frühere und zukünftige Generationen als integriertes Ganzes betrachne Welten entstehen. Dieser Begriff ist notwendig, weil viele Krisen der Gegenwart aus dem Glauben rühren, dass eine ► Eine-Welt-Welt, eine Art einzige euro-moderne Realität, existiert. Zu sagen, die Welt sei ein Pluriversum, beinhaltet, dass es nicht nur eine einzige Quelle des Daseins gibt und dass kein Wissenssystem anderen inhärent überlegen ist. Ein Pluriversum ist »eine Welt, in die viele Welten passen«, wie die Zapatisten im Süden Mexikos sagen. Dies weist auf eine Problematik hin: Wie können die verschiedenen Gesellschaften akzeptieren und damit umgehen, dass »viele Welten« auf einem einzigen Planeten gleichzeitig vorhanden sein müssen?

Poolen: Das bezeichnet eine Form des Beitragens zu einem gemeinsamen Fonds jedweder Art. Die Beiträge werden bis zu einer bestimmten, benötigten Gesamtmenge gebündelt beziehungsweise zusammengetragen und sind dann für einen bestimmten Zweck verfügbar.

Preissouveränität: Sie bedeutet, in der Lage zu sein, Marktbedingungen – auch Preise – nicht zu akzeptieren. Commoners erreichen »Preissouveränität« durch eine gewisse Unabhängigkeit von Märkten, indem sie transparent und in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten die Konditionen des Austauschs selbst bestimmen. Wenn sie preissouverän sind, können sie sich dafür entscheiden, die Bedürfnisse von Menschen kostenlos oder zu geringeren als Marktpreisen zu befriedigen. Dies gibt ihnen strategische Macht und Autonomie gegenüber dem Druck des Marktes und staatlichem Zwang. Da Commoners sich tendenziell von Märkten zurückziehen und nicht versuchen, sie zu beherrschen, bedeutet »Preissouveränität« kein wettbewerbswidriges Verhalten im Sinne des Kartellrechts.

Pseudo-Commons: kooperative Aktivitäten, die zwar Commons ähneln, aber keine sind. Häufig werden sie von Unternehmen, staatlichen Einrichtungen oder Investmentgruppen betrieben oder kontrolliert. Facebook ist ein prominentes Beispiel. Es ist eine proprietäre Plattform zum Teilen bzw. Weitergeben von Informationen, die nicht – wie in Commons – von den Nutzenden selbst kontrolliert wird. Zudem werden die Daten der Nutzerinnen- und Nutzer zur Ware gemacht. Digitale Plattformen wie AirBnB und Uber geben vor, das »Teilen« bzw. die »gemeinsame Nutzung« zu fördern, sind jedoch tatsächlich kapitalgetriebene Unternehmen und keine Commons. Vertragsbeziehungen mit beiderseitigen Vorteilen, etwa Patentpools unter Pharmaherstellern, sind ebenfalls Pseudo-Commons. Sie werden meist für bestimmte kommerzielle Zwecke organisiert und nicht als langfristige Vereinbarungen zwischen allen Beteiligten und Betroffenen, um langfristig die Vorzüge einer (für-)sorgenden Bewirtschaftung zu teilen. Diese Unterscheidungen sind wichtig, weil Unternehmen häufig das Vokabular der Commons nutzen – insbesondere die Begriffe »Teilen« und »Gemeinschaft« und so ihre wirklichen Interessen verschleiern. Es geht also nicht um Commons, sondern um Pseudo-Commons oder Commons-Washing.

Relationale Ontologie: Sie beschreibt ein Seinsverständnis, das davon ausgeht, dass die Beziehungen zwischen Einheiten grundlegender sind als die Einheiten selbst und dass sich lebendige Systeme durch ihre Interaktionen und Intra-Aktionen entwickeln. Commons basieren – als soziales System, in dem Menschen zusammenkommen, um zusammenzuarbeiten und sich zu versorgen – auf einer relationalen Ontologie. Dies steht im Kontrast zu einer Weltsicht, die die Grundlage des Marktkapitalismus bildet. Danach basiert die Welt auf »Selfmade«-Individuen, weitgehend getrennt von ihren primären Beziehungen hinsichtlich Geschichte, Religion, Ethnizität, Geografie, Geschlecht etc. Ein relationales Seinsverständnis erfordert relationale Kategorien, etwa Ich-in-Bezogenheit oder Ubuntu-Rationalität.

Schöpferische Prozesse sind sondierende, schrittweise und sich allmählich entfaltende Prozesse, die Lebendigkeit erzeugen. Diese Prozesse sind dynamisch, anpassungsfähig, immer unvollständig und stets im Werden. Sie sind selbst lebendig. Und doch enthalten sie ein bewusstes, planvolles Vorgehen (etwa auf die Schrittfolge zu achten). Sie stehen im Gegensatz zu Prozessen, in denen nach vorab festgelegten Plänen und Zielvorstellungen klar definierte Ergebnisse produziert werden. Ein schöpferischer Prozess ist die einzige Möglichkeit, widerstandsfähige Strukturen zu erzeugen und Beziehungen zu vertiefen, denn er ist lebendig, und nur lebendige Prozesse können lebendige Systeme hervorbringen. Wenn etwas nach Kostenvorgaben oder dem Bausatzprinzip hergestellt wird, ist das im Grunde ein Fabrizieren, kein schöpferisches Herstellen. Es ist tot. Was auch immer »geschöpft« worden ist, schafft eine tiefere Resonanz sowie ein Gefühl von Ganzheit.[47] Das Zusammenwirken, aus dem dieses Buch entstanden ist – nicht nur zwischen der Ko-Autorin und dem Ko-Autor, sondern auch mit Kolleginnen, Designerinnen, Lektoren, Testlesenden und vielen anderen mehr – war selbst ein schöpferischer Prozess. Alle Beteiligten und auch die Ideen selbst haben sich in diesem Prozess verändert und sind gereift.

Situiertes Wissen: Es bezieht sich auf das intuitive, verkörperte Expertenwissen und auf praktisches Know-how, das vom Leben und Arbeiten in einem bestimmten Bereich rührt. Wenn Menschen einen Prozess oder eine Landschaft langfristig und intensiv beobachten und damit interagieren, wenn sie in einer bestimmten Geographie groß werden und deren Eigenheiten aufnehmen, wenn sie sich einen bestimmten Arbeitsbereich in Auseinandersetzung mit Anderen auf ihre spezifische Weise erschließen, entwickeln sie eine enorme Vertrautheit mit diesen Themen und ihren Kontexten, die aus Büchern allein nicht zu bekommen ist.

Teilen: Dies ist eine allgemeine Bezeichnung für eine Form der Zuteilung, die nicht auf Gegenseitigkeit (Reziprozität) beruht. Je nachdem, was und wie »geteilt« wird, unterscheiden wir: Aufteilen, Gemeinsam Nutzen und Weitergeben. Allen drei Formen geht in der Regel das Beitragen (Poolen) voraus.

Sorgendes und selbstbestimmtes Wirtschaften: Wenn Bedürfnisse durch Commons erfüllt werden, spricht man von »commons provisioning«; dabei handelt es sich um ein bedürfnisorientiertes Schaffen und Bereitstellen von all dem, was zum Leben gebraucht wird. Die Wendung bietet eine Alternative zu »Produktion«, die – egal ob kapitalistisch oder sozialistisch – auf die Herstellung von Waren fokussiert, auf Preise und Effizienz (auch wenn die Effizienzverständnisse unterschiedlich sind). Zudem werden Kosten ausgelagert, die mit der Produktion verbunden sind. So wird die Herstellung von Gütern von nicht marktlichen Bereichen wie Familie, Gemeinschaft und (Für-)Sorge abgetrennt. Sorgendes und selbstbestimmtes Wirtschaften integriert tendenziell alle Aspekte – auch soziale, ökologische und ethische. Es findet überall statt, wo gemeinsam Nutzbares geschaffen sowie die Ergebnisse anders zugeordnet und verteilt werden als in der Markt- oder Planwirtschaft [vgl. die Muster in Kapitel 6].

Teilen: Dies ist eine allgemeine Bezeichnung für eine Form der Zuteilung, die nicht auf Gegenseitigkeit (Reziprozität) beruht. Je nachdem, was und wie »geteilt« wird, unterscheiden wir: Aufteilen, Gemeinsam Nutzen und Weitergeben. Allen drei Formen geht in der Regel das Beitragen (Poolen) voraus.

  • Aufteilen bezieht sich, im Gegensatz zu Weitergeben, auf Dinge, die sich abnutzen oder weniger werden, wenn wir sie teilen: Lebensmittel, Geld, Gegenstände, Land, Fahrräder, Werkzeuge und vieles mehr. Diese nicht-reziproke Form der Zuteilung kennen wir aus dem Alltag mit Familienmitgliedern, Freunden, aber auch Fremden, aus kleineren Gruppen sowie größeren Netzwerken. Kern ist: der Vorteil jeder einzelnen Person wird nicht exakt berechnet.

  • Gemeinsam nutzen (auch: gemeinsam pflegnutzen) kann sich auf Dinge beziehen, die sich abnutzen und verbrauchen, sowie auf solche, die mehr werden, wenn wir sie teilen. Die gemeinsame Nutzung ist dann entweder ohnehin unproblematisch – oder sie wird gemeinsam geregelt. So ist eine zeitliche Staffelung sinnvoll oder die Nutzung des Gleichen zu unterschiedlichen Zwecken, die eine den Orangensaft, der andere die Orangenschale. Auch können sich Beteiligte an einem Gemeinschaftsgarten den Zugang zu Wasser und das Werkzeug teilen – nacheinander.

  • Weitergeben bezieht sich, im Gegensatz zu Aufteilen, auf das, was mehr wird, wenn wir es teilen, so wie Wissen, Informationen, Ideen, Code, Design. Es ist die Praxis des freiwilligen, nicht-reziproken Transfers, wie sie beispielsweise in FOSS-Gemeinschaften zu beobachten ist. Weitergeben unterscheidet sich vom Aufteilen, weil dabei im Allgemeinen der Nutzwert dessen steigt, was weitergegeben wurde. Weitergeben ist von der »Sharing Economy« zu unterscheiden. Bei Letzterer geht es in der Regel nicht um Weitergeben, sondern um Vermietungen und kommerzielle Lizenzierungen im Mikromaßstab.

Ubuntu-Rationalität: Sie beschreibt eine Handlungsrationalität, die die Verbindungen zwischen den Interessen der Einzelnen und dem Wohlergehen der je Anderen anerkennt. Sie verweist auf eine Dynamik, in der meine Entfaltung die Entfaltung der Anderen voraussetzt und umgekehrt. Der Begriff bildet somit einen Kontrapunkt zu einer Handlungsorientierung, in der es als »vernünftig« (rational) gilt, auf Kosten anderer zu handeln: beispielsweise zu expandieren, so dass Andere schrumpfen; mehr zu exportieren, obwohl das die Defizite der Handelspartner erhöht; härter zu konkurrieren, auch wenn dies die Anderen in die Knie zwingt. Wenn Menschen lernen, sich als Ich-in-Bezogenheit zu betrachten, als pluriversales Bündel an Beziehungen mit der Welt, beginnen sie, im Sinne der Ubuntu-Rationalität zu handeln. Ubuntu ist ein Begriff aus verschiedenen Bantu-Sprachen in Südafrika, der die tiefgreifende gegenseitige Abhängigkeit zwischen »mir« und »dem/der anderen« benennt.

Umlegen: Das bedeutet, sich an einem größeren kollektiven Vorhaben zu beteiligen, das einen dauerhaften sozialen Zweck erfüllt, zunächst etwas beizutragen und im Gegenzug einen je spezifischen Vorteil zu genießen. Dabei erhalten die Beteiligten weder alle das Gleiche noch unbedingt einen vergleichbaren Wert für das, was sie geben, wie das (vermeintlich) bei einer Markttransaktion der Fall ist. Sie erhalten typischerweise einen vereinbarten Vorteil, bezogen auf ihre Bedürfnisse oder andere Kriterien. Was ausgeschüttet bzw. verteilt wird, ist sozial vereinbart und basiert oft auf unterschiedlichen Einlagen und vorgegebenen Formeln. Versicherungsgemeinschaften und Sozialversicherungsfonds sind klassische Beispiele. Wie auch immer der Prozess des Umlegens strukturiert ist – alle Beteiligten sollten ein Mitspracherecht in der Vereinbarung des Verfahrens haben. Es handelt sich beim Umlegen um eine »von Gleichrangigen bestimmte Gegenseitigkeit«, eine spezifische Form der behutsam ausgeübten Gegenseitigkeit.

Vernakuläres Recht: ein Recht informellen, inoffiziellen Ursprungs. Es fungiert als Instrument einer lokal verankerten moralischen Autorität und sozialen Ordnung. Vernakuläre Rechtsformen selbst mögen moralisch gut sein oder auch nicht; im Unterschied zu staatlichem Recht reflektieren sie nicht die jeweiligen Anliegen der dominierenden Wirtschaftsweise, der Staatsmacht und der damit einhergehenden Rechtsauffassungen. Gepflogenheiten fungieren als vernakuläres Recht. Sie bringen vielfach die praktischen Urteile, die ethische Weisheit und das situierte Wissen von Menschen, die an einem bestimmten Ort oder in bestimmten Umständen verwurzelt sind, zum Ausdruck.

Vokabular: So nennen wir ein lebendiges Universum von Bedeutungen, das durch einzelne Wörter und Begriffe kommuniziert wird. Ein »Vokabular« ist keine Taxonomie. Es ist nicht hierarchisch klassifiziert. Der aus dem Lateinischen »vocabularium« stammende Begriff wird häufig als »Wortliste mit Erklärungen« beschrieben. Jedoch enthüllt ein näherer Blick, wie Vokabulare tatsächlich funktionieren: wie ein Feld, in dem sich eine permanent in Veränderung befindliche Sammlung von Wörtern und Begriffen gruppiert. In der Anordnung dieser Wörter und Begriffe zeigt sich ein zumeist verborgenes Netz von logischen und semantischen Beziehungen. Ein konsistentes, gemeinsames Vokabular beleuchtet nicht nur die vielfältigen Beziehungen zwischen Wörtern und Begriffen. Es hilft uns auch, Erfahrungen und Wissen an andere weiterzugeben. (Das ist der Grund dieses Vokabulars.)

Wertsouveränität: So bezeichnet man das Bestreben der meisten Commons, die innerhalb des Markt/Staat-Systems existieren und damit durch Einhegung gefährdet sind, die eigene Identität zu schützen und die Verfügungsgewalt über die erzeugten Vermögenswerte zu behalten.


Anmerkungen

  1. Frank Seifart: »The structure and use of shape-based noun classes in Miraña [North West Amazon]«, Dissertation, 2005, https://pure.mpg.de/rest/items/item_60378_7/component/file_2603776/content
  2. David Bollier: »The Rise of Netpolitik: How the Internet is Changing International Politics and Diplomacy«, Aspen Institute Communications and Society Program, Washington, D.C.:2003, S. 27-28, http://www.bollier.org/files/aspen_reports/NETPOLITIK.PDF.
  3. Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, Basel: Schwabe 1935, alle Zitate nach der Ausgabe von 1980, Frankfurt: Suhrkamp, S. 41.
  4. Ebd., S. 40.
  5. Ebd.
  6. Siehe die bahnbrechende Arbeit von Gary Becker in: Human Capital: A Theoretical and Empirical Analysis, with Special Reference to Education, 3. Auflage, University of Chicago Press, 1964/1993.
  7. Wibke Bergemann: Was wir verlieren, wenn eine Sprache stirbt, 1. Mai 2018, https://www.deutschlandfunk.de/letzte-worte-was-wir-verlieren-wenn-eine-sprache-stirbt.740.de.html?dram:article_id=416634.
  8. Robert Macfarlane: Landmarks, London: Penguin Books, 2015, S. 39.
  9. Ebd., S. 311.
  10. Ebd., S. 18.
  11. Ebd., S. 20.
  12. Jonathan Rowe: »It’s All in a Name«, 26. Januar 2006, http://jonathanrowe.org/its-all-in-a-name.
  13. Daniel Nettle und Suzanne Romaine: Vanishing Voices: The Extinction of the World’s Languages, New York, NY: Oxford University Press, 2000.
  14. Tim Dee: »Naming Names«, Caught by the River, 24. Juni 2014, https://www.caughtbytheriver.net/2014/06/naming-names-tim-dee-robert-macfarlane/, zitiert nach Macfarlane, a.a.O., S. 24.
  15. Sprache ist eines der wichtigsten Instrumente der Vergesellschaftung.
  16. Siehe z.B. George Lakoff: Moral Politics: How Liberals and Conservatives Think, 3. Auflage, University of Chicago Press, 2016; Lakoff und Mark Johnson: Leben in Metaphern: Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme 1998.
  17. Jeremy Lent: The Patterning Instinct: A Cultural History of Humanity’s Search for Meaning, Amherst, NY: Prometheus Books, 2017, S. 277-292.
  18. Elisabeth Wehling: Politisches Framing, a.a.O.
  19. Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, a.a.O.,S. 111 f.
  20. Raymond Williams: Keywords: A Vocabulary of Culture and Society, Fontana, 1976.>
  21. John Patrick Leary: »Keywords for the Age of Austerity: Innovation« [Blogbeitrag], 27. Februar 2014, http://jpleary.tumblr.com/post/78022307136/keywords-for-the-age-of-aus​t erity-innovation.
  22. Miki Kashtan: Reweaving Our Human Fabric: Working Together to Create a Nonviolent Future, Fearless Heart Publications, 2015, S. 379.
  23. Wolfgang Sachs: »Development: The Rise and Decline of an Ideal«, Artikel für die Encyclopedia of Global Environmental Change, Wuppertal Paper Nr. 108, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, August 2000, https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/1078/file/WP108.pdf.
  24. Miki Kashtan, a.a.O., S. 181.
  25. | Empfehlenswert und sicher auch bald im Deutschen verfügbar: Ted J Rau und Jerry Koch-Gonzalez: Many Voices One Song: Shared Power with Sociocracy, 2018.
  26. Wikipedia-Eintrag, »Holokratie«, https://de.wikipedia.org/wiki/Holokratie.
  27. C. Otto Scharmer: The Essentials of Theory U.: Core Principles and Applications, Berrett-Koehler Publishers, 2018.
  28. Siehe Eintrag zu »Scale« in David Fleming: Lean Logic: A Dictionary for the Future and How to Survive It, White River Junction, Vermont: Chelsea Green Publishers, 2017, S. 412-414.
  29. Siehe Einträge zu »Intermediate Economy«, »Regrettable Necessities« und »Intensification Paradox«, in: David Fleming: Lean Logic, S. 224-227, S. 389-391 und S. 219-220.
  30. Alain Rosenblith: »Scarcity Is an Illusion, No Reality«, 30. September 2010, https://alanrosenblith.blogspot.com/2010/09/scarcity-is-illusion-no-really.html.
  31. James Suzman: Affluence Without Abundance: The Disappearing World of the Bushmen, New York, NY: Bloomsbury, 2017.
  32. Dieses Konzept hat sich seit Anfang der 1990er Jahre von Brasilien aus weit verbreitet.
  33. Arturo Escobar: »Commons im Pluriversum,« in: Silke Helfrich, David Bollier und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Die Welt der Commons. Muster gemeinsamen Handelns, Bielefeld: transcript Verlag, 2015, S. 334-345, https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3245​-3/die-welt-der-commons. Siehe auch Escobar: Designs for the Pluriverse: Radical Interde-pendence, Autonomy, and the Making of Worlds, Durham, NC: Duke University Press, 2018.
  34. Kate Reed Petty: »Is It Time to Retire the Word ›Citizen‹?« in: LA Review of Books, Blog, 22. April 2017, http://blog.lareviewofbooks.org/essays/time-retire-word-citizen.
  35. In ihrem Buch Ecommony (Ulrike Helmer Verlag, 2016) erläutert Friederike Habermann im Kapitel ›Übermorgen‹ weitere Dichotomien, die in die Irre führen. Darunter: Gerechtigkeit – Ungleichheit, Arbeit – Faulheit, Spezialistentum – ›Alle machen alles‹, ›oben‹ – ›unten‹, lokal – global, Knappheit – Überfluss, Kultur – Natur, Autorität haben – anti-autoritär sein.
  36. Zur UNESCO-Definition von OER vgl.: https://www.unesco.de/bildung/open-educational-resources.
  37. https://creativecommons.org/use-remix/.
  38. Wie verwirrend der Fokus auf Offenheit (openness) ist, lässt sich auch an den cleveren Vermarktungsstrategien bestimmter wissenschaftlicher Verlage, etwa Elsevier und Sage, erkennen. So erlauben sie zwar die Publikation wissenschaftlicher Artikel unter Creative-Commons-Lizenzen, verlangen aber zuvor exorbitante Gebühren von den Autorinnen und Autoren selbst oder/und hohe Abonnementpreise. Sie nennen es »Open Access«, aber es ist eine degradierte Form des »freien Zugangs«, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausnutzt, um Gewinne zu maximieren. Im Gegensatz dazu versucht ein commons-basiertes Verlagswesen, die Kosten für alle Beteiligten zu senken, möglichst viele Inhalte zu geringen oder keinen Kosten zur Verfügung zu stellen und die Vorteile für alle zu maximieren, indem eine möglichst breite Verfügung über Inhalte, Werke, Code und Informationen unterstützt wird.
  39. In Made With Creative Commons (2017) untersuchen Paul Stacey und Sarah Hinchliff Pearson verschiedene kreative Werke, die als Creative Commons lizenziert sind und erfolgreich verkauft werden: https://creativecommons.org/use-remix/made-with-cc.
  40. Dardot und Laval, 2015. Commun. Essai sur la révolution au XXIe siècle, S. 23. (»non seulement ce qui est ›mis en commun,‹ mais aussi et surtout ceux que ont des ›charges en commun.‹«).
  41. Sie können direkt greifbar und messbar sein oder auch nicht.
  42. Das englische Kürzel würden wir beibehalten.
  43. Lynn Margulis: »Symbiogenesis and Symbionticism«, in: L. Margulis und R. Fester, Sym- biosis as a Source of Evolutionary Innovation: Speculation and Morphogenesis, Boston: MIT Press, 1991, S. 1-14.
  44. http://www.openstreetmap.org.
  45. Lewis Hyde: Common as Air, New York: Farrar Straus Giroux, 2012, S. 35.
  46. Peter Barnes: Kapitalismus 3.0: ein Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter, Hamburg: VSA-Verlag, 2008.
  47. »Der ausschließlich auf Kosten basierende Prozess ist ... implizit ein lebenszerstörender Prozess«, schreibt Christopher Alexander, denn »er greift in unsere Freiheit ein, das Richtige zu tun.« Chr. Alexander: The Nature of Order, Bd. II, New York: Routledge, 2004, S. 501/502.