Teil 3 – Commonsuniversum
Kaptiel 7. Eigentümlich denken.
Kapitelüberschriften
- Ich, meine Freiheit und mein Eigentum
- Die Beziehungswelten des Eigentums
- Gemeineigentum versus Individualeigentum?
- Vom Unterschied zwischen Besitz und Eigentum
- Vernakuläres Recht
- Nichtveräußerbarkeit: Ein Zentralbegriff des Commoning
- Res nullius neu entdecken
- Eigentum als Verdinglichung der Sozialbeziehungen
Wer heute die Innenstadt von Florenz besucht, kann zwischen überteuerten Cafés und kitschigen Souvenirläden schlendern, dabei liebevoll restaurierte Gebäude und Plätze aus dem 14. bis 18. Jahrhundert genießen und nach der Kopie der David-Statue im öffentlichen Raum die originalen Kunstschätze in den Uffizien bewundern. Wer etwas genauer hinschaut, entdeckt vielleicht auch den letzten Teil der Altstadt, der noch nicht in ein Disneyland der Renaissance verwandelt wurde – auf der anderen Seite des Arno, direkt hinter der Karmeliterkirche, Santa Maria del Carmine, wo die Renaissance ihren Anfang nahm. Hier liegt der Pfarrbezirk San Frediano, nur wenige Schritte von der weltberühmten Ponte Vecchio entfernt. In San Frediano finden Sie den Nidiaci-Gemeinschaftsgarten – eigentlich ist es eher ein vielfältig genutztes Grundstück als ein Garten –, eine Oase, die von der voranschreitenden Gentrifizierung inmitten der Stadt Florenz noch nicht erfasst wurde. Wenn Sie zufällig nachmittags vorbeikommen, treffen Sie auf lärmende Kinder und ihre Eltern. Sechsjährige rennen ausgelassen umher und schaukeln, während ihre älteren Geschwister Fußball spielen – bei den »Lebowskis«, der einzigen selbstverwalteten Fußballschule der Stadt. An manchen Nachmittagen gibt eine portugiesische Musikerin den Kindern Geigenunterricht. An anderen lehrt eine britische Schriftstellerin in einem Atelier, das zum Garten gehört, Englisch. Familien organisieren Tauschbörsen für Kinderkleidung. Menschen aus der Nachbarschaft pflegen einen kleinen Gemüsegarten. Andere beteiligen sich an einem Projekt zur Überwachung der Umweltverschmutzung und des Verkehrs in der Stadt. Dieser Raum des Miteinanders – versteckt in einem Winkel der Innenstadt –, wird als Commons von Menschen aus dem Viertel gepflegt. Wie er genutzt wird »hängt davon ab, was die Menschen entscheiden«, sagt Miguel Martinez, ein Amateurhistoriker und Mitstreiter des Nidiaci-Gartens. »Es ist schwierig zu erklären, was wir hier machen, denn es kommt immer darauf an, was diejenigen tun wollen, die neu hinzukommen.« Doch was immer das auch ist: In einer Nachbarschaft, in der die Eltern von etwa 40 Prozent der Kinder nicht in Italien geboren wurden, sollte nicht unterschätzt werden, wie wichtig es ist, überhaupt einen Raum für Commoning zu haben.
Wie kommt es, mögen Sie fragen, dass dieser wunderschöne Fleck mitten in Florenz – der auf dem Immobilienmarkt sicherlich mehrere Millionen Euro wert ist – noch nicht an die Meistbietenden verkauft und mit Eigentumswohnungen bebaut wurde? Wie wurde es möglich, dass einige Anwohnerinnen und Anwohner diesen Ort tatsächlich (für-)sorgend bewirtschaften? Als wir Antworten auf diese Fragen suchten, lernten wir Einiges über Eigentumsrechte und darüber, wie sie beitragen könnten, dass Menschen ein zufriedeneres Leben führen.
Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, wie das Eigentumsrecht dem untergeordnet werden kann, was gesellschaftlich und ökologisch notwendig ist. Es geht uns im Ergebnis nicht darum, (den Rechtsbegriff) Eigentum abzuschaffen, sondern die Dinge, die wir benutzen (meist ebenfalls als »Eigentum« bezeichnet), in ihrem reichhaltigen, vielfältigen und sinnstiftenden Beziehungsnetz – sozial, wirtschaftlich, ökologisch und in der Zeit – zu verorten[1] und dann inklusivere Formen des Habens zu fördern. Die Konzepte – nicht gleichzusetzen mit derzeit gültigen Rechtsbegriffen – Besitz, Gewohnheitsrecht und Unveräußerlichkeit werden uns helfen, Eigentum neu zu denken. Das heißt zunächst zu erkennen, dass bekannte Formen kollektiven Eigentums – treuhänderische Organisationen oder Genossenschaften – viel erreichen können. Letztlich aber überwinden sie nicht die strukturellen Einseitigkeiten, die im Eigentum selbst eingebettet sind: das Recht, Dritte auszuschließen, blindes Vertrauen in Märkte, die Gleichsetzung von Wert und Preis und die Macht von Eigentümerinnen und Eigentümern zu diktieren, wie mit Menschen und Natur umgegangen wird.[2]
Doch kommen wir zurück zur Geschichte in Florenz. Das heute als Nidiaci-Gemeinschaftsgarten genutzte Land war ursprünglich das Geschenk einer Witwe an die Karmeliterkirche. Im 19. Jahrhundert wurde es vom napoleonischen Bürgermeister von Florenz verstaatlicht. Er selbst erwarb es anschließend für die eigene Nutzung (zurück). Was also zunächst privat war, dann per Schenkung an die Kirche ging, später durch Verstaatlichung öffentlich wurde, fiel wieder ins Privateigentum. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Land an andere Eigentümer weiterverkauft. Einer der Eigentümer übergab es an die Stadt Florenz, die es für eine Grundschule nutzen wollte. Doch dann geschah etwas Entscheidendes, auch wenn nicht im Einzelnen geklärt ist, wie und warum. Im Jahr 1920 kaufte Edward Otis Bartlett das Land. Er war damals Missionsleiter des US-amerikanischen Roten Kreuzes in Italien. Bartlett übergab das Grundstück an zwei Treuhänder zur Verwaltung mit der Auflage, es »für die allgemeine Bildung, mit besonderer Berücksichtigung von Kindern« zu nutzen. Das Eigentum war damit an einen sozialen Auftrag gebunden, nämlich als Ort für die Kinder des Viertels erhalten zu werden. Im Jahr 1954, nachdem die Treuhänderschaft bereits an die nächste Generation übergegangen war, entschied ein Treuhänder, den größten Teil des Grundstücks der Stadt Florenz zu übertragen. Dieser Teil wurde somit wieder öffentlich. Da jedoch die alten Rechtsdokumente als verschollen galten, erinnerte sich später niemand der Zweckbindung. Jedenfalls ließ die Stadtverwaltung Anfang der 2010er-Jahre den Verkauf eines Gebäudes und eines Teils des Gartens an Investoren zu, die dort Luxuswohnungen und einen Parkplatz errichten wollten. Dass die verschollenen Unterlagen aus den 1920er-Jahren letztlich wiedergefunden wurden, war nur der hartnäckigen Detektivarbeit der Menschen aus der Nachbarschaft zu verdanken. Damit konnten sie darauf pochen, dass das Land dem Wohle der Kinder gewidmet war. Familien aus San Frediano organisierten öffentliche Proteste, um die Treuhänderschaft wiedereinzusetzen, was jedoch erfolglos blieb. Allerdings stimmte die Stadtverwaltung, die Geld sparen wollte und wegen der Proteste schlecht da stand, der Idee zu, dass die Bewohnerinnen und Bewohner den Garten selbst verwalten, auf eigenes Risiko, auf eigene Kosten und auf eigene Verantwortung. Eine Nachbarschaftsvereinigung wurde gegründet, damit eine rechtliche »Übereinkunft« mit der Stadtverwaltung unterzeichnet werden konnte. Das war die Rechtsgrundlage dafür, dass der öffentliche Raum öffentlich blieb – ohne zu Lasten der Stadt zu gehen. Diese Übereinkunft ähnelt Vereinbarungen mit anderen Nachbarschaftsgärten in Florenz – sie machen aus den Bewohnerinnen und Bewohnern die Hüterinnen und Hüter der Gärten. Die Stadtverwaltung behielt sich jedoch das Recht vor, die Schlüsselübergabe an die Commoners zu jedem Zeitpunkt durch eine unanfechtbare Entscheidung zu widerrufen. Damit kann das Commoning im Nidiaci-Garten zunächst weitergehen.
Es gibt unzählige dieser Geschichten von Menschen, die versuchen, auch rechtlich abzusichern, was sie mit- und füreinander tun. Sie alle sind unterschiedlich, ähneln sich aber zumindest in zweierlei Hinsicht. Erstens machen sie klar, wie wichtig Rechtsformen sind, denn sie privilegieren bestimmte soziale Beziehungen und bestimmte Nutzungen der Dinge und verdrängen andere. Und, zweitens, geht aus ihnen hervor, dass Commoning als soziale Wirklichkeit der Festlegung von Eigentumsformen vorausgehen muss. Dass das Grundstück des Nidiaci-Gartens überhaupt gerettet wurde, ist den Menschen aus der Nachbarschaft zu verdanken. Sie haben sich organisiert, ein gemeinsames Anliegen verfolgt und dafür angemessene rechtliche und politische Lösungen gesucht.
Auf die Rechtsformen kommt es also an: Die Geschichte des Nidiaci-Gartens hat beispielsweise deutlich gemacht, dass das Instrument der Treuhänderschaft[3] geeignet war, um sowohl den Anliegen der bzw. des Schenkenden als auch jenen der Bevölkerung des Viertels gerecht zu werden. Vorerst haben sich die Nidiaci-Commoners durchgesetzt. Seit 2013 bis zum Redaktionsschluss können sie das Grundstück in die eigenen Hände nehmen. Verstanden haben sie aber auch, dass es offenbar keine per se geeignete Form des Eigentumsrechts gibt, um die Praktiken und Sozialbeziehungen zu garantieren, die sie pflegen möchten. Auch dies ist eine Erkenntnis, die sich immer wieder durchsetzt: Commoners müssen in der Regel auf »fremde«, im Kern ungeeignete Rechtsformen zurückgreifen, um ihr gemeinsames Vermögen und die Kultur des Commoning zu schützen. So zeigt es auch das Beispiel der Software-Communities, die sicherstellen wollen, dass ihr Code als freie und quelloffene Software (FOSS) von allen weitergegeben und modifiziert werden kann. Sie verlegten sich darauf, das Urheberrecht »juristisch zu hacken« (engl. legal hack, mehr dazu auf S. 241), das eigentlich gerade die individuelle Verfügung über kreative Werke absichern soll. Auch der US-amerikanische Unternehmer Douglas Tompkins, der mehr als 8.000 km² Wildnis in Chile und Argentinien unter Schutz stellen wollte, fand keine Rechtsform, die es erlaubte, das Land als Commons zu bewirtschaften. Schließlich hat er das Land privat erworben und anschließend – ähnlich wie Edward Otis Bartlett vor 100 Jahren in Florenz – einer privatrechtlichen Treuhandorganisation geschenkt, die es wiederum den Regierungen dieser beiden Länder übergab, sodass es fortan öffentlich verwaltet werden kann. Auch im Alltag reiben sich Bedürfnisse von Commoners permanent mit dem Eigentumsrecht. So wählt eine Gruppe Aktiver ein bestimmtes Lokal als regelmäßigen Treffpunkt, Biker oder Fußballfans machen eine bestimmte Bar zu »ihrer Kneipe«. Solche Orte werden für diese Menschen zu einem sozialen Commons. Aber natürlich haben die tatsächlichen Eigentümerinnen oder Eigentümer ihre eigenen Vorstellungen, wie sie zu bewirtschaften sind. Sie bestimmen die Regeln.
Eigentumsrecht und Commoning sind nicht füreinander geschaffen. Das bekamen auch die Nidiaci-Commoners zu spüren: Sie haben keinen eindeutigen Rechtstitel für das Land und auch kein Rechtsinstrument, das ihre Praktiken auf Dauer anerkennt. Dennoch ist es am Ende gut ausgegangen, denn der ausgehandelte Kompromiss ermöglicht es ihnen, das Grundstück entsprechend der Bedürfnisse der Kinder und zahlreichen (Migranten-)Familien zu nutzen sowie selbstorganisiert zu bewirtschaften. Die Erlaubnis, die sie sich sichern konnten, genügt für ihre Zwecke. Jedenfalls kurzfristig. Sie ist jedoch keine verlässliche Rechtsgrundlage auf lange Sicht. Weil der existierende Rechtsrahmen für Commons ungeeignet ist, haben Commoners, die sich rechtlich absichern wollen, kaum eine Alternative als die, das existierende Recht kreativ einzusetzen oder umzubauen, politischen und sozialen Druck auszuüben und – wenn das nicht genügt – zu zivilem Ungehorsam überzugehen.[4] Überraschend ist das nicht. Natürlich wird in der herrschenden Wirtschafts- und Sozialordnung das Eigentumsrecht so eingesetzt, dass sich vorrangig ökonomische Interessen durchsetzen und umgekehrt. Dem Historiker E.P. Thompson zufolge »leistete [auch – S.H.] die politische Ökonomie dem Recht Vorschub«[5] – sonst wären im Frühkapitalismus nicht so viele Commons eingehegt sowie Bräuche und Traditionen außer Kraft gesetzt worden. Das Eigentumsrecht war stets das bestimmende Instrument der Enteignung. Heute ist eine ähnliche Dynamik am Werk. So zwingt die Handhabung des Urheberrechts durch Wissenschaftsverlage Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Situationen, in der sie sogar für den Zugriff auf ihre eigenen publizierten Artikel bezahlen müssen. Das Patentrecht wird eingesetzt, um Bäuerinnen und Bauern daran zu hindern, Saatgut weiterzugeben. Der bekannte kanadische Politikwissenschaftler und Philosoph C.B. Macpherson erklärt den Zusammenhang zwischen Rechtsordnung und Wirtschaftssystem so: »Wenn das liberale Eigentumsrecht so in Gesetze gegossen wird, dass die ausschließliche Nutzung und Verfügung über Anteile an durch die Natur bereitgestellte Ressourcen[6] sowie über in der Vergangenheit durch Arbeit geschaffenes Kapital als individuelles Recht festgeschrieben wird und wenn dies dann kombiniert wird mit dem liberalen System der Marktanreize und der Vertragsfreiheit, führt dies fortwährend zu einer Konzentration von Eigentümerschaft und zu einem System von Machtverhältnissen [...], welches das ethische Ziel [liberaler Gesellschaften – S.H.] der freien und unabhängigen individuellen Entwicklung negiert«[7] (Hervorhebung im Original).
Die Kombination dieses Verständnisses von Eigentumsrecht mit kapitalistischen Märkten und der staatlichen Durchsetzung von Verträgen hat ein machtvolles Narrativ von »Freiheit« geschaffen – allerdings ist es hauptsächlich die Freiheit der Eigentümerinnen und Eigentümer. Wenn wir also wirklich frei sein wollen und das für alle gelten soll, dann müssen wir Eigentum neu denken. Das ist keine Kleinigkeit.
Ich, meine Freiheit und mein Eigentum
Es ist kaum übertrieben zu behaupten, dass das Eigentum(srecht) unsere Idee vom Menschsein prägt und in jeden Winkel der Gesellschaft ausstrahlt. Eigentum beeinflusst unsere Identitäten und Beziehungen, unser Verhalten, unsere Institutionen und unseren Umgang mit der Natur. Auch wenn dieser Aspekt in der Eigentumsforschung nicht im Zentrum steht, findet er doch Erwähnung. So schreibt Margaret Jane Radin: »Die [...] zugrundeliegende Prämisse ist: um sich angemessen entwickeln zu können – um ein Mensch zu sein –, braucht ein Individuum ein gewisses Maß an Kontrolle über Ressourcen in der externen Umwelt. Die notwendigen Zusicherungen von Kontrolle nehmen die Form von Eigentumsrechten an.«[8] Eigentum dreht sich jedoch nicht vorrangig um »ein gewisses Maß an Kontrolle über Ressourcen«, es drückt vor allem Sozialbeziehungen aus. Anders gesagt: Eigentum ist Konsequenz der rechtlichen Regelung unserer sozialen Beziehungen. Deshalb bestimmt die Art und Weise, wie wir Eigentum rechtlich verstehen, auch die tatsächlichen sozialen Beziehungen, die wir denken und entwickeln können. Heute geschieht das, während ein riesiger Marktapparat alltäglich eine Kultur des Eigentums befeuert. Das heißt, nicht nur unsere verkürzte Vorstellung »der Wirtschaft« als Geldwirtschaft bestimmt, wie wir uns zueinander verhalten, sondern auch unser nicht minder verkürztes Eigentumsverständnis prägt unser Handeln.
Seit 250 Jahren bestimmen liberale Vorstellungen von Eigentum in wesentlichem Maße unsere Gesellschaften. John Locke, Thomas Hobbes und andere frühere Theoretiker des modernen Staates und der liberalen Eigentumsidee gingen vom Individuum aus und davon, dass jeder Mensch »wesentlich der Eigentümer seiner eigenen Person oder seiner eigenen Fähigkeiten« ist.[9] Damit eng zusammen hängt die Freiheitsidee, die sich die westliche Kultur weitgehend zu eigen gemacht hat: »Das menschliche Wesen ist Freiheit von der Abhängigkeit vom Willen anderer, und Freiheit ist Funktion des Eigentums. Die Gesellschaft wird zu einer Anzahl freier und gleicher Individuen, die zueinander in Beziehung stehen als Eigentümer ihrer eigenen Fähigkeiten und dessen, was sie durch deren Anwendung erwerben. Die Gesellschaft besteht aus Tauschbeziehungen zwischen Eigentümern« [Hervorhebung d. Verf.].[10] Dieser moderne Katechismus der Freiheit verankert das in Ehren gehaltene kulturelle Ideal der individuellen Autonomie und des individuellen Eigentums tief in unserer Gesellschaft. Der Mensch wird als isoliertes Ich begriffen. Dieses Ich genießt absolute Freiheit, die durch Eigentümerschaft zum Ausdruck kommt. Es ist eine Welt, in der wir als Selbst letztlich abgetrennt von allem anderen existieren – von Gemeinschaft, Tradition, Ethnizität, Religion, Natur. In einer solchen Welt bildet die Eigentümerschaft ein institutionelles Bollwerk für die »Freiheit« des vollkommen autonomen Individuums. In den Grundsätzen des freien Marktes und der westlichen Zivilisation sind die drei Vorstellungen – das isolierte Individuum, die individuellen Eigentumsrechte und die Freiheit – auf das engste miteinander verknüpft. Aus dieser Verknüpfung heraus wird eine Welt behauptet, in der individuelle Eigentumsrechte die »konkrete Freiheit [der Menschen] und ihre konkrete Chance, all ihre Möglichkeiten zu entfalten« bestimmen.[11] Nachdem sich diese Vorstellungen mit dem modernen Liberalismus als dominante politische Theorie durchgesetzt hatten, wurden sie »naturalisiert«, d.h. in die Natur des Individuums hineininterpretiert, als seien sie immer schon da gewesen und keine kulturelle Schöpfung. Sie erscheinen als selbstverständliche, universelle Tatsache – ungeachtet dessen, dass wir tatsächlich voneinander und von der Erde in vielfacher Weise abhängig sind (vgl. Kapitel 2). In unserem Freiheitsbegriff und im dominierenden Eigentumsbegriff sind diese Abhängigkeiten weitgehend getilgt. Indem das moderne Eigentumsrecht eine solche Vision des Menschseins auf den Sockel hebt, wirkt es wie ein riesiges System des Social Engineering. Es überhöht instrumentelle, gewerbliche Nutzungen der Natur. Es bestärkt uns darin, in Menschen vor allem die Arbeitskraft zu sehen, die sich auf dem Arbeitsmarkt vermarkten muss. Es schafft künstliche Knappheiten, um Märkte zu kreieren, die sonst nicht existieren würden. Kurz, es richtet die Aufmerksamkeit auf das Verwertbare und lässt das, worauf es beruht, im Dunkeln. Das Eigentumsrecht in seiner heutigen Form privilegiert zudem systematisch das Individuum gegenüber dem Kollektiv – umgekehrt wäre auch nicht besser – sowie Marktwert gegenüber Eigenwert oder Gebrauchswert. Das diktiert geradezu die von Macpherson beschriebenen Ergebnisse: Eigentumskonzentration, Machtkonzentration und die Preisgabe der Idee, dass wir uns alle frei und unabhängig individuell entfalten können, egal ob wir über (viel) Geld oder Eigentum verfügen oder nicht.
Aus dem bisher Gesagten wird verständlich, warum es so schwierig ist, Rechtsformen zu entwerfen, die eine breitere Palette von Anliegen, Werten, Praktiken und Organisationslogiken abbilden können. Können wir dennoch – im Sinne des in Kapitel 2 skizzierten Onto-Wandels – Eigentum so konzeptualisieren, dass es der Beziehungsfülle des Lebens besser gerecht wird?
Die Beziehungswelten des Eigentums
Bereits in dem Moment, in dem wir uns als »Ich-in-Bezogenheit« anerkennen, wird klar, dass die Grundfigur im Eigentumsrecht – der von anderen und der Erde getrennte autonome Einzelne – höchst problematisch, wenn nicht sogar unsinnig ist. Die drei Säulen der modernen liberalen Gesellschaft – 1) das Individuum und 2) Eigentumsrechte als Basis für 3) Vertragsfreiheit – sind letztlich eine grobschlächtige und einengende Vision für eine soziale Ordnung, in der wir unser menschliches Potenzial entfalten können. Wenn wir unser vielfaches Bezogensein ernst nehmen, müssen wir auch neue Institutionen und »Rechtsformen des Habens« (also neue Eigentumsrechte) entwickeln, die auf dieser Tatsache beruhen. Wenn wir das kulturelle Ideal des liberalen Individualismus als Fantasiebild begriffen haben, dann beginnen wir schon, die Begriffe »Freiheit« und »Eigentum« neu zu denken. Liebgewonnene Vorstellungen gehören auf den Prüfstand: Ist grenzenloser Individualismus wirklich befreiend? Sind Eigentumsrechte, so wie wir sie heute verstehen, wirklich ein Garant für »Freiheit« und soziales Wohlergehen? Können wir in einer begrenzten Welt – mit Verweis auf die Freiheit der Eigentümer – weiterhin dem Wachstum nachjagen? Um Eigentum zu hinterfragen, müssen wir uns auf neues und schwieriges Terrain wagen. In seiner berühmten Abhandlung aus dem Jahre 1753 schrieb der englische Jurist William Blackstone: »Es gibt nichts, das die Vorstellungskraft so allgemein beflügelt und die Gewogenheit der Menschheit derart fesselt wie das Eigentumsrecht, jene alleinige und willkürliche Verfügungsgewalt, die ein Mensch über die externen Dinge der Welt behauptet und ausübt, unter völligem Ausschluss des Rechts jeglichen anderen Individuums im Universum.«[12] Blackstones etwas zwanghaft selbstverliebter Eigentümer[13] entspricht dem soeben kritisierten Zerrbild, das zumindest in euro-amerikanischen Kontexten nach wie vor weit verbreitet ist. Eigentum erscheint ihm vor allem als Beziehung zu Gegenständen, zu den »externen Dinge der Welt«. Die relevante Beziehung, die durch Eigentum entsteht, wird beschrieben als Beziehung zwischen einer Person und einem Gegenstand, wie in: »Das ist mein Fahrrad. Ich bin seine Eigentümerin.« Da das Eigentumsrecht diese beiden Vorstellungen – vom isolierten Einzelnen und vom »Eigentum als Gegenstand« – privilegiert, stellt sich die Frage, was aus den Beziehungen wird, die Commoning und eigentlich auch das Leben selbst ausmachen.
Auch Blackstone wirft einen Blick auf die Sozialbeziehungen. Er merkt scharfsichtig an: Entweder ist man Eigentümer, oder man ist Nicht-Eigentümer. Eigentumsrechte sorgen zunächst einmal für diese Grenzziehung. Die Aussage: »Das ist mein Fahrrad. Ich bin seine Eigentümerin«, lautet zutreffender und vollständiger: »Das ist mein Fahrrad, deswegen kann ich entscheiden, ob Sie es benutzen dürfen oder nicht.« Die rechtliche Verknüpfung zwischen mir und dem Fahrrad rechtfertigt meine Ansprüche und schließt die der anderen aus. Es liegt klar auf der Hand: die rechtliche Beziehung (Eigentümerschaft) bestimmt und formt unsere sozialen Beziehungen – und zwar auf sehr grundlegende Art und Weise. Die Rechtsbeziehung ermöglicht dem Eigentümer alles: ob das Fahrrad verkauft, zerstört, verändert, mitbenutzt oder auf ewig in einer Garage geparkt werden darf. Und insbesondere bestimmt sie das Recht des Eigentümers, andere auszuschließen. Wie wir Eigentumsrechte gestalten und anwenden, enthüllt eigentlich viel mehr über uns und unsere Beziehungen zu anderen als über unsere Beziehung zu der Sache, die uns gehört.
Natürlich gibt es einige wichtige Ausnahmen zur unbegrenzten Freiheit des »alleinigen und willkürlichen« Eigentümers. So schränkt etwa das Bauplanungsrecht ein, wie Land genutzt und bebaut werden darf. Es gibt Vorschriften, die Eigentümerinnen und Eigentümer daran hindern, zu viel Lärm zu machen oder Laub zu verbrennen. Öffentlich-rechtliche Vorschriften wie Baugesetzbuch und Bauordnungen beschränken die blackstonessche »alleinige und willkürliche Verfügungsgewalt«, um die Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit in vielen Bereichen zu schützen. Trotz dieser Schranken – die starke, durchsetzungsfähige Institutionen voraussetzen –, geht die Idee des Eigentums normativ von der absoluten Verfügungsgewalt aus. In dieser Vorstellung steckt aber ein quasi unlösbares Problem. In Wirklichkeit ist es nämlich unmöglich, dass die Eigentumsrechte aller absolut und unbegrenzt sind. Konflikte über den Umfang der eigenen Rechte sind damit unvermeidlich. Über das Recht allein können sie nicht gelöst werden; politische, im Grunde gesellschaftliche Entscheidungen sind hier gefragt.[14] Das Recht spiegelt letztlich die politische und ökonomische Ordnung wider.
Doch zurück zum Charakter des Eigentumsrechts. Im Grundgesetz regelt Artikel 14 Absatz 2: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Auch der Philosoph John Locke, der die Hauptargumente für das gegenwärtige Eigentumsrecht lieferte, erkennt die sozialen Auswirkungen individueller Eigentümerschaft an. Nach Locke ist Eigentum legitim, insofern das Angeeignete eigene Anstrengung und Arbeit erforderte, denn »diese Arbeit ist das unbestreitbare Eigentum des Arbeitenden, und niemand außer ihm selbst kann ein Recht haben auf irgendetwas, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist – zumindest dort nicht, wo für die anderen bei gleicher Qualität noch genug davon in gleicher Güte vorhanden ist«.[15] Diese sogenannte »Lockesche Bedingung« (engl. Lockean proviso) verweist also auf die Konsequenzen »je meines Eigentums« für das Leben anderer Menschen, doch in der Praxis wird dies weitgehend ignoriert.[16]
Angesichts dieses kurzen Ausflugs in die Geschichte des Eigentumsrechts ist die Idee, dass Eigentum vor allem soziale Beziehung prägt, gar nicht so bemerkenswert. Kontrovers wird sie erst dann, wenn es darum geht, bestimmte Einschränkungen oder den konkreten inhaltlichen und zeitlichen Umfang der Ansprüche Dritter (inklusiver künftiger Generationen) genau festzulegen. Daraus wird klar, dass der Gedanke, dass Eigentumsrecht unsere Sozialbeziehungen formt, kein allgemeiner Kommentar zur Verfasstheit der Gesellschaft ist. Er bedeutet, dass die »eigentümlich« geformten Beziehungen dank staatlicher Durchsetzungsmacht auch verwirklicht werden. Das, was dann konkret real wird, ist nicht aus dem Eigentumsrecht selbst ableitbar, denn das Eigentumsrecht selbst hat keinen bestimmten Inhalt. Es ist Ergebnis politischer Auseinandersetzung. Es ist also Folge des Ringens darum, welche Bedeutungen »Eigentum« zugeschrieben und wie sie rechtlich durchsetzbar gemacht werden. So spiegelt das Recht soziale Beziehungen – insbesondere Machtverhältnisse – wider, und zugleich gestaltet und bestimmt es diese stark mit. Wenn im staatlich gesetzten Recht bestimmte inhaltliche Vorstellungen kodiert werden – etwa die Idee, dass Land, Musik, Wasser oder Bilder Menschen gehören können wie ein Fahrrad oder ein Kleidungsstück –, dann geschieht etwas Wesentliches: Es wird schwierig, die normativen Begründungen der Eigentümerschaft an solchen »Dingen« in Frage zu stellen. Hat ein souveräner Staat bestimmte Eigentumsobjekte erst einmal kodifiziert, ist faktisch jegliche weitere Diskussion über die Legitimität von Eigentümerschaft ausgeschlossen. Daraus resultiert eine verstörende Lücke zwischen Legalität und Legitimität, um diese hilfreiche Unterscheidung aufzugreifen, auf die sich auch der französische Rechtswissenschaftler Etienne Le Roy bezieht.[17] Die Eliten in Politik und Wirtschaft machen sich »Legalität« (also formales Recht, bürokratische Regeln und Rechtsdenken) zu eigen und ignorieren dabei die andersartige Erfahrungen der »Legitimität« wie die vernakulären Normen und Praktiken gewöhnlicher Menschen. Bäuerinnen und Bauern in der ganzen Welt halten es beispielsweise für vollkommen legitim, ihr Saatgut aufzubewahren und weiterzugeben. Seit Tausenden von Jahren wurde das so gehandhabt. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Internetnutzerinnen und -nutzer wollen im Allgemeinen ihr Wissen einander zur Verfügung stellen. Die Hüterinnen und Hüter der Legalität hingegen betrachten solche Aktivitäten als kriminell, sobald das staatliche Recht diese Formen aufgrund von Eigentumsrechten für »illegal« erklärt. Legalität verdrängt also, was wir als »vernakuläres Recht« bezeichnen: die informellen, »inoffiziellen« Normen, Praktiken und Bräuche, dank derer die Menschen auf Augenhöhe ihre Angelegenheiten regeln.[18] Nach dieser Logik genießt auch das Eigentum einen stärkeren rechtlichen Status als Besitz, ungeachtet der Legitimität der Argumente, die für Letzteres sprechen. Da das Recht eine gewisse, durch staatliche Institutionen (Parlamente, Bürokratien, Gerichte) »geweihte« Eigentumsordnung stützt, können gewohnheitsmäßige Praktiken, Traditionen und Besitz als »illegal« oder zumindest suspekt beiseitegeschoben werden.
Über den Besitz
Paragraph 854 BGB definiert Besitz als »tatsächliche Gewalt« über eine Sache. Damit wird »Besitz« genau wie Eigentum ungeachtet der sozialen Einbettung als Beherrschungsverhältnis eines Rechtssubjekts über ein Objekt beschrieben. Wir verstehen »Besitz« in diesem Text hingegen in einem existentiellen Sinne. Wir kommen nicht umhin zu besitzen, worauf das Lateinische possessio (dt. Besitz) hinweist. Es ist von sedere abgeleitet, was »sitzen« bedeutet. Wir bewohnen diese Erde, »sitzen« also auf ihr und auf den vielen Dingen, die wir zum Leben brauchen. Wenn Menschen Wasser, Land, Holz, Landschaften, Saatgut und anderes mehr nutzen, kann aber etwas sehr Interessantes geschehen: sie können Zuneigung, Verantwortungsgefühl und ein sehr spezifisches Wissen gegenüber diesen Dingen entwickeln – genug, um sie in durch (Für-)Sorge geprägtes Vermögen zu verwandeln! Wenn wir uns also auf Besitz als existenzielle Tatsache und nicht als Rechtsform konzentrieren, können wir viele Erkenntnisse über unterschiedliche »Arten und Weisen des Habens« gewinnen, für die es vielleicht keine Rechtsform gibt, die aber dennoch gut funktionieren.
Nun ist das Eigentum der einen immer auch das Nicht-Eigentum der anderen. Der Rechtswissenschaftler Wesley N. Hohfeld formulierte Anfang des 20. Jahrhunderts diese Idee: jeder durch Eigentumsrecht verliehene Rechtstitel entspricht einem »Nicht-Recht«. Wann immer ein Recht oder Privileg für eine Person rechtlich anerkannt wird, wird einer anderen ein entsprechendes Recht bzw. Privileg verweigert. Jeder Rechtstitel für eine Person ist mit einer rechtlichen Einschränkung für andere verbunden.[19] Der Eigentumsexperte Joseph Singer bringt es auf den Punkt: »Rechtsansprüche sind nicht einfach Ansprüche, sondern Rechtsbeziehungen.«[20] Eigentum umfasst ein recht komplexes Bündel von Rechtsbeziehungen, die stark in den Umgang der Menschen miteinander eingreifen. Daher »kann kein Mensch vollkommene Freiheit genießen, jene Vermögenswerte zu nutzen, zu besitzen, zu genießen oder zu übertragen, die als sein Eigentum gelten«, schreibt Gregory Alexander. Das bedeute nicht, so Alexander weiter, die Idee der Eigentümerschaft zu negieren, wohl aber, dass »ein gewisses Maß an sozialer Überlagerung des Eigentumsinteresses einer Person [...] unvermeidlich ist«[21] (Hervorhebung im Original).
Diese Erkenntnis ist profunder, als sie zunächst erscheint. Das Fahrradbeispiel wird es verdeutlichen. Eigentum begründet nicht nur eine Beziehung zwischen einer Fahrradeigentümerin und einem Fahrrad und zwischen der Fahrradeigentümerin und Nicht-Eigentümern. Es etabliert indirekt ein dichtes Netz vielfältiger Beziehungen – mit den Menschen, die das Metall für das Fahrrad abbauten, mit jenen, die die Einzelteile produzierten, mit dem Hersteller und dem Einzelhandel, mit der Person, der Sie das Fahrrad vielleicht ausleihen, mit Menschen, die auf der Straße Auto und Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen usw. Ein als »Eigentum« anerkannter Gegenstand ist nicht nur in ein Netz von Sozialbeziehungen verwickelt, sondern auch in unzählige weitere Beziehungen, etwa mit einer lokalen Gemeinschaft, dem Ökosystem, dem nicht-menschlichen Leben und zukünftigen Generationen. Wenn unser modernes Eigentumsrecht also auf die Rechte der Eigentümerin bzw. des Eigentümers konzentriert ist und manchmal die direkten Auswirkungen auf Dritte in den Blick nimmt; so ist das im Grunde genommen eine kurzsichtige und engstirnige Perspektive.
Die wirkmächtigen Unzulänglichkeiten von Eigentum, die der Vermarktwirtschaftlichung der Gesellschaft Vorschub leisten, werfen die Frage auf, ob wir uns andere »Arten des Habens« vorstellen können. Solche, die auch lebendige Beziehungen außerhalb von Marktrelationen würdigen – und die bislang im Eigentumsrecht nicht wirklich anerkannt werden. Das zu verändern ist eine Herausforderung inmitten einer kapitalistischen Wirtschaftsweise, die bestimmte Muster von Sozialbeziehungen – etwa Wettbewerb und Ausschluss – immer wieder neu hervorbringt und die – unter Nutzung des Eigentumsrechts – auf die Umwandlung von Natur, Arbeit und Geld in Waren ausgerichtet ist. Das Recht zeichnet diese Logik aggressiv nach und stärkt die Logik, dass aus viel immer mehr wird. Letztlich entsteht ein selbstverstärkender, in sich geschlossener Zyklus. Die politische und ökonomische Ordnung spiegelt sich im Recht. Und das Recht stärkt die politische und ökonomische Ordnung. Dieser Teufelskreis muss irgendwie aufgebrochen werden.
Gemeineigentum versus Individualeigentum?
Eignet sich Gemeineigentum dafür, mehr Beziehungen anzuerkennen, wenn wir das Haben verrechtlichen? Viele Progressive nutzen und erproben seit Langem entsprechende, je nach Kontext und Land unterschiedliche Rechtsformen wie Genossenschaften, Kooperativen, Stiftungen, treuhänderische und gemeinnützige Organisationen und andere mehr. Sie versuchen auf diese Weise geeignete Regelungen zu finden, um soziale oder ökologische Belange vor wirtschaftliche Interessen zu stellen. Innerhalb des Markt-Staat-Systems und des dominierenden Eigentumsrechts erscheint das logisch und attraktiv. Viele Debatten um Gemeineigentum versus Individualeigentum – insbesondere im historischen Kontext der Ost-West-Auseinandersetzung – haben jedoch die Vorstellung genährt, dass sich Gemeineigentum grundsätzlich vom Individualeigentum unterscheidet. Tatsächlich aber weisen beide mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf. Individualeigentum bedeutet, dass es eine Eigentümerin bzw. einen Eigentümer gibt.[22] Gemeineigentum hat mindestens zwei (Mit-)Eigentümerinnen bzw. (Mit-)Eigentümer, es können aber auch Tausende sein. In beiden Fällen ist der Charakter der Eigentumsrechte weitgehend gleich. Die Eigentümer haben das Recht, das Eigentum zu veräußern oder andere von dessen Nutzung auszuschließen. Der Hauptunterschied liegt in der Zahl der Eigentümerinnen bzw. Eigentümer, nicht in der Natur der Eigentumsrechte. Gemeineigentum unterscheidet sich also insofern nur graduell und nicht prinzipiell vom Eigentum von Einzelpersonen. Doch nur letzteres wird gemeinhin als Privateigentum bezeichnet. Die Etymologie des Wortes »privat« ist hier erhellend. Privat geht auf das lateinische Wort privare zurück. Es bedeutet »berauben«. Beide, individuelle und kollektive Eigentumsrechte, ermöglichen den Rechteinhabern, andere zu berauben, und zwar des Rechts, das Eigentum zu benutzen und Dritte auszuschließen. Das heißt nicht, dass Arrangements des Gemeineigentums nicht sehr viel Wichtiges und Nützliches leisten können. Es heißt auch nicht, dass wir naiverweise vorschlagen, alles solle immer allen gehören oder für alle jederzeit verfügbar sein. Nur weil Individual- und Gemeineigentum sich nicht prinzipiell unterscheiden, liegt die Lösung nicht in der Abschaffung jeglicher Rechtsformen zur Regelung von Nutzungsrechten. Derart binärem Denken sollten wir nicht aufsitzen. Auch hier stellt sich die Frage, ob wir die vorgefundenen Probleme grundsätzlich anders angehen können.
Wir glauben, dass das möglich ist, und schlagen deshalb eine Neukonzeptualisierung vor. Wir können Eigentum so konzipieren (inhaltlich aufladen), dass Nutzungen sinnvoll eingeschränkt, Sozialbeziehungen gewürdigt und Herrschaft verhindert werden. Das ist es, was Commons brauchen. Wenn es uns gelingt, Eigentum tatsächlich neu zu denken, dann könnte das erheblich dazu beitragen, Commons zu unterstützen und die totalisierenden Dynamiken des Kapitals abzuschaffen. Bevor wir in Kapitel 8 darauf zurückkommen, wollen wir auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Individual- und Gemeineigentum noch einmal unter einem anderen Gesichtspunkt eingehen.
Je nachdem, ob es sich um einzelne oder um mehrere Eigentümerinnen bzw. Eigentümer handelt, gibt es natürlich erhebliche Unterschiede in der Art, wie Eigentumsrechte tatsächlich ausgeübt werden. Gemeineigentum erfordert zumindest eine Vereinbarung zwischen allen Miteigentümerinnen bzw. Miteigentümern. Zudem vermeiden manche Formen des Gemeineigentums, etwa Genossenschaften und gemeinnützige Organisationen, den strukturellen Zwang zur Profitmaximierung, dem Konzerne und herkömmliche Unternehmen unterliegen. So kann viel gesellschaftlich Sinnvolles entstehen, obwohl auch diese Rechtsformen, philosophisch gesehen, in einer individualistischen Denkweise wurzeln. An Grenzen stößt das Potenzial gemeineigentümlicher Rechtsformen dadurch, dass es die Welt wie gehabt aufteilt in »mein« und »dein« oder eben »nur für unsere Gruppe« (das entspricht in der Sprache der Wirtschaftswissenschaft den sogenannten »Klubgütern«). Auch Gemeineigentum kann mit genügend Geld »aufgekauft« werden. Oder es wird von Miteigentümerinnen bzw. Miteigentümern, die ihre gegenseitigen Verpflichtungen aufgeben, »ausverkauft«. So können sich die Mitglieder einer Genossenschaft entscheiden, sich auszahlen zu lassen, wenn der Marktwert ihrer anteiligen Vermögenswerte steigt. Oder die Leitung einer treuhänderischen Organisation entscheidet einseitig und ohne Rücksicht auf die designierten Begünstigten, die Organisation aufzulösen.
Wenn wir uns also eine Ordnung vorstellen wollen, die die Grundannahmen überwindet, auf denen das moderne Eigentumsrecht und die Kultur des Kapitalismus beruhen, müssen wir uns anderweitig umsehen. Hierfür können wir zwei Richtungen verfolgen: die Spur der Zeit vor dem Eigentum (engl. pre-property), in der es allen möglich war, ohne Einschränkung auf das zuzugreifen, was sie zum Leben brauchten, und die Idee beziehungshafter Arten des Habens, die Commoning anerkennen und unterstützen. Vor-Eigentumsregime sind im Grunde genommen Regime des freien Zugangs. Ein solcher Ansatz ist nach wie vor für die Nutzung von Wissen, Ideen und Softwarecode attraktiv, weil deren Gebrauchswert steigt, wenn sie frei zugänglich sind und geteilt sowie – am besten achtsam kuratiert – weiterentwickelt werden können. Im Fall endlicher Güter wie Land, Wald und Wasser, kann freier Zugang allerdings zur Übernutzung führen. Die folgende Tabelle veranschaulicht die Unterschiede zwischen Individual- und Gemeineigentum sowie dem Nicht-Eigentum.
Die Unterschiede zwischen Individualeigentum und Gemeineigentum sind graduell. Der Unterschied zwischen Privateigentumsregimen (Individual-/Unternehmens-/Gemeineigentum) und Nicht-Eigentum sind prinzipiell.
Privateigentumsregime gradueller Unterschied |
Nicht Eigentum | |||
Individual Eigentum | Unternehmenseigentum | Gemeineigentum | für alle offen | |
Zahl der Eigentümer innen bzw. Eigentümer | 1 Person | 1 juristische Person im »Eigentum« vieler Aktionärinnen bzw.Aktionäre | 1 + n Personen | niemand |
Quelle: Ausarbeitung der Verfasserin und des Verfassers auf Grundlage der Klassifikationen in G. G. Stevenson: Common Property Economics: A General Theory and Land Use Application, Cambridge University Press, 1991, S. 58.
Unter beziehungshaftem Haben verstehen wir eine Art und Weise der Nutzung, die von den Beteiligten situationsgebunden und flexibel entschieden wird. Die Vorannahmen des konventionellen Eigentumsrechts werden hier aufgegeben. Keine Gruppe und kein Individuum hat absolute rechtliche Kontrolle über gemeinsames Vermögen, und niemand hat die Entscheidungsmacht, es zu verkaufen. Das schützt sowohl vor interner Inbeschlagnahme als auch vor dem Verkauf nach außen. Dem Mechanismus, dass diejenigen mit mehr Geld auch mehr Einfluss und damit mehr Kontrolle über andere haben, ist Einhalt geboten. Dem modernen Eigentumsrecht hingegen ist dieser Fehler »eingewoben«. Wenn davon ausgegangen wird, dass Wert = Geldwert = Geld ist und daher mehr Geldvermögen = mehr Wert, dann ist unausweichlich, dass »Geld die Welt regiert«. Das ist nicht nur für Commoners ein Problem, sondern auch für Unternehmerinnen und Unternehmer, die im Kapitalismus gezwungen sind, nach den Bedingungen der Kapitalgeber zu agieren.
Beziehungshaftes Haben lässt uns erkennen, wie wir die zahlreichen Beziehungen, die von Eigentum betroffen sind, pflegen können. Das Konzept macht klar, dass individuelle Nutzungsrechte und Gemeineigentumsregime sich nicht ausschließen, sondern aufeinander bezogen sind.
Wir haben bereits in Kapitel 5 gesehen, wie Klöster geschützte Räume für Einzelne mit gemeinsamen Räumen für alle verbinden. Auch in mittelalterlichen Commons, in denen Land und Wälder bewirtschaftet wurden, kamen die Beteiligten in den Genuss von Bereichen, die für die persönliche Nutzung reserviert waren, etwa um das eigene Haus herum (Curtilage-Recht)[23], oder Streifen landwirtschaftlich nutzbarer Fläche wurden für den individuellen Anbau ausgewiesen. Auch in zeitgenössischen Commons gibt es Raum für persönliche Ansprüche und Verantwortlichkeiten. Doch die verkürzte Annahme, dass individuelle und kollektive Eigentumsrechte einander ausschließen und polar entgegengesetzt sind, hat uns leider für eine einfache soziale Wirklichkeit blind gemacht: Individuelle Nutzungsrechte sind ein Schlüssel für florierende Gemeineigentumsregime. Die Einzelnen brauchen nicht nur Räume für individuelle Entscheidungen, sondern auch eine geschützte Privatsphäre.
Und damit kommen wir zur letzten konzeptionellen Unterscheidung, die für unser Thema unerlässlich ist.
Vom Unterschied zwischen Besitz und Eigentum
Sowohl dort, wo das Recht kodifiziert ist, als auch dort, wo das nicht der Fall ist, entsteht Besitz dadurch, dass man persönlich die Kontrolle über etwas bekommt, indem man es (manchmal buchstäblich) »be-sitzt«. So besitzen Sie als Mieterin bzw. Mieter beispielsweise eine Mietwohnung, die aber nicht Ihr Eigentum ist. Sie können sie nicht verschenken, an Ihre Kinder vererben, an Dritte abtreten oder verkaufen. Sie können nur Ihr Eigentum verkaufen, nicht Ihren Besitz. Das ist der entscheidende Unterschied.
Eigentum über Besitz zu privilegieren hat weitreichende Folgen. Es bedeutet, dass der Staat in Allianz mit Investoren, die Interessen von Eigentümerinnen und Eigentümern verficht. Es entstehen Anspruchshierarchien, Aktiengesellschaftsmentalitäten und die Unterwerfung vieler Lebenswirklichkeiten unter kapitalistische Sozialbeziehungen. Die Geschichte zeigt, dass Staaten (Monarchien wie demokratisch gewählte Regierungen) ihre Macht nutzen, um indigene Rechte und traditionelle Nutzungsrechte hinwegzufegen und an ihrer Stelle moderne, liberale Eigentumsrechte und das Marktsystem einzuführen. Die US-Regierung versuchte in den späten 1880er Jahren, die gemeinschaftliche Bewirtschaftung des Landes durch die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner zu beenden, indem sie das Privateigentum an Grund und Boden einführte. Das Gesetz mit dem Titel Dawes Severalty Act (etwa: »Dawes-Gesetz über alleiniges Eigentum«), gewährte nur denjenigen die US-Staatsangehörigkeit, die sich »separat und getrennt von allen Stämmen« niederließen, d.h. denjenigen, die ihre Stammesidentität aufgaben und Privateigentümerinnen bzw. Privateigentümer des Landes wurden, auf dem sie lebten. Das Gesetz trieb einen Prozess radikaler kultureller Enteignung voran. Der Hauptverfasser, Senator Henry Dawes, erläuterte den Kerngedanken so: Wenn Dinge in gemeinsamem Besitz (oder in Gemeineigentum) sind, »gibt es keinen Anlass, dein Haus besser zu machen als die Häuser deiner Nachbarn. Es gibt keinen Eigennutz, der aber der Zivilisation zugrunde liegt«.[24] Der europäische und amerikanische Kolonialismus hat dieses Muster unzählige Male wiederholt. Sie haben indigene Kulturen gezwungen, ihre (für-)sorgende Bewirtschaftung unverkäuflichen gemeinschaftlichen Landes aufzugeben. Sie haben sie »gelehrt«, ihr Land als »Privateigentum« und Stammesmitglieder als Individuen zu behandeln. So beschreibt der Historiker E.P. Thompson, wie dieses Modell indigenen Völkern in Nordamerika, Indien und dem Südpazifik aufgezwungen wurde: »Eigentümerschaft an Land erforderte eine Landeigentümerin bzw. einen Landeigentümer, Bodenverbesserung erforderte Arbeitskräfte. Um die Erde untertan zu machen, war es also erforderlich, auch die arbeitenden Armen untertan zu machen.« Thompson zitiert einen Lord Goderich, der 1831 erklärte: »Ohne ein gewisses Maß an Arbeitsteilung, ohne eine Klasse Menschen, die bereit sind, für Lohn zu arbeiten – wie kann man verhindern, dass die Gesellschaft in einen Zustand fast primitiver Grobheit verfällt, und wie sind die Annehmlichkeiten und Raffinessen des zivilisierten Lebens zu besorgen?«[25]
Eigentümerschaft zieht also eine andere soziale Ordnung und andere Beziehungen zum Land und zur Erde nach sich als Besitz. Beide gleichen sich darin, dass sie klare Zugangs- und Nutzungsrechte vorsehen. Beide sind nicht »für alle offen und ohne Einschränkungen gemeinsam nutzbar«. Wenn Sie Ihre Wohnung Ihr Eigentum nennen, haben Sie das Recht, sie zu verkaufen oder den Schlüssel an die Mieterin bzw. den Mieter zu übergeben. Wenn Sie eine Wohnung nur besitzen (weil Sie sie gemietet haben), dann können Sie immer noch Zugangsrechte festlegen (Sie haben den Schlüssel), aber Sie können sie nicht verkaufen. Dieser Unterschied legt nahe, dass Besitz sich auf den konkreten Nutzen und den Gebrauchswert konzentriert (beides ist für Commoning entscheidend), während Eigentümerschaft auf den Tauschwert ausgerichtet ist. Doch Bräuche, traditionelle Praktiken, heilige Orte, historische Gegenstände – all das, was wir als vernakuläres Recht bezeichnen – haben ihre eigene unterschätzte Macht. Sie haben den Respekt vieler Menschen, eine unhintergehbare Autorität und organisatorisch-institutionelle Kraft, die sich aus ungezählten affektiven Bindungen erklärt und die die Hüterinnen bzw. Hüter des Eigentumsrechts nur ungern anerkennen oder konfrontieren. Vernakuläres Recht vermag situationsspezifische Lösungen für Probleme anzubieten, die für Bürokratien und Märkte schwierig zu lösen sind. Aber schauen wir uns das etwas genauer an.
Vernakuläres Recht
In traditionellen Commons wurden Nutzungsrechte nicht unter Zuhilfenahme von Gesetzen durchgesetzt, sondern durch lebendige Traditionen. Den Brauch, die Grenzen des Commons abzuschreiten – to beat the bounds –, haben wir bereits kennengelernt. »Es gab ein reges Gemeindeleben mit jährlich festlichem Umzug die Gemarkungsgrenzen entlang, dem feierlichen Umtrunk nach der Revision der Gemeindekasse und anderem mehr«, schreibt der Historiker Hartmut Zückert. »Volksbräuche verbanden sich mit der Allmendweide. Die Glocke, die der Dorfbulle auf der Weide um den Hals trug, tönte in den Ohren der Bauern: ›Der Schulte kömmt, der Schulte kömmt!‹ (Der Schultheiß hielt den Zuchtbullen für die Gemeinde.) Zu Neujahr bliesen die Hirten im Dorf auf ihren Hörnern, gingen von Tür zu Tür und sangen ihr Lied, das die Bauern aufforderte, ihnen etwas zu geben – am besten die geräucherten Würste herauszurücken. Die Gaben galten als Ausdruck der Wertschätzung der Bauern für den sorgsamen Umgang der Gemeindeangestellten mit ihrem Vieh.«[26]
In allen Kulturen wurden (und werden) andere Rechtstraditionen genutzt, nach denen Menschen selbstbestimmt die eigenen Lebensbedingungen formen – hauptsächlich abseits des Augenmerks von Recht und Staaten. Sie sind nicht von der strengen Logik staatlichen Rechtsdenkens getrieben, und oft werden sie nicht einmal als »Recht« anerkannt, nur weil sie im Wortsinne »ungeschriebenes« Gesetz sind. Doch die alltäglichen Praktiken, Rituale und ethischen Normen gewöhnlicher Menschen können ebenfalls funktionieren und sind dadurch eine machtvolle Quelle und Form des Rechts. Sie unterstützen Menschen darin, ihr durch (Für-) Sorge geprägtes Vermögen nachhaltig zu bewirtschaften, so wie die morgendliche Yogastunde einen Menschen darin unterstützt, in der Balance zu bleiben. Und zwar ohne zu zentralisieren, ohne staatlichen Machtapparat, ohne komplizierte Gesetzestexte und ohne Kontrolle von oben nach unten. Überall in der Welt vollziehen Fischereigemeinschaften Rituale, um ihren Dank für die Rückkehr der Fische auszudrücken. Erntefeste zelebrieren die ordnungsgemäße Einbringung der Ernte. Die indonesischen Subak-Reisbäuerinnen und -bauern haben ausgefeilte religiös unterlegte Regeln entwickelt, um zu koordinieren, wann bewässert und wann geerntet wird. Gemeinschaften, die von ihren Wäldern abhängig sind, verständigen sich unabhängig vom – oft ohnehin inexistenten – Rechtsstaat darüber, wie sie Wilderei und Diebstahl verhindern. Die mit der International Association for the Study of Commons assoziierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben hunderte Fallstudien dazu erstellt, wie Commoners ihre Angelegenheiten regeln, und bringen immer wieder interessante Praktiken ans Licht. Manchmal entscheidet sich der Staat dafür, Gewohnheitsrecht anzuerkennen, es also »zu umarmen« und dadurch auch die Verwaltung zu vereinfachen. Das ist bei den Ejidos in Spanien und Mexiko der Fall, den Acequias für die Bewässerung in Mexiko und den südlichen Staaten der USA, den Obşte von gemeinschaftlichem Land und Wäldern in Rumänien,[27] den Iriaiken für die Ernte von Waldfrüchten oder die Bewirtschaftung von Land in Japan oder bei ihrem Äquivalent in der Schweiz, den Oberallmeindkorporationen.[28] Sie alle bestehen schon länger als jeglicher Staat oder Nationalstaat in der Geschichte. Die Allmeindkorporationen gehen sogar bis auf das Jahr 1114 zurück.
Auch wenn diese Formen bewusster Selbstorganisation durch Gleichrangige oft als informell, indigen, gemeinsam oder lokal bezeichnet werden, ziehen wir den Begriff des »vernakulären Rechts« vor. Er ist inspiriert von Ivan Illichs Gebrauch des Wortes »vernakulär«, mit dem er auf den lebendigen, sozialen Charakter dieser Art der Regelfindung hinwies. Vernakuläres Recht gedeiht, schreibt Trent Schroyer, dort, »wo Menschen sich bemühen, gegen die Kräfte der ökonomischen Globalisierung Regeneration und soziale Restauration zu erzielen«.[29]
Gewohnheitsrecht als Recht anzuerkennen heißt, die Moralvorstellungen, praktischen Erfahrungen und Weisheiten einfacher Menschen bezüglich der Nutzung ihres »Eigentums« aufzuwerten. Es erlaubt uns, ihnen neben der politischen und ökonomischen Logik des Markt-Staates und des staatlich »gesetzten« Rechts einen eigenständigen Platz zuzuweisen. Gerade weil das Gewohnheitsrecht sich den Lockeschen Vorstellungen von Eigentum widersetzt, kann es eine größere Vielfalt an Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt würdigen. Die mit dem Gewohnheitsrecht in Zusammenhang stehenden Praktiken geben den Menschen eine Möglichkeit, ihre existenziellen und affektiven Bindungen mitzuteilen – zu den Jahreszeiten, zu Flüssen, Wäldern, Weiden, dem Wild und den Fischgründen, die sie ernähren. Geschätzte und bewährte Rituale, Bräuche und Normen können legitime Quelle für Recht und Governance sein. Sie können genügend Anerkennung finden, um schließlich zu einer funktionalen Form von Recht heranzureifen. Der Staat kann so klug sein, ihnen Rechtskraft zuzusprechen.
Vernakuläres Recht ist wertvoll, weil es aus Beziehungsvielfalt heraus entsteht und weil es sich weiterentwickeln und verändern kann, wenn sich die Verhältnisse ändern. Es spiegelt die Lebenswirklichkeit und Gefühle einfacher Menschen wider, nicht die Prioritäten derer, die sie formal vertreten und auch nicht die Logik juristischen Denkens. Der amerikanische Jurist Oliver Wendell Holmes, Jr. schrieb bereits 1881 in seinem berühmten Essay Das gemeine Recht Englands und Nordamerikas: »Vielmehr entnimmt das Recht seine eigentliche Lebenskraft nicht der Logik, sondern ist ein Niederschlag von Erfahrungen.«[30]
In unserer modernen Welt werden Bräuche, Rituale und gewohnheitsrechtliche Praktiken häufig als rückständig, abergläubisch oder ineffizient abgetan. Bürokratische Systeme, die auf wissenschaftlicher Rationalität, einheitlichen Regeln und zentraler Verwaltung basieren, gelten als bessere Art und Weise, die Dinge zu handhaben. Wenn aber Bräuche geeignet sind, ungeschriebene Regeln mit ernsthafter Arbeit, Konvivialität und dem Feiern von Festen zu kombinieren, und so beitragen, den eigenen Lebensraum (für-)sorgend zu bewirtschaften, entfalten sie eine ganz eigene Wirksamkeit und Autorität. Das jährliche »Abschreiten der Gemarkungsgrenzen«, das Hartmut Zückert beschreibt, war zugleich Happening mit Kuchen und Bier und ernsthafte Behauptung von Nutzungsansprüchen.
Natürlich kann Gewohnheitsrecht unnötig unflexibel sein, aber oft kristallisiert sich darin die Weisheit von jahrzehntelanger alltäglicher Erfahrung in einer bestimmten Umgebung heraus. Es spiegelt das reiche Erbe täglichen Experimentierens wider: Was funktioniert, was nicht? Wie können Menschen langfristig die gewünschten Ergebnisse erzielen? In der Sprache der Evolution könnte man sagen, dass die Praktiken des Gewohnheitsrechts adaptiv sind, weil sie eine Vielzahl subtiler, dynamischer Beziehungen aufnehmen und berücksichtigen können. Sie verkörpern das situierte Wissen der Menschen, ihre ethischen Überzeugungen und ihre emotionalen Bindungen an ihr Land, ihre Wälder, Flüsse und Berge.[31] Für Carol Rose, Professorin für Eigentumsrechte, ist das Gewohnheitsrecht »ein Medium, durch das eine scheinbar ›nicht organisierte‹ Öffentlichkeit sich organisieren und handeln und in einem gewissen Sinne sogar mit der Kraft des Rechts ›sprechen‹ kann«.[32] Dies macht plausibel, warum der Staat dem Gewohnheitsrecht oft argwöhnisch begegnet und dessen moralische Autorität und Macht gar als Bedrohung der Staatsmacht auffassen kann. Im Jahre 1860 wies ein US-amerikanisches Gericht gewohnheitsrechtliche Ansprüche mit der Begründung ab, sie beruhten auf »Formen von Gemeinschaft, die in diesem Staat unbekannt sind«.[33] Machen wir uns noch einmal bewusst, um welche Dimensionen es hier geht. Die Organisation Land Rights Now schätzt, dass etwa die Hälfte der bewirtschafteten Landfläche der Erde von insgesamt rund 2,5 Milliarden Menschen kollektiv genutzt wird.[34] Dort spielt Gewohnheitsrecht häufig eine große Rolle. Aus Sicht der Staatsmacht wirft dies das Problem auf, ob sie sozialen Praktiken, die derart informell sind, formale Anerkennung und Legitimität verleihen kann. »[W]enn eine Gemeinschaft in ihrer Eigenschaft als Körperschaft Ansprüche stellen wollte, dann müssten die Bewohnerinnen und Bewohner sich in einer vom Staat autorisierten Art und Weise organisieren«, erläutert Carol Rose.[35] Doch wir können auch umgekehrt fragen: Kann staatliches Recht Legitimität genießen und befriedigende Ergebnisse liefern ohne Gewohnheitsrechte anzuerkennen? Elinor Ostrom berührte diese Problematik in zwei ihrer acht Designprinzipien für langlebige Commons-Institutionen. Das siebte Prinzip sagt, dass ein Mindestmaß staatlicher Anerkennung des Rechts der Nutzer erforderlich ist, ihre eigenen Regeln zu bestimmen. Und das achte Prinzip für große und komplexe Ressourcensysteme spricht von der Notwendigkeit »eingebetteter Institutionen, die auf mehreren Ebenen miteinander »verschachtelt« sind.[36]
Nichtveräußerbarkeit: Ein Zentralbegriff des Commoning
Vernakuläres Recht fordert das geltende Eigentumsrecht heraus, das die einzigartigen Werte des Commoning unsichtbar macht. Nicht nur die totalisierende Eigentumslogik ist falsch, sondern auch, dass sie für sämtliche Umstände gelten soll. Aus der Geschichte kennen wir einen Rechtsgrundsatz, der dieser Logik ebenfalls entgegensteht: die Nichtveräußerbarkeit. Die Ursprünge dieses Gedankens liegen im Römischen Recht. In den lateinischen Originaltexten ist die Rede von »Dingen, deren Verkauf verboten ist« und »Dinge, mit denen kein Handel betrieben wird«. Die grundlegende Idee der Nichtveräußerbarkeit ist also das Verbot der Handelbarkeit. Was unverkäuflich ist, kann nicht ver- und gekauft werden. Ein unverkäufliches Ding kann auch nicht geerbt, mit einer Hypothek belastet, verpfändet oder besteuert werden.
Heute hingegen wird fast alles zum quasi uneingeschränkten Eigentum gemacht: selbst Gene, Wörter, Gerüche und Klangschnipsel. In Kombination mit der sakrosankten »Vertragsfreiheit« ermöglichen diese Eigentumsrechte, dass fast alles gehandelt wird. Der Markt-Staat fördert diese Dynamik nur allzu gern, da sie dem Wirtschaftswachstum dient und Steuereinnahmen sprudeln lässt. Doch derlei Enthusiasmus für Handelsbeziehungen enthält immer eine antisoziale Dimension: wenn nach Marktlogik getauscht wird, stellt sich die »Grenze zwischen Dir und mir«, zwischen Habenden und Habenichtsen immer wieder neu her, und viele andere Verknüpfungen, die uns als Teil der Gesellschaft miteinander verbinden, bleiben unsichtbar.
Die Idee der Nichtveräußerbarkeit hat sich vermutlich auch deshalb erhalten, weil sie auf einer genuinen Einschätzung vieler Menschen beruht – nämlich, dass die Aneignung mancher Dinge schlicht als Unrecht empfunden wird. In den meisten Gesellschaften wird der Verkauf von Nieren, Babys, Körperteilen, Sex und Wahlstimmen als unmoralisch betrachtet. Es gibt in diesen Fällen einen ausreichend großen Konsens über die tiefgreifende Bedeutung dieser Dinge für unser Leben und, dass ihre rechtlich legitimierte Verwandlung in eine Handelsware unserem gesellschaftlichen Zusammenhalt schaden würde. Nichtveräußerbarkeit heißt auch (beziehungsweise setzt voraus), dass etwas nicht eigentumsfähig ist. Sich nicht aneignen lässt. Was dazu gehört, folgt zunächst einem gesellschaftlichen Urteil. Erst danach verteidigen auch die Rechtssysteme den Gedanken, indem Veräußerung formal verboten wird. Schon das Römische Recht bestätigte die Auffassung, dass sich antike Orte, Theater, Straßen, Flüsse, Wasserleitungen usw. nicht in derselben Weise aneignen und handeln lassen sollten wie Brot und Butter. Warum sollten wir nicht noch einmal intensiver der Frage nachgehen, was dieser Gedanke heute bedeuten kann? Wie wäre es, wenn die Gesellschaft bestimmte kulturelle Verhaltensweisen und Sachen generell als unverkäuflich betrachtete? Unsere Eigentumsrechte gingen dann nicht mit absoluter Verfügungsgewalt einher, die ja das Recht auf Verkauf einschließt. Was wäre, wenn wir anerkennen, dass die Macht der Commons auch davon abhängt, ob es ihnen gelingt, »eine Norm der Nicht-Aneigenbarkeit [zu] definieren.«, wie die französischen Rechtswissenschaftler und Philosophen Pierre Dardot und Christian Laval formulierten?[37] Wenn dies – die Nicht-Aneigenbarkeit als Norm – für bestimmte Lebensbereiche als rechtliche Ausgangsposition gälte, könnte viel Schaden wieder gut gemacht werden: Schaden, der dadurch entstanden ist, dass so viel (aus-)verkauft wurde – wofür es zunächst zum handelbaren Eigentum gemacht werden musste. Der Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi hat dokumentiert, wie im Anfangsstadium des Kapitalismus im 18. und 19. Jahrhundert Land, Geld und Arbeit mit Macht zu »Waren« umdefiniert wurden.[38] Polanyi nannte sie »fiktive Waren«, weil keine davon tatsächlich für den Verkauf produziert wird. Land ist genau genommen ein Geschenk der Natur, in dem es vor Lebewesen wimmelt. Arbeit ist menschliches Leben selbst. Geld ist lediglich ein Symbol für Kaufkraft. Es war ein Mittel des Handels, nicht dessen Objekt. Land, Geld und Arbeit zu Waren zu machen war Vorbedingung für die Schaffung der Marktgesellschaft. Heute reden wir über Heilverfahren, Bildung oder Sport als Handelsware mit wahrlich erstaunlicher Selbstverständlichkeit. FC Bayern-Ikone Paul Breitner erklärt am Beispiel des wohl berühmtesten deutschen Clubs: »Wir haben mit der FC Bayern AG ein Unternehmen, das Fußball produziert und verkauft [...]«. »Es ist die AG, die für den FC Bayern Fußball spielt.« [39] Und der Spiegel unterstreicht kurz darauf die Prioritäten des Hauptaktionärs dieser Aktiengesellschaft, des Vereins FC Bayern: »Auf der Jahreshauptversammlung gab es beeindruckende Umsatzzahlen zu verkünden und neue Rekordfinanzen, und, na gut, der sportliche Durchhänger in der Bundesliga, eine kleine Delle, nicht mehr.«[40] Dem Fußball ist das Spiel abhandengekommen. Wenn Sport zur Handelsware wird, ändert sich alles. Das gilt im Sport, wie in anderen Lebensbereichen.
Daher sei noch einmal betont: nicht das existentielle Besitzen, Nutzen und Gebrauchen ist das Problem, sondern Handelbarkeit. Und Handelbarkeit wird erst durch vollumfängliche Eigentumsrechte verwirklicht. Was also wäre, wenn wir das Eigentum mit der Handelbarkeit als Grundprinzip überdenken würden? Wenn wir anders mit Land, Arbeit und Geld, aber auch mit Wissen umgingen? Wie sähe unsere Gesellschaft aus, wenn wir anfingen, diese Dinge von Vornherein als »nicht eigentumsfähig« und damit »nicht veräußerbar« zu betrachten? Wenn wir beispielsweise zu der Überzeugung kämen, dass Softwarecode und Wissen nicht ausschließlich individuell genutzt werden dürfen, sondern gleichzeitig anderen zur Verfügung stehen sollen?
Es mag utopisch erscheinen, im modernen Leben Sphären der Nichtveräußerbarkeit schaffen zu wollen. Schließlich hat die moderne Gesellschaft ein geradezu religiöses Verhältnis zum Eigentum. Und doch ist es weder abwegig noch unpraktikabel. Als Dr. Jonas Salk, der den Impfstoff gegen Kinderlähmung entwickelt hatte, 1955 gefragt wurde, wem das Patent auf den Impfstoff gehöre, antwortete er mit den vielzitierten Worten: »Nun, den Menschen, würde ich sagen. Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?« Salk fand die Vorstellung absurd, dass ein lebensrettender Impfstoff mit Gewinnmaximierungsabsicht genutzt und für die Menschen, die ihn benötigten, unerschwinglich werden würde. Daher übertrug er die Verantwortung für den Impfstoff der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sicherstellte, dass er möglichst vielen Menschen zu Gute kam. In den folgenden Jahrzehnten hat sich ein anderes Ethos etabliert, demzufolge Nationalstaaten Patente für alle möglichen lebensnotwendigen Medikamente gewähren, ebenso für Algorithmen, Geschäftsmethoden und Wissen, das allen zur Verfügung stehen sollte.
Oder reisen wir zu einem der größten Binnenseen der südlichen Hemisphäre, dem Lake Taupo in Neuseeland, der für seine See- und Regenbogenforellen bekannt ist. Trotz dieses Forellenreichtums stehen sie nicht auf den Speisekarten der anliegenden Restaurants. Die Angellizenzen für den Taupo und andere Seen in der Region enthalten nicht nur einen cap, definieren also eine Obergrenze, das »daily bag limit« (täglich darf so viel gefischt werden, wie in eine Tüte passt); sie erklären auch die geangelten Forellen für nicht-veräußerbar. Wörtlich heißt es: »Es ist illegal, Forellen zu verkaufen oder zu erwerben«. Wer also Forellen in einem der aussichtsreichen Restaurants rund um den See speisen möchte, muss sie selbst angeln, kann sie mitbringen und bekommt sie angelfrisch zubereitet.[41]
Res nullius neu entdecken
Wer auch immer die Idee der Nichtveräußerbarkeit wiederbelebt, tut gut daran, sich mit der Geschichte des res nullius auseinanderzusetzen. Diese Kategorie des Römischen Rechts ist auch heute noch aufschlussreich. Nicht weniger aufschlussreich ist, dass die heutige Rechtswissenschaft sie – und die damit verbundenen Annahmen über unsere gemeinsame Kultur – quasi vergessen hat. Die Wurzeln von res nullius liegen im frühen 6. Jahrhundert. Damals ordnete Kaiser Justinian eine systematische Synthese aller bestehenden Gesetzestexte des Reichs an. Der zu schaffende Rechtsrahmen sollte sich auf die wichtigsten Werke der Rechtswissenschaft stützen. Das Ergebnis, der zwischen 528 und 534 erlassene Codex Iustiniani – formal das Corpus Iuris Civilis[42] – hat das moderne Recht stark beeinflusst. Im Codex wird die Vielzahl an Dingen, die der Eigentümerschaft unterworfen werden könnten, in Klassen eingeteilt und mit unterschiedlichen Zugangs- und Nutzungsrechten versehen (siehe Tabelle unten). Obwohl wir heute gemeinhin davon ausgehen, dass die Eigentümerschaft in zwei grundlegende Kategorien zerfällt – öffentlich und privat –, erinnern die Alten Römer uns daran, dass es noch weitere gibt. Sie hatten eine Kategorie für persönliche Eigentumsrechte – res privatae. Dem Staat kam die Schutz- und Treuhandfunktion für die Kategorie der res publicae zu wie Grund und Boden, zivile Gebäude und Infrastrukturen. Anerkannte Regime des gemeinsamen Eigentums an Wald, Land oder Gewässern waren sogenannte res communis. Und schließlich gab es Dinge wie Luft und Wasser[43] – die zum res nullius erklärt wurden und kein Eigentum sein konnten.
Klassifizierung (eigentums-)rechtlicher Angelegenheiten auf Grundlage von Definitionen der Institutiones Iustiniani.
Eigentümer/Steward (Bewirtschafter) | Gegenstand der Eigentümerschaft bzw. der (für-)sorgenden Bewirtschaftung | |
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res publicae | Der Staat ist Eigentümer und bewirtschaftet im Auftrag der Bürger. | Nationalparks, öffentliche Gärten, Infrastruktur |
res privatae | Einzelperson | Haus, Hausrat |
res communis | Gemeinschaft/abgegrenzte Gruppe | Grundstücke (z.B. Land oder Wald) |
res nullius | niemand | Atmosphäre, Meere, Fische und anderes flüchtende Wild sowie alles, was als heilig galt. |
Warum aber ist die Vorstellung, dass etwas »kein Eigentum sein kann«, im Laufe der Jahrhunderte praktisch verschwunden? Es würde den Rahmen dieses Buchs sprengen, in die Einzelheiten einzutauchen; doch wir können zumindest einige aufschlussreiche historische Spuren verfolgen. So überrascht es nicht, dass während der Erarbeitung des neuen Codex Iustiniani, die ursprünglich genutzten Begriffe aus den lateinischen Rechtsquellen neu interpretiert wurden. Schließlich griffen die Rechtsgelehrten auf unterschiedliche Gesetzestexte mit unterschiedlichen Sprachregelungen und Kategorisierungen zurück. Diese sollten in eine neue Ordnung gegossen werden. Anhand eines Textes von Gaius, dem großen römischen Juristen aus dem 2. Jahrhundert, können wir uns ein ungefähres Bild davon machen, was das bedeutete. Gaius erkannte fünf Eigentumskategorien an – öffentlich und privat sowie heilig, religiös, geheiligt (das waren tatsächlich drei unterschiedliche Bereiche!). Im Codex Iustiniani gab es aber nur vier Kategorien (siehe Tabelle oben). Hier wurde also etwas mit Eigentumsklassifikationen aus anderen Rechtsquellen abgeglichen, zusammengefasst und neu geordnet. Wie und mit welchen Absichten sich die vier Kategorien durchsetzten, kann man schwerlich mit Sicherheit sagen. Uns geht es hier darum, darauf hinzuweisen, dass neue Rechtskategorien erfunden und alte neu interpretiert wurden. Im Zuge der Erstellung des Codex Iustiniani wurden nichts weniger als die Grundlagen des Rechts neu gefasst. Dabei haben sich nicht nur die Kategorien verschoben, sondern auch die Vorstellungen davon, was Eigentum sein konnte und was nicht. Vor dem Codex war das Recht in göttliches Recht (ius divinum) und von Menschen gemachtes Recht unterschieden worden (ius humanum).[44] Während letzteres offensichtlich auf einer sozialen Vereinbarung beruht, bezieht sich göttliches Recht auf jegliches Recht, das direkt von einer göttlichen Quelle abgeleitet wurde, etwa dem Willen eines oder mehrerer Götter. Was heilig war und zum göttlichen Recht gehörte, konnte weder angeeignet noch verkauft werden. Und um es noch etwas komplizierter zu machen, unterschieden manche prä-iustinianische Quellen nicht ius divinum und ius humanum, sondern patrimoniale Dinge, die beispielsweise zum kulturellen Erbe gehörten und unverkäuflich waren, von den extrapatrimonialen, mit denen gehandelt werden konnte. Das, was zur patrimonialen Sphäre oder zum göttlichen Recht gehörte (je nachdem, welchen Text man gerade liest), galt per Definition als unveräußerlich. Es war also illegal, es zu verkaufen.
Diejenigen, die den Codex Iustiniani aus solch unterschiedlichen Quellen zusammenstellten, mussten sich also mit zwei grundlegend unterschiedlichen Klassifikationen auseinandersetzen, die parallel zueinander existierten – in manchen Quellen ius divinum/ius humanum und in anderen patrimonial/extrapatrimonial. Dass dies problematisch war, ist leicht vorstellbar. Die Klassifikationen haben sich nicht nur überlappt, sondern waren miteinander inkompatibel. Wenn eine kohärente Neuformulierung des Rechts gelingen sollte, musste nun entweder eine Denkweise (und die damit verbundenen Rechtskategorien) gänzlich beiseitegeschoben oder ein ganz neues Klassifikationssystem geschaffen werden. Es war ungefähr so, als wollte man die Designlogiken von Lego und Playmobil (beides modulare Systeme mit je eigenem Klemmverfahren) miteinander verknüpfen. In jedem der beiden Systeme passt alles perfekt zusammen, aber sie funktionieren nicht miteinander. Vielleicht erklärt dies teilweise, warum die Vorstellung, dass etwas kein Eigentum sein kann, zunehmend in Vergessenheit geriet: die Idee, dass uns etwas heilig ist, die mit dem Konzept der Unveräußerlichkeit verbunden war, kam im neuen Codex nicht vor.
Eine weitere Wendung, die uns noch heute betrifft, vollzog sich in diesem 6. Jahrhundert. Die Alten Römer hatten klugerweise die Vorstellung der Nichtveräußerbarkeit zweifach geschützt. Der französische Rechtshistoriker Yan Thomas bezeichnete dies als »doppelten Modus, gleichzeitig öffentlich und heilig zu sein«. Damit meinte er, dass die Nichtveräußerbarkeit auch deutlich machte, dass das Öffentliche in gewisser Weise heilig war. Mit anderen Worten: der römische Begriff des »Öffentlichen« enthielt die Wertschätzung für die Ewigkeit und das Heilige und bezeichnete somit etwas, das von allen nutzbar war und für alle Zeit der öffentlichen Bewirtschaftung unterlag. Im Laufe der Jahrhunderte ist das Konzept des Patrimonialen (des gemeinsamen Erbes) im Recht besser erhalten geblieben als die Vorstellung der »Heiligkeit des Öffentlichen«. So wurde der Idee des gemeinsamen Erbes frisches Leben eingehaucht, als das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (auch als UNCLOS III bekannt) 1982 ratifiziert wurde. Es erklärt, dass Ressourcen in Gewässern außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit, etwa Tiefseemineralien, als »gemeinsames Erbe der Menschheit« gelten. Allerdings liegt die Verbindung des Rechtsstatus des gemeinsamen Erbes mit dem Konzept der Unverkäuflichkeit in den Untiefen nationalstaatlicher Interessenskonflikte begraben. So geht es de facto in den Verhandlungen über den Umgang mit diesem gemeinsamen Erbe vorwiegend darum, wie die Gewinne aus dem künftigen Tiefseebergbau verteilt werden.
Das gemeinsame Erbe zu schützen ist auch Hauptzweck des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt. Es soll Teile der Natur schützen, »die in ästhetischer oder wissenschaftlicher Hinsicht von außergewöhnlichem universellem Wert sind«, sowie Meisterwerke schöpferischer Genialität und kultureller Bedeutung wie den Serengeti-Nationalpark, die Chinesische Mauer und Machu Picchu in Peru.[45]
Die Meere als »gemeinsames Erbe der Menschheit«?
Artikel 136 des neuen Seerechtsübereinkommens erklärt die Ressourcen in den Gewässern außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit zum »gemeinsamen Erbe der Menschheit«. Dies bedeutet, dass kein Staat und keine Person Mineralien am Meeresboden, etwa Manganknollen, beanspruchen, sich aneignen oder als Eigentum bezeichnen darf. Solche Rechte »stehen der gesamten Menschheit zu, in deren Namen die Behörde[46] handelt«. (Artikel 137). Trotz der einst ambitionierten Ansprüche des Rechtsbegriffs des »gemeinsamen Erbes der Menschheit« ist seine Wirkung enttäuschend. Die Völkerrechtswissenschaftlerin Prue Taylor merkt allerdings an, dass »Ressourcen« im Meer »nur ein kleiner Teil der internationalen Commons« sind, und dass die alte Idee der »Freiheit der Hohen See« als Rechtsgrundsatz nicht wirklich ersetzt worden ist. Das Konzept des gemeinsamen Erbes der Menschheit verfügt weder über starke Unterstützung seitens der Vereinten Nationen noch hat es eine rechtliche Revolution ausgelöst. Sogar der Diplomat Arvid Pardo, die treibende Kraft hinter dem Seerechtsübereinkommen, kommentierte sardonisch, dass die Anwendung des Grundsatzes sich nur noch auf »hässliche kleine Steine in den dunkelsten Tiefen der Schöpfung« beziehe. Und de facto geht es nicht um deren Schutz, sondern darum, den Gewinn aus der Förderung von Tiefseeressourcen einigermaßen gerecht aufzuteilen.
Dennoch ist die Vorstellung des gemeinsamen Erbes der Menschheit ein Rechtsbegriff, den wir wertschätzen sollten; er war revolutionär genug, dass die USA sich weigerten, das Übereinkommen zu ratifizieren.
Sie mögen sich nun fragen, warum uns diese uralte Rechtsgeschichte heute interessieren soll. Können Kategorien des Römischen Rechts uns tatsächlich inspirieren, Eigentum neu zu denken? Wir glauben schon. Zunächst erlauben sie uns herauszufiltern, welche Rechtsprinzipien zur Zerstörung der Commons beitragen – etwa die Vorstellung von Eigentum als »alleinige und willkürliche Verfügungsgewalt«. Darüber hinaus hilft uns der Blick in die Vergangenheit, vergessene Rechtsbegriffe wie den Nießbrauch, der genau wie der Besitz, die tatsächliche Nutzung privilegiert, wiederzuentdecken.[47] Auch Begriffe wie Erbe, Nichtveräußerbarkeit, heilig, res nullius machen es leichter, jene Rechtsformen zu benennen, die einen stärkeren Status haben sollten. Und auch wenn die Vorstellung des »gemeinsamen Erbes der Menschheit« im internationalen Recht ein enttäuschendes Schicksal erfuhr, bleibt sie doch eine der wenigen, die Vertreter von Nationalstaaten veranlassten zu diskutieren, was das bedeuten und beinhalten würde. Zu wünschen bleibt, dass das Konzept der Unveräußerbarkeit (oder des res nullius in bonis, das wir gleich vorstellen werden) wieder zu einem vielseitig genutzten Rechtsgedanken werden kann, über den bestimmte Dinge aus dem Markt genommen und Commoning gestärkt werden kann.
Eigentum als Verdinglichung der Sozialbeziehungen
Und damit kommen wir zu einer letzten grundlegenden Feststellung: Nicht nur das »Gemeinsame Erbe der Menschheit« wurde als Rechtsbegriff marginalisiert und von der Idee der Unveräußerbarkeit getrennt; auch der Begriff des Öffentlichen hat seine Verknüpfung mit dem Heiligen verloren. Es scheint, als wären sämtliche Rechtskategorien aufgegeben worden, die auf Unverkäuflichkeit oder Verbote der bedingungslosen Aneignung abzielen. Dafür gibt es viele Gründe, entscheidend ist vor allem der Aufstieg der kapitalistischen Marktwirtschaft und Kultur. Westliche Industriegesellschaften streben nach immer neuen Verkaufsrekorden, die das Wirtschaftswachstum fördern. Das gilt als »Fortschritt«.
Und noch eine weitere Tendenz ist zu beobachten und zu überwinden: die Neigung, das Recht für eine verlässliche Landkarte der sozialen und ökologischen Wirklichkeit zu halten. Tatsache ist: Beide Welten – die des Rechts und die der gelebten Wirklichkeit – sind in ständiger Veränderung begriffen und sehr dynamisch. Fast nichts ist undenkbar. In seinem amüsanten Buch Slide Mountain, or the Folly of Owning Nature lotet Theodore Steinberg die überspannten Ambitionen aus, die Natur mittels des Eigentumsrechts zu kontrollieren.[48] Können Bäuerinnen Rechtsansprüche gegen ein Unternehmen geltend machen, das vorgibt, Regen zu machen, dies aber nicht tut? Wie können die Eigentumsrechte an Land behauptet werden, das an einer Flussbiegung liegt, dort stetig erodiert und sich dafür andernorts neu bildet? Ganz ähnliche Fragen könnte man zu einem Recht stellen, das festgefügte soziale Normen behauptet und mit formaler Logik zu argumentieren versucht. Werte und Normen sind ständig in Bewegung. Sie ändern sich. Was gestern noch undenkbar war, findet heute genügend gesellschaftliche Unterstützung um auch rechtlich anerkannt zu werden – so wie zuletzt die sogenannte »Ehe für alle«. Menschen und Gesellschaften pulsieren und leben. Deswegen kann Recht nur scheitern, wenn es eingesetzt wird, um Sozialbeziehungen zu verdinglichen. Gleichwohl scheint dies ein Muster der modernen Rechtsgeschichte zu sein. Darauf weist die bereits beschriebene »Entknüpfung« des Öffentlichen vom Heiligen hin. Auch die Vorstellung von res nullius hat sich im Laufe der Zeit gewandelt und der Verdinglichung von Sozialbeziehungen Vorschub geleistet. Verdinglichung heißt, Beziehungen als Ding, Fakt, Sache und Objekt anzusehen, statt als dynamische, soziale, lebendige Beziehung. Einen genaueren Blick auf res nullius zu wagen lohnt sich aus mindestens zwei Gründen. Erstens gab es interessanterweise im Laufe der Rechtsgeschichte mehr als eine Form davon, und zwar res nullius und res nullius in bonis[49]. Bei Letzterem ging es um Güter, die nicht angeeignet werden sollen. Diese Kategorie ist passenderweise, sogar von den meisten Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftlern, vergessen worden.[50] Zweitens bezog sich der Begriff res in seiner ursprünglichen Bedeutung auf eine (Rechts-)Angelegenheit – also auf etwas zu Verhandelndes – und nicht nur auf einen Gegenstand oder eine Eigentumsklasse.
Der Begriff res nullius wird meist für ungenutztes Land oder Naturvermögen verwendet, das rechtlich gesehen angeeignet werden kann. Die Kategorie lieferte in der Kolonialzeit eine wichtige rechtliche Rechtfertigung für die gewaltsame Beschlagnahmung von Land, das »niemandem gehörte«. Die andere Kategorie, res nullius in bonis, verweist demgegenüber auf Bereiche, deren Aneignung rechtlich und ethisch betrachtet Unrecht wäre. Das »göttliche Recht« (ius divinis) hat für Dinge, die den Menschen heilig sind (oder sein sollten) ähnliche Verbote ausgesprochen. Res nullius in bonis bedeutet schlicht, dass etwas tatsächlich nicht angeeignet werden kann und daher heute und in Ewigkeit unverkäuflich ist. Warum, haben wir uns dann gefragt, hat nur die erste Version von res nullius die Zeiten überdauert – jene, die ausdrückt, dass »Dinge, noch nicht angeeignet worden sind«, aber angeeignet werden dürfen? Warum und wie genau die rechtliche Bedeutung von res nullius in bonis im Laufe der Jahrhunderte verschwunden ist, muss von Rechtshistorikern erforscht werden. Nicht undenkbar ist, dass es mit der Neuinterpretation des Begriffs res selbst zu tun hat. Als wir die Studien des französischen Rechtshistorikers Yan Thomas lasen, wurde uns klar, dass res heutzutage meist als »Sache, Gegenstand« übersetzt wird. Fälschlicherweise. Vor dem Codex Iustiniani wurde res nicht als Sache oder Gegenstand verstanden, sondern als Streitfall oder rechtliche Angelegenheit. Das heißt, der Begriff bezog sich immer auf einen Gegenstand im Kontext eines rechtlichen Verfahrens und bezeichnete daher eher eine Angelegenheit als einen Gegenstand.[51] Dieser Unterschied ist alles andere als spitzfindig. In der Bedeutung »Streitfall/Angelegenheit« ist die Beziehungsdimension offenbar. In der Bedeutung »Gegenstand/Sache« ist sie getilgt. Daher verpflichtet uns ein präziseres Verständnis von res, bestimmte soziale und rechtliche Realitäten zu berücksichtigen, die unter den Tisch fallen, wenn wir in res nur das Ding in jemandes Eigentum sehen.
Wie oben beschrieben, war vor dem Codex Iustiniani eine der grundlegenden qualitativen Unterscheidungen diejenige zwischen patrimonial und extrapatrimonial. Wenn das entsprechende res zur patrimonialen Sphäre gehörte (also als Erbe galt), konnte es niemals als Eigentum betrachtet und veräußert werden. Es war geschützt und konnte niemandem gehören. Rechtlich ließ sich dann nur über angemessene Nutzungsrechte diskutieren. Im Gegensatz dazu konnte ein res, das zur extrapatrimonialen Sphäre (gewerblich) gehörte, in Beschlag genommen und zu Eigentum werden. Man könnte sagen: res wurde stets als »etwas in seinem Kontext« behandelt. Es bezog sich nicht auf eine unveränderliche Eigenschaft eines »Gegenstands« (im Eigentum von wem auch immer), sondern es bezog sich auf das strittige Stück Eigentum und gleichzeitig auf seinen angemessenen sozialen und rechtlichen Status. Dies ist kein triviales Detail, denn es macht deutlich: Lange bevor das moderne Recht sich anschickte, unser Denken zu bestimmen, war das Netz an Beziehungen, in denen das jeweilige res eingebettet war, ein vorrangiges rechtliches Anliegen. Man könnte sagen: Die rechtliche Angelegenheit war nicht verdinglicht. Versteht man hingegen res oder irgendetwas, das Eigentumsrechten unterliegt, relational, dann gibt es keinen »natürlichen Charakter des Dinges selbst«, das die angemessenen Eigentumsrechte bestimmen könnte. Und doch ist dieser Ansatz heute en vogue.
In den Wirtschaftswissenschaften wird routinemäßig erklärt, dass bestimmte Klassen von Gütern am besten als öffentliches oder als Privateigentum bewirtschaftet werden.[52]
Diese Mentalität wird in einer klassischen Grafik zusammengefasst, die die Existenz von vier Güterarten erklärt – private Güter, öffentliche Güter, Klubgüter und Allmende- beziehungsweise Gemeingüter – deren Zuordnung zum jeweiligen Quadranten auf den vorgeblich intrinsischen Eigenschaften des Gutes selbst beruht.[53] Diese Matrix mit ihren vier Güterarten und Governance-Regimen ist zutiefst irreführend. Sie legt nahe, dass das, was tatsächlich eine gesellschaftliche Entscheidung ist, in den »Gütern« selbst steckt. Mit anderen Worten: Die Grafik ist Ausdruck einer folgenreichen ontologischen Verwirrung – so wie sie in der modernen Welt der Wirtschaftswissenschaften gelehrt wird. Die konventionellen Wirtschaftswissenschaften schreiben physischen Ressourcen Eigenschaften zu, die tatsächlich gegenüber gesellschaftlichen Entscheidungen und Governance vollkommen offen sind. So ist es weder notwendig noch effizienter, einen Leuchtturm als öffentliches Gut zu bewirtschaften. Infrastrukturen können auch als Commons betrieben werden, wie wir im ersten Kapitel am Beispiel von Guifi.net gesehen haben. Digitaler Code muss nicht als privates Gut und auch nicht als Klubgut behandelt werden; auch dies könnten Commons sein. Die neoklassisch geprägte Wirtschaftswissenschaft ist zur Monokultur geworden. Ihre Vertreter haben sich im Bündnis mit den Rechtsexperten des Markt-Staates entschlossen, die soziopolitischen Dimensionen der Ausgestaltung von Eigentumsrechten weitgehend zu ignorieren. Stattdessen haben sie ihre objektivierende Weltsicht auf das Feld der »Güter« übertragen, ähnlich wie die Rechtswissenschaft eine gesellschaftliche Angelegenheit, res, in ein Objekt verwandelt hat. Heute betreibt das moderne Eigentumsrecht unter dem Deckmantel »natürlicher, universeller Prinzipien« reichlich »Social Engineering«. Der Rechtsrahmen normalisiert eine Weltsicht, der zufolge menschliche Freiheit und Erfüllung aus individuellen Eigentumsrechten und Marktaustausch rühren. Doch obwohl der moderne Kapitalismus dazu tendiert, im Eigentum die sozialen Beziehungen zu verdinglichen, gibt es noch Eigentumsvorstellungen in der Welt, die andere Seinsweisen zum Ausdruck bringen. Einigen davon wollen wir nun in Kapitel 8, in dem wir den Gedanken und die Praxis einer Beziehungshaftigkeit des Habens erläutern, auf den Grund gehen.
Anmerkungen
- All dies sind Themen, mit denen sich die Institutionenökonomie auseinandersetzt. ↩
- Wenn sich die Frage nach dem Urheber der Idee stellt, den Begriff des Eigentums zu wandeln, nämlich von Beziehungen zwischen Menschen und Gegenständen (Blackstone) hin zu Beziehungen zwischen Menschen und Menschen, wird am häufigsten auf Wesley N. Hohfeld verwiesen. ↩
- Nicht zu verwechseln mit der Treuhandanstalt, die das einst volkseigene Vermögen der ehemaligen DDR privatisiert, reorganisiert und »abgewickelt« hat. ↩
- Eduardo Moisés Penalver und Sonia K. Katyal: Property Outlaws: How Squatters, Pirates, and Protesters Improve the Law of Ownership, New Haven, Connecticut: Yale University Press, 2010. ↩
- E.P. Thompson: Customs in Common. Studies in Traditional Popular Culture, New York: The New Press, 1992, S. 162. ↩
- Und eben nicht durch menschliche Arbeit, wie vom liberalen Eigentumsrecht gefordert. ↩
- C.B. Macpherson: Property, Mainstream and Critical Positions, University of Toronto, 1978, S. 199-200.↩
- Margaret Jane Radin: Reinterpreting Property, Chicago, Illinois: University of Chicago Press, Kapitel 1, S. 35. ↩
- C.B. Macpherson: Die politische Theorie des Besitzindividualismus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1967, S. 15. ↩
- Ebd., S. 15. ↩
- Ebd. ↩
- Sir William Blackstone: Commentaries on the Laws of England in Four Books. Notes selected from the editions of Archibold, Christian, Coleridge, Chitty, Stewart, Kerr, and others, Barron Field’s Analysis, and Additional Notes, and a Life of the Author by George Sharswood. In Two Volumes, Philadelphia: J.B. Lippincott Co., 1893, Erstausgabe 1753, http://oll.liber tyfund.org/titles/blackstone-commentaries-on-the-laws-of-england-in-four-books-vol-1. Band 1, Buch 2, Kapitel 1, 2. Absatz. ↩
- Es darf davon ausgegangen werden, dass Blackstone vor allem an Männer dachte. ↩
- Zum Gedanken, dass das Recht die ökonomische und politische Ordnung widerspiegelt, vgl. auch Gregory Alexander, Commodity & Propriety. Competing Visions of Property in American Legal Thought 1776 – 1970, Chicago, Illinois: University of Chicago Press, 1997. Was Eigentümerinnen bzw. Eigentümern und allen anderen erlaubt bzw. verboten ist, sei im Grunde eine »politische Entscheidung, keine Angelegenheit neutraler, deduktiver Argumentation« durch Gerichte, merkt der Rechtsanwalt und Autor an. Ebd. S. 321. ↩
- John Locke: Über die Regierung, Stuttgart: Reclam, 1983 (engl. 1689), S. 22f. ↩
- Zur Lockean proviso gibt es eine umfangreiche wissenschaftliche Diskussion, die wesentlich angestoßen wurde, als Robert Nozick in seinem Buch Anarchie, Staat, Utopia, München: Olzog 2006, Englisch: 1974, den Begriff prägte. ↩
- Étienne Le Roy: »Wie ich dreißig Jahre zu Commons forsche, ohne es zu wissen«, in: Silke Helfrich, David Bollier und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Die Welt der Commons. Muster gemeinsamen Handelns, a.a.O., S. 267-284. ↩
- Mehr zum vernakulären Recht in Burns H. Weston und David Bollier: Green Governance: Ecologial Survival, Human Rights and the Law of the Commons, Cambridge: Cambridge University Press, 2013, S. 104-112. ↩
- Siehe Gregory Alexander: Commodity and Propriety, a.a.O., S. 322, Fußnote 41. ↩
- Joseph Singer: »The Legal Rights Debate in Analytical Jurisprudence from Bentham to Hohfeld«, 1982, Wisconsin Law Review, S. 987. Hohfeld wird von Anna Di Robilant und Syed Talha als Begründer des Eigentumsverständnisses als Sozialbeziehung beschrieben, in: Hohfeld in Europe and Beyond: The Fundamental Building Blocks of Social Relations Regarding Resources, The Legacy Of Wesley Hohfeld, hg. von Shyam Balganesh, Ted Sichelman und Henry Smith, 2018. ↩
- Gregory Alexander: Commodity and Propriety, a.a.O., S. 323. ↩
- Eigentum von Konzernen wird häufig mit individuellem Eigentum zusammengebracht und verwechselt, sodass die erheblichen Unterschiede dazwischen nicht herausgestellt werden. Man wird dahingehend in die Irre geführt, dass man Unternehmenseigentum wie das Eigentum von Privatpersonen betrachtet. ↩
- Franciscus C.M. Vera: Grazing Ecology and Forest History, Centre for Agriculture and Biosciences International, 2000, S. 386. ↩
- Diese Darstellung folgt Lewis Hyde: Common as Air: Revolution, Art, and Ownership, a.a.O., S. 169-173. ↩
- E.P. Thompson: Customs in Common, New York, NY: New Press, 1993, S. 167. ↩
- Helmut Zückert: »Allmende: Von Grund auf eingehegt«, in: Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, a.a.O., S. 158-165, S. 162, https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-2835-7/commons/?number=978-3-8394-2835-1. ↩
- Heute gibt es allein in den rumänischen Karpaten mehr als 1.500 sogenannte Obste, Wald- und Weide-Commons. Siehe Monica Vasile: Formalizing commons, registering rights: The making of the forest and pasture commons in the Romanian Carpathians from the 19th century to post-socialism, International Journal of the Commons, 12(1), S. 170-201. DOI: http://doi.org/10.18352/ijc.805. ↩
- http://oak-schwyz.ch. ↩
- Trent Schroyer: Beyond Western Economics: Remembering Other Economic Cultures, New York, NY: Routledge, 2009, S. 69. ↩
- Oliver Wendell Holmes, Jr.: Das gemeine Recht Englands und Nordamerikas, Berlin: Duncker und Humblot, 2006 (Nachdruck der ersten deutschen Ausgabe von 1912; Englisch 1881), S. 1. ↩
- Eine der ausführlichsten Betrachtungen des Gewohnheitsrechts geben Alison Dundes Rentln und Alan Dundes (Hrsg.): Folk Law: Essays in the Theory and Practice of Lex Non Scripta (1994) – eine Anthologie, die zeigt, wie ungeschriebenes, informelles Recht im Laufe der Geschichte in unterschiedlichen Kontexten florierte. ↩
- Carol Rose: »Comedy of the Commons: Custom, Commerce, and Inherently Public Property«, in: Property and Persuasion: Essays on the History, Theory, and Rhetoric of Ownership, Boulder, Colorado: Westview Press, 1994, S. 134. ↩
- Graham v. Walker (1905), 62 Atlantic Reporter, S. 99. ↩
- Land Rights Now, www.landrightsnow.org/en/home und https://pbs.twimg.com/media/DZXa7iCX4AAkgQI.jpg. ↩
- Carol Rose: Property and Persuasion, S. 123-124. ↩
- Elinor Ostrom: Die Verfassung der Allmende, a.a.O., S. 118, vgl. auch das Konzept der Polyzentrischen Governance. ↩
- Pierre Dardot und Christian Laval: Commun. Essai sur la révolution au XXIe siècle, Éditions La Découverte, 2014, S. 583. ↩
- Karl Polanyi: The great transformation: politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Wien: Europa Verlag, 1977, englische Erstausgabe 1944. ↩
- Paul Breitner in Blickpunkt Sport am 21.10.2018. ↩
- Florian Kinast: »Bayern-Jahreshauptversammlung. Pfeifkonzert im eigenen Wohnzimmer«, www.spiegel.de/sport/fussball/fc-bayern-muenchen-buhrufe-fuer-uli-hoeness-bei-jahreshauptversammlung-a-1241436.html. Die FC Bayern München AG wurde 2001 gegründet, neben dem Verein sind Audi, Adidas und Allianz SE Aktionäre. Die AG vermarktet vor allem die Fußballmannschaften. Von Profifußballern wird geredet wie von einer Handelsware. Die Entwicklung ihres »Marktwertes« wird in Rankings verglichen; vgl. das CIES FootballObservatory. ↩
- Zur Regulierung der Fischereirechte durch den Lake Taupo Trust von 2017: https://www.doc.govt.nz/parks-and-recreation/places-to-go/central-north-island/places/taupo-trout-fishery/licences-access-rules-and-regulations/rules-and-regulations/. ↩
- Deutsch: der »Körper«, also der Gesamt-Bestand des zivilen Rechts. ↩
- »Nach den Gesetzen der Natur sind diese Dinge allen Menschen gemeinsam: die Luft, das fließende Wasser, das Meer und folglich auch die Küsten des Meeres«, nach Institutes of Justinian, Book II, Of Things, Section I Divisions of Things, No. 1, Gutenberg e-book, #5983. ↩
- Gaius – Inst. 2, 2 ap. Digest. 1, 8, 1: »Summa itaque rerum divisio in duos articulos diducitur: nam aliae sunt divini iuris, aliae humani.« ↩
- Die vollständige Liste der Weltkulturerbestätten: https://www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-weltweit. ↩
- Die Behörde ist ISA, die Internationale Meeresbodenbehörde. ↩
- Nießbrauch ist in Deutschland der zivilrechtliche Begriff für das Recht, den (erneuerbaren) Ertrag einer Ressource, etwa einer Pflanze oder eines Waldes oder einer Wohnung, zu nutzen, vorausgesetzt, die zugrundeliegende Lebensquelle selbst wird nicht vermindert. ↩
- Theodore Steinberg: Slide Mountain, or the Folly of Owning Nature, Berkeley, California: University of California Press, 1995. ↩
- Das Wort bonum bedeutet »das Gut«. ↩
- Vgl. Dardot/Laval, a.a.O., S. 264-268; zu nullius in bonis: Gaius, II, 7, Marcien, 4 instutionum, D. 1, 8, 6, 2; Die Hauptquelle, die uns jedoch nicht im Original zur Verfügung stand, ist: Ubaldo Robbe, La differenza sostanziale fra res nullius e res nullius in bonis e la distinzione delle res pseudo-marcianee, Milan: Giuffrè, 1979.↩
- Yan Thomas: La valeur des choses, S. 1449 und 1454; res vermittelt eher die Bedeutung des griechischen ta pragmata.↩
- Der Begriff »Gemeingut«, so wie er heute meist verwendet wird (auch in der Commons-Literatur und auch in unseren eigenen Beiträgen), spiegelt im Grunde ein verdinglichtes Verständnis von res wieder. Mit dem Wort Ressource ist es nicht anders, obgleich die beiden Begriffe sich in ihrer Etymologie unterscheiden: Ressource in seiner Bedeutung des 17. Jahrhunderts heißt »Mittel, einen Bedarf oder Mangel zu befriedigen«. Es stammt vom französischen resource, »Quelle, Ursprung« und vom lateinischen resurgere, »sich wieder erheben«.↩
- Silke Helfrich: »Gemeingüter sind nicht, sie werden gemacht«, in: Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, a.a.O., S. 85-91, https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-2835-7/commons/?number=978-3-8394-2835-1. ↩
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Einleitung
- Teil 1 – Commons grundlegen
- Teil 2 – Commons verstehen und leben
- Einleitung: Die Triade des Commoning
- Kapitel 4: Soziales Miteinander
- Kapitel 5: Selbstorganisation durch Gleichrangige
- Kapitel 6: Sorgendes & selbstbestimmtes Wirtschaften
- Teil 3 – Das Commonsversum
- Einleitung: Wie das Commonsversum wachsen könnte
- Kapitel 7: Eigentümlich denken
- Kapitel 8: Haben & Sein
- Kapitel 9: Commons im Staat
- Kapitel 10: Commons erMächtigen
- Anhang
- Danksagung