Vorwort
Dieses Buch liest sich wie eine Befreiung. Ja, doch, es gibt Alternativen zum Kapitalismus und zum untergegangenen Staatssozialismus, zum übermächtigen Markt und Staat. Sie sind menschen- und naturfreundlich. Sie befriedigen Bedürfnisse und produzieren Verbundenheit. Sie sind so alt wie die Menschheit und gleichzeitig so modern wie neueste Computertechnologien. Sie sind überall auf dem Globus präsent, und doch kennen sie nur wenige. Es handelt sich um die Commons. Manche sagen dazu auch »Gemeingüter«, doch das ist unzulässig verkürzt.
Woran liegt die seltsame Unsichtbarkeit der Commons? Viele Wirtschaftswissenschaftler stecken noch in der überholten Vorstellung von der »Tragödie der Gemeingüter« fest. Sie haben für Commoning keine Begriffe – und kein Verständnis dafür, dass es beim gemeinsamen Produzieren, Nutzen und Teilen nicht auf Geld- und Machtvermehrung ankommen könnte. Commons machen im Wortsinne sprachlos, weil sie mit den gängigen ökonomischen und juristischen Begriffen nicht zu fassen sind.
Der große Einwand gegen Commons lautet gewöhnlich, sie seien zu klein, um Klimakrise, Armut und andere Weltprobleme zu bekämpfen. Die befreiende Botschaft dieses Buches: Es geht. Gerade die kleinteilige Selbstorganisation birgt die Rettung. Durch Commoning werden Lebensmittel angebaut und verteilt, Wälder geschützt, Wohnraum geschaffen, Menschen gepflegt, Traktoren entworfen, Schulbücher verfasst, gemeinwohlorientierte Kreditsysteme geschaffen und vieles mehr. Commoning ist ein lebendiger sozialer Prozess, in dem Menschen selbstorganisiert ihre Bedürfnisse befriedigen.
Drei Beispiele: Gemeinschaftlich genutztes Ackerland, Weiden, Wälder und Gewässer gehören zu den ältesten und größten Commons: Laut einem Bericht der International Land Rights Coalition sind bis zu 2,5 Milliarden Menschen auf Gemeinschafts- und indigenes Land angewiesen. Der niederländische Pflegedienst Buurtzorg besteht aus lauter kleinen selbstverwalteten Teams. Diese pflegen Kranke schneller gesund als hierarchische Dienste – nicht obwohl, sondern weil dort niemand die Minuten pro Verbandswechsel abrechnen muss. »Wiki-House« ist ein Internet-Designbaukasten für die Schaffung von einfachem, günstigem und energiesparendem Wohnraum. Er ermöglicht eine »kosmo-lokale Produktion«, bei der Menschen »leichte« Dinge wie Wissen und Design über das Internet weitergeben, um vor Ort »schwere« Dinge wie Häuser zu produzieren.
Mit einem großen theoretischen und empirischen Aufwand haben Silke Helfrich und David Bollier die Ergebnisse der Commons-Forscherin und Nobelpreisträgerin Ellinor Ostrom in vielfältiger Weise vertieft und erweitert. Sie beschreiben die Muster des Commoning, die sich quer durch ganz unterschiedliche Handlungsfelder erkennen lassen. Die »Triade der Commons« entsteht im alltäglichen Miteinander (soziale Sphäre), in der bewussten Selbstorganisation der Gleichrangigen (politische Sphäre) und in der gemeinsamen Befriedigung von Bedürfnissen (wirtschaftliche Sphäre).
Aber die Muster des Commoning können nur wahrgenommen und erkannt werden, wenn wir die Wirklichkeit aus einer neuen Perspektive betrachten, so Helfrich und Bollier. Die Beiden entwickeln eine Philosophie der Bezogenheit – mit vielen neuen Begriffen, die etwas in uns zum Klingen bringen. Denn jeder Mensch kann nur ein »Ich« werden, indem er in ein »Wir« hineinwächst und von ihm lernt. Schon Goethe wusste: »Mein Werk ist ein Kollektivwesen, das den Namen Goethe trägt«. Und Nelson Mandela machte das südafrikanische »Ubuntu«-Denken berühmt: »Ich bin, weil wir sind.« Unsere Identitäten sind vielfältig und aufeinander bezogen. Daraus resultiert eine andere Form von Eigentum: das »beziehungshafte Eigentum«. Hierfür grub das Autorenduo tief in der Menschheitsgeschichte und fand jenseits von Privat- und Gemeinschaftseigentum eine alte römische Rechtsform, das »res nullius in bonis«, das wachgeküsst werden müsste.
So wie in der Römerzeit, braucht es auch heutzutage staatlicher Regelungen zugunsten des Commoning. Es wird schwer wachsen können, wenn es vom Staat nicht anerkannt und gefördert wird. Der Politik ist deshalb aufgetragen, institutionelle Formen zu entwickeln, die den Commons eine Chance geben, sich zu entfalten. Statt immer mehr Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) brauchen wir Commons-Öffentliche Partnerschaften – Vereinbarungen über langfristige Zusammenarbeit zwischen Commoners und staatlichen Institutionen zur Lösung von bestimmten Problemen. Ein Beispiel sind die freiwilligen Feuerwehren, aber auch gemeinschaftsbasierte WLAN-Systeme. Der Schlüssel ist, den Menschen echte Befugnisse zu übertragen, damit sie ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen können.
Der Wunsch nach einer gerechteren Welt ist kein utopischer Traum. Das zeigt dieses Buch anschaulich anhand vieler Beispiele und in vielen Details. Es zu lesen ist der erste Schritt, die Welt mit einer neuen Offenheit und mit neuen Ideen anzuschauen. Die Suche nach neuen Perspektiven war auch unser Ansinnen, als wir uns dazu entschlossen, dieses Buchprojekt zu unterstützen. Wenn es Kontroversen auslöst und neue Debatten anstößt, hat es sich schon gelohnt.
Berlin, im Frühjahr 2019 Barbara Unmüßig
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Einleitung
- Teil 1 – Commons grundlegen
- Teil 2 – Commons verstehen und leben
- Einleitung: Die Triade des Commoning
- Kapitel 4: Soziales Miteinander
- Kapitel 5: Selbstorganisation durch Gleichrangige
- Kapitel 6: Sorgendes & selbstbestimmtes Wirtschaften
- Teil 3 – Das Commonsversum
- Einleitung: Wie das Commonsversum wachsen könnte
- Kapitel 7: Eigentümlich denken
- Kapitel 8: Haben & Sein
- Kapitel 9: Commons im Staat
- Kapitel 10: Commons erMächtigen
- Anhang
- Danksagung